Horst, der Mensch: Der verschlungene Pfad... – Geschichte eines europäischen Buddhisten - Stand 2. April 2023

Szene 2 – Wie ich einmal starb - 1996

Der Anfang dieser Szene spielt im Jahre 1996. Ich war noch nicht allzu lange auf dem Pfad unterwegs, den der Buddha aufgezeigt hatte, und ich war erst seit einigen Monaten bei der Buddhistischen Gemeinschaft Triratna, die damals noch „Freunde des Westlichen Buddhistischen Ordens“ hieß. Es war mein zweites Retreat, es dauerte 14 Tage und fand im Sauerland statt, im Retreatzentrum Kühhude. Bodhimitra leitete das Retreat und wir wussten, dass die nächste Übung wieder einmal die metta bhavana sein sollte. In dieser Übung erzeugt man liebevolle Zuneigung und Wohlwollen in fünf Phasen. In der ersten Phase für sich selbst, in der zweiten für einen guten Freund, dann für eine neutrale Person und anschließend für eine Person, die man gewöhnlich eigentlich ablehnt. Zum Abschluss sendet man metta, diese positive Energie, allen Wesen im ganzen Universum zu.

Wir hatten diese Meditation schon mehrfach geübt, und mir gingen allmählich die Freunde und die Feinde für die zweite bzw. vierte Phase aus. Also überlegte ich mir schon vor der Meditation, wen ich in den einzelnen Phasen mit metta, mit wohlwollender Empathie, bedenken könnte. Und da ich inzwischen der Auffassung war, dass ich und der/die/das Andere nur Illusionen unseres Denkens seien, kam ich auf eine ganz besondere Idee.

Ich hatte mich – wie jede/r von uns - im Laufe meines Lebens entwickelt. Manche dieser Entwicklungsstufen waren mir aus heutiger Sicht genauso fremd wie andere Personen. Warum sollte ich nicht in allen Phasen der metta bhavana mich selbst nehmen? Mich in den verschiedenen Phasen meines Lebens. Ich war jetzt vierundvierzig Jahre alt, also im fünften Jahrzehnt meines Lebens. Und ich nahm mir vor, mich in der ersten Phase in meiner damaligen Ausprägung als einer, der in den 90er Jahren des 20. Jahrhunderts den Pfad des Buddha geht, in meine Meditation zu nehmen, dann in der zweiten Phase den politisch engagierten Aktivisten der 80er Jahre, anschließend den Stenografie-Funktionär der 70er Jahre, in der vierten Phase dann den Schüler im Gymnasium der 60er Jahre und schließlich Horst im Kindergarten der 50er Jahre.

Ich setzte mich also in Meditation, Bodhimitra schlug den Gong, und die Meditation begann. Es war eine sehr angenehme Meditation, zunächst entwickelte sich alles so, wie ich es erwartet hatte. Inzwischen war ich in der vierten Phase, die der schwierigen Person vorbehalten ist, und war mit diesem pubertierenden Jugendlichen Horst mitten in den sechziger Jahren beschäftigt.

Bodhimitra schlug abermals den Gong und ich wollte mich gerade anschicken, ins Jahr 1957 einzutauchen und im Kindergarten zu erscheinen, da löste sich die tatsächlich Meditation von dem, was ich mir vorgenommen hatte. Ich kam nicht im Kindergarten an, ich war noch einige Jahre jünger. Meine Mama hatte die kleine Zinkbadewanne, die maximal 30 Liter fasst, auf zwei der alten Küchenstühle mit den dunkelgrünen Sitzflächen gestellt, und ich saß darin. Sie forderte mich auf, herauszukommen, ich aber bat, noch kurz drin bleiben zu dürfen, was mir zugestanden wurde, aber nur sehr kurz. Dann ging es heraus.

Meine Mama hielt mir ein großes Handtuch hin und ich hielt mich vorsichtig beim Heraussteigen an der nur 30cm hohen Seitenwand der Wanne fest, um auf das schmale Stück Sitzfläche des Stuhls zu klettern, das von der kleinen Wanne nicht bedeckt war, dahinter gähnte der Abgrund, eine tiefe Schlucht von der Sitzfläche des Stuhls bis gaaaaaaanz weit unten auf dem mit Linoleum belegten Küchenfußboden.

All das klingt alles andere als spektakulär, doch das Erstaunliche war: diese Küche kannte ich nicht. Ich hatte vor dieser Meditation keinerlei bewusste Erinnerung an diese Küche. Dieser Raum war nämlich nur eine Küche bis Anfang 1953. Kurz nach dem Tod meines Großvaters wurde die provisorische Küche meiner Eltern aufgelöst und danach die Küche meiner Großmutter in der gleichen Wohnung benutzt. Ich muss also damals jünger als zwei Jahre gewesen sein. Und diese märchenhafte Erfahrung während meiner Meditation versetzte mich selbstverständlich in großes Staunen. Ich war mit dem Staunen noch keineswegs fertig, als Bodhimitra die Glocke zum Ende der Meditation dreimal schlug, aber ich wollte am Ende dieser Zeitreise gern noch etwas in der wunderbaren Welt des Jahres 1953 verweilen, in die ich so unverhofft gekommen war.

Doch da geschah etwas noch Merkwürdigeres, der Automatismus, der bei der Rückführung von den 60er Jahren eingesetzt hatte, und der mich statt ins Jahr 1957 auf eine Zeitreise ins Jahr 1953 versetzt hatte, schlug erneut zu!


Die Bäume waren noch kahl, aber es war kein Winter mehr, noch sehr frisch ja, aber nicht mehr so kalt. Wir gingen zu Fuß durch eine landwirtschaftlich genutzte Gegend in einer deutschen, nicht bewaldeten Mittelgebirgslandschaft. Wir mieden die Dörfer und versuchten uns nach Westen durchzuschlagen. Unsere Kleidung war inzwischen schäbig und verschmutzt, und wir stanken auch ziemlich. Es war schließlich ein verdammt langer Marsch. Zwar war mein Rucksack inzwischen ziemlich leer, aber das Gewicht des Maschinengewehrs drückte heftig. Wir versuchten uns nach Westen durchzuschlagen, dorthin, wo laut Angaben des Oberkommandos der Wehrmacht die Front sein sollte, aber wo wir erwarteten, keine Front mehr zu finden. Wenn wir die ersten amerikanischen Fahrzeuge hören würden, so hatten wir verabredet, werfen wir die MGs weg und nehmen das weiße Tuch aus dem Rucksack, um uns zu ergeben. Endlich in Gefangenschaft! Endlich Friede!

Wir waren eigentlich nur noch zwei MG-Schützen, der junge Mann, vielleicht 19 oder 20 Jahre alt, und ich, mehr als doppelt so alt. Und dann waren da noch einige Leute bei uns. Ich weiß nicht mehr, wie viele wir waren, aber auf jeden Fall weniger als zehn. Aber wir alle wussten, dass wir auf Nebenwegen nach Westen wollten, zum Ami.

Unsere MGs hatten wir vorsichtshalber nicht weggeworfen, denn wir waren ja Deserteure und als solchen drohte uns natürlich die Erschießung, wenn wir einer Patrouille oder einem überzeugten Nazi über den Weg liefen.

In diesem Moment kamen aus dem Seitental rechts in ungefähr zwei Kilometern Entfernung zwei Tiefflieger. „Deckung“, rief ich, und wir sprangen in die Straßengräben, in der Hoffnung von den Tieffliegern nicht erspäht zu werden. Ich auf der linken Seite des Weges, der Junge auf der rechten Seite. Ich drehte mich um, auch die anderen waren in Deckung gegangen. Ich spähte rasch nach den Fliegern, da ertönt plötzlich MG-Feuer rechts neben mir. Dieser Idiot von einem grünschnabeligen Soldaten hatte doch tatsächlich das Feuer eröffnet, ich wollte ´rüberspringen und ihm das MG entreißen, doch da drehten die beiden Tiefflieger schon bei und kamen auf uns zu. „Verdammte Scheiße“, rief ich. Es blieb nichts anderes übrig, als dass ich den linken unter Feuer nehme und er den rechten. Tiefflieger sind zwar im Vorteil, aber ganz aussichtslos ist es nicht. - ROT.

Das letzte, was ich sah, war: ROT. Alles rot.

Ich saß wie geschockt auf meinem Meditationssitz in Kühhude und Tränen liefen in Windeseile über meine Wangen, aber ich hatte keine Zeit zu versuchen, diese äußerst verstörende Situation zu bewältigen, denn die Zeitreise ging weiter.


Wir waren inzwischen aus der Stadt draußen und auf einer Straße im Wald. Manche Trupps hatten Hakenkreuzfahnen dabei, manche Gewehre, wir hatten Spaten. Abertausende von Menschen waren unterwegs, natürlich alle in Reih´ und Glied.

Ein Lied!“ kam der Befehl unseres Truppführers und wir sangen, ließen den Wind kalt über den Westerwald pfeifen. Aber es war in Wirklichkeit nicht kalt, es war ziemlich warm, es war schließlich Sommer. Dann sahen wir vorn links unser Ziel, das Reichsparteitagsgelände. Wir mussten zunächst noch warten bis wir an der Reihe waren.

Es bemächtigte sich meiner ein merkwürdiges Gefühl, als wir auf das imposante Gelände aufmarschierten. Ich mochte die Nazis nicht. Ihr aggressives, selbstherrliches Auftreten und ihr Kommandoton liefen meinem Empfinden eigentlich immer zuwider. Aber hier entstand plötzlich etwas anderes, ein seltsames Gefühl von Größe, von erhabenem Aufbruch, von Bedeutung, einer Faszination, der ich mich in diesem Moment nicht entziehen konnte, die vielmehr von mir Besitz ergriff. Ich war zu so etwas wie dem Objekt der Machtergreifung geworden, so jedenfalls fühlte es sich an. Ich fühlte es und betrachtete mich gleichzeitig wie einen Dritten, mit Verwunderung, ob dessen, was sich da zutrug

Diese Inszenierung auf dem Zeppelinfeld hatte etwas von phantastischer Größe: die monumentalen Bauwerke, die Marschmusik, die Fahnen, der Aufmarsch, alles folgte einer gigantischen Choreografie. Und ich war Teil davon! In diesem Moment fühlte ich mich nicht mehr fremd, ich empfand mich als Teil des großen, starken deutschen Volkes, das im Aufbruch war, dem ihm gebührenden Platz in der Weltgeschichte wieder einzunehmen. Es war, als wäre ich eine Stimme in einem gewaltigen Chor oder ein Ton in der Monumental-Inszenierung einer Wagner-Oper. Ich spürte, wie diese kolossale Ergriffenheit auch die anderen Menschen beherrschte. Es war, als wäre ich eine aufblühende Schlüsselblume auf einer unendlichen Wiese inmitten Millionen anderer Schlüsselblumen, die von einer strahlenden Sonne in den Frühling geführt wird. Und zum ersten Mal fragte ich mich, ob das wirklich die Magie war, die vom Führer ausging, der hier auftreten sollte. Es war fast, als erwarteten wir die Niederkunft Gottvaters auf dem Reichsparteitagsgelände in Nürnberg.

Hier standen wir, Tausende, Abertausende, Zehntausende, gefühlt sogar Hunderttausende, klein wie Ameisen, um ihm zu huldigen, IHM, dem Führer. Ein Volk! Ein Reich! Ein Führer! Heil! Wir die Ameisen – er die Lichtgestalt.

Und dann war es endlich so weit. Der Badenweiler Marsch erscholl, und von rechts bewegten sich einige winzig kleine Figuren auf der gigantischen Zeppelintribühne entlang. Doch genau in dem Moment, der eigentlich als Höhepunkt der Inszenierung gedacht war, stellte sich bei mir eine abgrundtiefe Ernüchterung ein. Dieser kleine komische Mann da vorn und alle seine aberwitzigen Männeken um ihn herum waren genau so gelenkte Statisten einer Choreografie. Sie waren genau so Gefangene einer Inszenierung, die sie zwar selbst mit initiiert hatten, aber zu deren Gefangenen sie inzwischen geworden war. Aber das sind meine Worte heute, mit denen ich versuche das Gefühl, das sich meiner damals bemächtigte, zu beschreiben. Was ich wirklich dachte, war ein ernüchternd einfacher Satz: „Der Führer ist eine Ameise. Der Führer ist auch nur eine Ameise!“ Das war die nüchterne Erkenntnis eines einfachen Mannes - damals auf dem Zeppelinfeld während des Reichsparteitages der NSDAP.


Und genau im Moment dieser ernüchternden Erkenntnis zog mich der große Mahlstrom der Zeitreise aus Nürnberg weg und an meinen früheren Arbeitsplatz. Ich hatte gerade meine Tagesarbeit erledigt, die Lohnzettel für die Lohnabrechnungen am morgigen Freitag so weit fertig gemacht, wie das heute möglich war, das Grundbuch abgeschlossen und die Buchungen fein säuberlich mit Tinte auf den Konten eingetragen. Ich packte meine metallene Brotdose in meine abgewetzte Aktentasche, deren Henkel abgerissen war, und die ich daher schon seit Jahren unter dem Arm tragen musste. Auch die Thermoskanne kam in diese Tasche hinein, nachdem ich den letzten Tropfen aus dem Deckel, der als Trinkgefäß diente, ausgeschlürft und die Kanne sorgsam zugeschraubt hatte.

An der Tür drehte ich mich – wie üblich – ein letztes Mal für diesen Tag um, um mich zu vergewissern, dass ich alles ordentlich hinterließ: die Schreibutensilien lagen fein säuberlich im rechten Winkel zur Schreibtischkante, die Schreibtischtür, hinter der sich die Handkasse verbarg, sorgsam abgeschlossen, so wie jeden Tag.

Ja, ich konnte heruntergehen. Mein Büro lag im Obergeschoss. Im Erdgeschoss und auch gut der Hälfte des Obergeschosses waren die Werkstätten. Die Fahrzeuge gelangten über eine geschwungene Rampe nach dort oben, dies war eine großer Autohof. Ich gelangte unten auf den Hof, einige Fahrzeuge standen noch herum, der Boden war aus festgefahrenem schwarzen Sand, wobei die Farbe wohl durch das Öl hervorgerufen wurde, nach dem es überall roch.

Wenn es, wie an diesem Tag, regnerisch war, schimmerten die Pfützen auf den Schlaglöchern des Hofes schillernd von Öl. Ich zog den Kragen meines Sakkos hoch, es war novemberlich kalt und garstig-regnerisch. Mein Blick schweifte wie immer über den Hof und das Werkstattgebäude auf dem in einer albern-unmodernen Schrift der Name der Firma prangte, diese Schriftart war bestimmt noch nie modern gewesen, vermutlich eine ziemlich dilettantische Arbeit aus der Gründungszeit der trotz der wirtschaftlichen Lage inzwischen prosperierenden Firma. Vor allem das „O“ am Wortanfang sah abstrus aus: es erinnerte an ein Osterei, aber auch entfernt an das Renault-Emblem.

Noch ein letztes kleines Ritual zog ich, wie jeden Tag, durch. Ich ging auf die rechte Seite des Werkstattgebäudes, wo ein Rohr aus dem Boden kam und an der Mauer aufwärts führte. Hier war ein klobiger Wasserhahn, an dem ein langer Schlauch für die Fahrzeugwäsche angeschlossen war. Wie jeden Tag klemmte ich meine Aktentasche zwischen die Beine, damit sie nicht auf dem öligen Boden stand, nahm mit der linken Hand das Endstück des Schlauches, drehte mit der rechten den Hahn auf und ließ dann Trinkwasser in meine rechte Hand laufen, die ich zum Munde führte. Genau vier Mal, wie jeden Tag. Dann drehte ich den Wasserhahn ab, wischte mir den Mund mit dem rechten Sakkoärmel trocken und legte das Endstück des Schlauches, der aufgerollt war, wieder über den Hahn, musste ja alles seine Ordnung haben.

Ich verließ das Firmengelände, ging rechts der Straße entlang. Es war bereits dunkel und die Gaslaternen waren an. Nach etwa 200 m gelangte ich an die breite Allee, überquerte diese und ging noch die wenigen Schritte nach rechts zu dem Mietshaus, in dem wir wohnten. Ich schloss die Haustüre auf, ging die Treppe ins Dachgeschoss hoch, vierte Etage, und schloss nunmehr die linke Tür auf, wie jeden Tag.

Ah, pünktlich wie immer! Und das Essen ist auch gleich fertig“, das war die Stimme von Rehlein, meiner Frau. Sie stand am Herd, wie sich das gehörte. Ich umarmte sie von hinten, gab ihr einen Kuss auf die linke Wange und versuchte in den Topf zu schauen. „Riecht lecker“, sagte ich.

Naja, Linseneintopf mit Kartoffeln“, klärte Rehlein mich auf.

Du bist ein Schätzchen, Rehlein.“

Und du, Bärchen,“, kam die Antwort, „kannst schon mal Brot aufschneiden.“


Jemand berührte mich an der Schulter. Verstört öffnete ich die Augen. Dhammaketu, ein belgisches Ordensmitglied, war das, sonst war niemand mehr im Meditationsraum. Ich wischte mir die Tränen aus den Augen, stand etwas ungelenk auf.

Ist alles in Ordnung, Horst?“ Ich nickte.

Möchtest du darüber sprechen?“

Nein, danke, Dhammaketu, ich kann nicht darüber sprechen. Vorläufig nicht. Vielleicht viel später einmal, in zwanzig Jahren, oder so.“

Dhammaketu nickte. Dann gingen wir schweigsam ins Hauptgebäude, an diesem warmen Sommertag des Jahres 1996.



EPILOG

Natürlich habe ich mich damals und auch später immer wieder gefragt, ob das reale Erinnerungen waren oder einfach meine Phantasie. Ich bin lange nicht wirklich zu einem Ergebnis gekommen. Ich glaubte auch nicht, dass das nötig ist, vielleicht ist es nicht einmal hilfreich. Aber ich möchte doch einige dieser Überlegungen hier auch anführen.

Die Szene in der Küche des Jahres 1953 kann real gewesen sein. Diesen Raum gab es, warum dies plötzlich auftauchte und nicht die Szene, die ich eigentlich als Hintergrund meiner Meditation nehmen wollte, weiß ich nicht. Aber eines zeigt dieser Abschnitt auf, nämlich dass ich in dieser Meditation an Bewusstseinsebenen gekommen bin, die mir bis dahin nicht zugänglich waren, an Bewusstseinsebenen, die mich in eine Zeit führten, an die bis dahin keinerlei Erinnerung da war. Dies könnte ein Hinweis darauf sein, dass auch die folgenden Szenen reale Erinnerungen sein könnten.

Für die Kriegsszene spricht, dass ich als Teenager öfter aus unerklärliche Gründen vom Krieg träumte, und in mindestens einem Traum war ich auch mit so einer Gruppe von Leuten unterwegs und hatte mich von der Truppe abgesetzt. Auch kamen in meinen Träumen häufig kleine Flugzeuge am Himmel vor, die entweder abstürzten oder aus denen Feuer züngelte. Gegen die Echtheit dieser Szene spricht, dass es natürlich eine Menge von Kriegsfilmen gibt, aus denen mich Szenen beeinflusst haben könnten. Ich habe zwar früher nur selten welche gesehen, und wenn, dann Antikriegsfilme, aber natürlich können da Versatzstücke im Unterbewussten hängen geblieben sein. Wenn ich mich recht erinnere, steht die Farbe rot, auch am Ende des Filmes „Wem die Stunde schlägt“, in dem Ernst Hemingway seine Erlebnisse im spanischen Bürgerkrieg beschreibt. Diese Szene gibt mithin keine schlüssigen Hinweise, dass es sich um eine wirkliche Erinnerung an ein vergangenes Leben handelt.

Lange Zeit hat mich vor allem die Szene auf dem Reichsparteitag beschäftigt. Da gab es nämlich ein ziemlich verstörendes Ereignis etwa fünf bis zehn Jahre vor dieser Meditation. Ich war damals mit meiner Familie im Wohnmobil unterwegs. Wir waren auf der Rückreise von einem Urlaub auf dem Balkan, und wir wollten eine Stelle zum Übernachten in Nürnberg suchen und dort noch irgendwo zu Abend essen. Und dann am nächsten Tag nach Hause zurück zu fahren.

Aber wir hatten uns ziemlich verfahren und nichts Passendes gefunden, in Wirklichkeit waren wir auf einer Ausfallstraße aus Nürnberg heraus. „Dreh halt um,“ schlug meine Begleiterin vor.

Ich aber sagte: „Warte mal, hier kommt mir etwas bekannt vor!“ Ich sagte das, obwohl ich noch nie in diesem Leben hier war. „Wir müssen da links ab“, erklärte ich bestimmt, meine Begleiterin sah mich skeptisch an. Es ging kerzengerade durch ein Waldstück.

Das hat keinen Sinn, dreh um“, sagte sie. „Nein,“ erwiderte ich, „dort kommt eine Kreuzung und dahinter ist ein großer Landgasthof. Davor müsste es genügend Parkraum geben.“

Kurz darauf tauchte vorn eine Kreuzung mit einer Ampel auf – und tatsächlich, dort war ein großer Landgasthof, der offensichtlich schon einmal bessere Zeiten gesehen hatte.

Und gleich nach dem Waldende links gibt es einen großen Parkplatz“, prophezeite ich Eleonore weiter. Ich bog links ab – tatsächlich ein riesiger Parkplatz – und dahinter: das Reichsparteitagsgelände. Ich hielt und stutzte, wie von einer fernen Erinnerung berührt, als ich das monumentale Bauwerk erstmals in diesem Leben sah. Und meine Bgleiterin sah mich an wie einen Geist, ihr Blick verfinsterte sich. Wir haben beide niemals darüber gesprochen.

Natürlich kann es sein, dass mich diese Szene innerlich so berührt hat, dass sie Ursache des Auftretens des Reichsparteitagsgeländes in meiner Meditation viele Jahre später war. Das wäre eine logische Erklärung. Etwas anders würde sich die Sache darstellen, wenn die Szene in Nürnberg erst nach meiner Meditation war. War sie aber nicht. Auch an dieser Stelle gibt es also zwar Hinweise, dass dies eine Reale Erinnerung an ein früheres Leben gewesen sein könnte, allrdings keine belastbaren Beweise.

Es gibt da allerdings noch diese andere Szene in dem Autohof einer mir damals nicht bekannten Großstadt. Und das hat mich dann später wirklich erschüttert. Was jetzt kommt, war nämlich im Jahr 2004, also rund zehn Jahre nach der Meditation. Ich lebte inzwischen in Frankfurt und hatte mich gerade bei CarSharing angemeldet. In unmittelbarer Nähe meiner Wohnung, die sich in der Habsburgerallee (Bundesstraße 3) befand, sollten zwei Fahrzeuge von stattmobil, dem CarSharing-Unternehmen, stehen. Ich ging dorthin, in die Rhönstraße. Es gab zwei Einfahrten zu dem Innenhof. Rechts stand das CarSharing-Auto.

Irgend etwas berührte mich merkwürdig. Irgend etwas erinnerte ich an... ja, woran eigentlich? Ich war doch noch nie in meinem Leben hier. Ich drehte mich zum Innenhof: eine große Autowerkstatt, sie hatte Ähnlichkeit mit etwas... Und diese merkwürdig geschwungene Rampe, mit der Autos in die obere Etage der Werkstatt fahren konnten, wo hatte ich das denn schon gesehen? Mein Blick war jetzt oben am Gebäude angekommen, bei der Aufschrift: Ostend-Garage. Eine merkwürdige mir bekannt vorkommende Schrift. Einzelne, metergroße Buchstaben in einer Schrifttype die bestimmt noch nie modern gewesen war, sie sollte irgendwie Zukünftiges ausdrücken, sah aber doch unbeholfen gestrig aus. Das „O“ von Ostend erinnerte an ein Osterei, aber auch entfernt an das Renault-Emblem.

Und in diesem Moment stand vor meinem geistigen Auge das Bild aus meiner Meditation auf, das Bild, als ich mich beim Abschied, wie jeden Tag noch einmal, umdrehte. Der Boden war jetzt, im beginnenden 21. Jahrhundert, allerdings nicht mehr voller schwarzem öligen Sand, er war jetzt betoniert. Der Rest sah genauso trostlos aus wie damals. Ich schaute unwillkürlich auf die rechte Seite des Gebäudes, wo ich damals die vier Schluck Wasser getrunken hatte, konnte aber dort nichts erkennen, ein Kleinlaster stand davor. Ein eigentümliches Gefühl umschloss mein Herz: wenn jetzt da tatsächlich dieser Wasserhahn...? Ich umschritt das Fahrzeug: und wirklich, ein aus dem inzwischen betonierten Boden herausragendes Rohr, an dessen oberen Ende genau dieser altertümlich Wasserhahn befestigt war. Nur der Schlauch war nicht mehr dran.

Als ich diese Erinnerung im Jahr 2016 aufschrieb, entschloss ich mich noch einmal nach Frankfurt zu fahren, ich wollte mir das noch einmal ansehen, wollte es auch zur Illustration dieses Bericht mit einem Foto unterlegen. Am Montag, dem 29. Februar 2016 war ich dort. Leider ist die Werkstatt inzwischen abgerissen. Das Vorderhaus mit den beiden Einfahrten steht noch, doch dahinter werden gerade neue Wohngebäude hochgezogen, Lofts. Die Ostend-Garage ist weg. Seit diesem Tag bei dem CarSharing-Auto neige ich dazu, diese Zeitreise in meiner Meditation des Jahres 1996 für real zu halten.

Aber wirklich sicher war ich mir auch 2016 noch nicht.


Ergänzung April 2022

Inzwischen habe ich mich an etwas erinnert, was zu einer Neubewertung führt.

Ich hatte mich in den Jahren nach 1996 wieder und wieder gefragt, wie ich den Ort finden könnte, der in der letzten Szene spielt. Es war definitiv in einer Großstadt (ich vermutete: Berlin). Und es gab da einen Schriftzug über der Autowerkstadt. In dem Namen kam ein O vor, mit einem komischen Aussehen. Ich meine mich erinnern zu können, dass das O vorne stand.

Ich versuchte nach Werkstätten mit O in Berlin zu googeln. Ich versuchte in Meditation mit dem Bild dieses O-Wortes zu sitzen. Ich versuchte sogar davon zu träumen und so an eine tiefere Bewusstseinschicht zu gelangen. Eines morgens wachte ich auf. Es muss etwa im Jahr 2003 gewesen sein. Ich hatte im Traum versucht diesen Ort zu finden. Und als ich aufwachte war ich ganz verwirrt. Es war wie ein Buchstabenrätsel, von dem ich geträumt hatte. Ein Buchstabenrätsel, das auf dem Dach dieser Autowerkstatt im Traum stattfand. Ich versuchte diese vim Traum vollkommen verschwommene Schrift zu erkennen, das komische O konnte ich deutlich sehen. Und das verrückte: es waren in diesem Traum zwei O! Ich hatte ein Wort gesehen mit zwei O, vorne. Da ganz vorne zwei O aber nicht sein können, hatte ich versucht, eines davon weiter nach hinten zu schieben, aber es wanderte immer wieder nach vorn.

Kann das sein? Was soll das? In meiner Vision während der Meditation war eindeutig nur ein O! Und es war vorne. Kann der erste Buchstabe eine O gewesen sein und dann etwas später noch ein O? Nein, in der Vision war nur ein O. Und es war vorne. Dieser Traum musste ein Fehler gewesen sein, dachte ich. Ich wusste nicht, dass in meinem Unterbewussten ein entscheidender Hinweis zu finden war.

Ich nahm an, dass dies ein Irrtum war, das mein Traum kein Hinweis enthielt und beachtete ihn daher nicht mehr.

Dass ich dennoch den Ort fand, kam durch eine Reihe äußerst merkwürdiger Umstände, die mich ausgerechnet ins Frankfurter Ostend verschlugen, wo ich ab 2004 für fünf Jahre wohnte, sie sind in Szene 106 „Liebe, Verblendung und Amitabha“ beschrieben.


IM Jahe 2021 ist mir die Lösung aufgefallen, auf den mich mein Traum hindrängte, als ich versuchte den Schriftzug zu erkennen. Zwei O! Und sie wollten beide an den Anfang des Wortes, obwohl das doch gar nicht sein konnte, wie ich dachte, da es kein deutsches Wort mit zwei O am Wortanfang gab. Ich fagte mir damals sogar kein DEUTSCGES Wort mit O, weil ich sowohl eines kannte, das mit zwei O Beginnt, aber das ist ein Ort in Holland, und mein Traum spielte definitiv in Deutschland. Kein deutsches, aber ein belgisches: der Fährhafen Oostende! Das war der Hinweis auf den Namen der Autowerkstatt: Ostend-Garage. Die Lösung lag so nah! Der Frankfurter Stadtteil Ostend ist nur gut 20 km von meiner damaligen Wohnung entfernt.

Aber der „Ozean der Leerheit“, oder wie immer man das Transzendente nennen mag, wusste Abhilfe. Wenn ich zu dumm war, meinen Traum zu deuten, dann mussten mich eben die Kräfte des Transzendenten auf andere Weise an den Ort führen, der mir aufzeigen konnte, dass meine Vision eines früheren Lebens im Jahre 1996 Realität war. Und dafür sorgte Amitabha, indem er mich 2004 nach Frankfurt sandte, genauer: ins Ostend.

Und nunmehr bin ich mir sehr sicher, dass meine Vision einer früheren Existenz echt war!


Im März 2023 suchte ich im Internet nach den Begriffen  "Spaten" und "Reichsparteitagsgekände", weil mich der Satz in meinem Meditationsbericht "Manche Trupps hatten Hakenkreuzfahnen dabei, manche Gewehre, wir hatten Spaten" verwunderte. Ich fand ein Bild des Bundesarchives:

Bundesarchiv_Bild_183-C12671,_Nürnberg,_Reichsparteitag,_RAD-Parade

Es folgt die historische Originalbeschreibung, die das Bundesarchiv aus dokumentarischen Gründen übernommen hat. Nürnberg, Reichsparteitag, RAD-Parade Reichsparteitag 1937. Der große Aufmarsch der 38 000 Arbeitsdienstmänner vor dem Führer. auf.´ dem Zeppelinfeld [Nürnberg.- Reichsparteitag der NSDAP, "Reichsparteitag der Arbeit", Parade von Männern des Reichsarbeitsdienstes mit geschultertem Spaten vor Adolf Hitler im Auto stehend, 6.-13. September 1937] 


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