Geschichten aus dem Vajrayana-Buddhismus
Padmasambhava
erzählt von Horst Gunkel
(c) Copyright by Horst Gunkel - letzte Änderungen 2015-01-29

Wenn der Eisenvogel fliegt
Und die Reitpferde auf Rädern rollen,
dann wird der Mann aus dem Schneeland (Tibet)
seine Heimat verlassen müssen wie die Ameisen,
und der Dharma wird die Länder
des rotwangigen Mannes erreichen.
Prophezeiung des Padmasambhava aus dem 8. Jahrhundert

Wer ist dieser Mann, den die Tibeter als „den zweiten Buddha“ verehren?

Um die Mitte des 8. Jahrhunderts unserer Zeitrechnung bat König Trisong Detsen von Tibet den großen Weisen Santaraksita aus Nalanda nach Tibet zu kommen, um den Dharma zu verbreiten. Nalanda in Nordindien war die größte Klosteruniversität, die es jemals gab. Hier lehrten und studierten bis zu 15.000 Mönche.

Doch Santaraksita hatte wenig Erfolg. Das Kloster, das er erbaute, wurde schon bald zerstört, der Sage nach von Dämonen. Da resignierte Santaraksita, nicht ohne dem König den entscheidenden Tipp zu geben: Im Lande Urgyen lebe ein großer tantrischer Meister namens Padmasambhava, dieser allein hätte die enormen Kräfte, die nötig seien, die Dämonen Tibets zu besiegen.

Damals war die vorherrschende Religion in Tibet der Bön-Kult, eine schamanisch-animistische Tradition, die die Rituale alter Naturreligionen bewahrt hatte. Dämonen und Geister sowie unterschiedlichste - häufig zornvolle - Gottheiten spielten hier eine Hauptrolle.

Pamasambhava („Der Lotusgeborene“) war nicht nur ein profunder Kenner des Mahayana-Buddhismus, sondern er beherrschte auch allerlei magische Praktiken und tantrische Rituale. Er behauptete von sich selbst, nicht von einer Mutter geboren, sondern als „Erscheinung“ in die Welt gekommen zu sein. Er erzählte, der Buddha Amitabha hätte von seiner Zunge einen roten Lichtstrahl ausgesandt. Dieser habe einen See berührt, auf dem sich alsdann eine Lotusblume öffnete. Nun projizierte Amitabha aus seinem Herzen die Silbe „hrih“, die sich als goldener Vajra (das härteste und klarste Material im Universum) im Zentrum des Lotus manifestierte. Dies transformierte sich in eine achtjährigen Knaben, eben den „Lotusgeborenen“.

Er wurde vom König von Uddiyana adoptiert, der ihn mit einer königlichen Prinzessin vermählen wollte. Padmasambhava aber, des weltlichen Lebens überdrüssig, verschmähte Prinzessin und Königreich und ging als heimatloser Wanderer in die Welt. Dies missfiel dem Hof und Padmasambhava wurde angeklagt, einen Minister ermordet zu haben. So wurde er auf einen Leichenfeld verbannt, wo die Toten abgelegt wurden und entweder verwesten oder von wilden Tieren zerrissen wurden. Padmasambhava nahm dies als Übungsfeld an, meditierte hier und erreichte die Erleuchtung. Des nachts erschienen auf dem Leichenfeld dakinis, himmlische Jungfrauen (etwas ähnlich den Musen aus der europäischen Antike). Diesen lehrte er den Dharma.

In vollkommener Furchtlosigkeit gestählt zog er dann durch Indien, meditierte auf Leichenfeldern und studierte, was immer sich ihm bot: Poesie ebenso wie die Heilkunde, Astrologie ebenso wie Philosophie und Kunst. Schließlich studierte er den Dharma, nahm das Mönchsgewand an, ohne auf seine nächtlichen Begegnungen mit den dakinis zu verzichten.

Dann ging er nach Urgyen zurück, wo er von den Sicherheitsbehörden erkannt und zum Tode auf dem Scheiterhaufen verurteilt wurde. Der Scheiterhaufen brannte drei Wochen, doch als sich der Rauch verzog und der König Padmasambhavas Leichnam sehen wollte, war dort ein See und auf dem tanzten Padmsambhava und Prinzessin Mandarava auf einer gigantischen Lotusblüte.

Nun bat der König Padmsambhava ihm den Dharma zu lehren. So geschah es und danach ging Padmsambhava nach Indien und lebte in Bodh Gaya. Dort erhielt er die Botschaft des tibetischen Königs.

Er begab sich also auf Wunsch des Königs nach Tibet, wo er 55 Jahre lebte und lehrte und entscheidend zum Aufkommen der Vajrayana beitrug, einer buddhistischen Richtung, die auf dem Mahayana aufbauend, magische und tantrische Rituale mit einbezieht.

Anders als Santaraksita gelang es dem Lotusgeborenen, die Dämonen zu bezwingen. Martialisch ausgerüstet, mit einer Schädelschale in der Hand und mit Fellen behängt, forderte er sie zum Kampf auf den Leichenfeldern heraus. Wie immer dies abgelaufen sein mag, eines ist sicher: seine absolute Furchtlosigkeit und sein enormes Selbstbewusstsein beeindruckten die Tibeter so sehr, dass sie ihm abnahmen, stärker zu sein als die ärgsten Dämonen.

So verkündete er, er habe im Kampfe die Dämonen geistig und körperlich herausgefordert. Jene, die bereit gewesen seien, zum Dharma zu konvertieren, habe er zu Beschützern des Dharma ernannt, die übrigen Dämonen habe er leider, leider töten müssen. Noch heute gelten die besiegten Dämonen in Tibet als Beschützer des Dharma, und man kann die eigentümlichsten dieser Gestalten in Tempeln sehen. Auf diese Art wurde die alte animistische Kultur Tibets von Padmsambhava nicht zerstört, sondern in den Buddhismus integriert. 779 wurden die ersten tibetischen Mönche ordiniert. Santaraksita und Padmsambhava übersetzten dann den kompletten Pali-Kanon ins Tibetische und ins Chinesische.

Padmsambhava stellte aber auch fest, dass seine Schüler noch nicht reif waren für eine Reihe von Lehren. Also, so heißt es, versteckte er esoterische Texte in Höhlen in ganz Tibet und hypnotisierte seine Schüler, dass sie auf einen bestimmten Schlüsselreiz hin sich dorthin begäben und diese Schriften finden würden, die sog. termas. Und das soll sogar noch nach vielen Jahrhunderten mit den Reinkarnationen dieser Schüler, den tertons, funktionieren. Der bekannteste dieser Texte ist das Bardo Thödol, im Westen baknnt als das "Tibetanische Totenbuch".

Ein gutes Bild seines immensen Selbstbewusstseins gibt Padmasambhavas erste Begegnung mit König Trisong Detsen wieder. Selbstverständlich durfte man sich dem König nur gebeugt nähern. Man hatte sich vor ihm niederzuwerfen und darauf zu warten, dass der König huldvoll gewährte, sich zu setzen – natürlich auf den Boden, während der König auf seinem hohen Thron residierte. Und selbstverständlich durfte man die Rede nur an den König richten, wenn dieser einen dazu aufforderte.

Das war natürlich mit Padmasambhava nicht zu machen. Als die Diener die Tür öffneten und den großen Guru ankündigten, stand niemand vor der Tür. Alle waren bestürzt – wo konnte der Meister des Tantra wohl sein. Dieser kam – wie es sich für einen großen Magier gehört – nicht durch die Tür, sondern durch das Fenster geflogen. Und das war sein Gruß an den großen Herrscher:

König von Tibet, du rotgesichtiger Wilder,
dein Geist ist aufgeblasen von weltlicher Eitelkeit.

Stolz ist die Ursache, in dieser elenden Welt geboren zu werden.

Bist nicht du es, der Herrscher von Tibet,
der geschmückt ist mit den fünf Geistesverfehlungen?

Du bist aufgeblasen von deiner großen Herrschaft.

Ich werde mich nicht niederwerfen vor dem König von Tibet!
Aber den ganz netten Kleidern, die du trägst, erweise ich meine Referenz.

Doch auch diese Referenz vor den Kleidern erwies sich als von etwas eigentümlicher Art. Guru Padmasambhava hob seine Hand zu einer Geste der Huldigung, ließ daraus Lichtstrahlen hervorschießen, die die Gewänder des Königs verbrannten. Die Minister und Höflinge waren entsetzt, als der König nunmehr nackt vor ihnen stand. Dieser jedoch verneigte sich vor Padmasambhava und setzte sich auf dem Boden nieder, worauf der große Guru auf dem Thron Platz nahm und dem König so wie allen, die nicht vor Entsetzen geflohen waren, eine Lehrrede hielt.

Der König war ganz begeistert von dieser Lehrrede und er versprach Padmasambhava, ihm jeden Wunsch zu erfüllen.

Padmasabhava akzeptierte huldvoll. Aber er wäre nicht Padmasambhava gewesen, wenn er nicht einen äußerst ungewöhnlichen Wunsch geäußert hätte; er, der Mönch, verlangte von König Trisong Detsen dessen Gemahlin zur Frau. Die Ehe wurde sofort vollzogen.



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Das Blatt (ficus religiosa) im Hintergrund dieser Seite stammt vom Bodhi-Baum aus Anuraddhapura in Sri Lanka. Dieser ist ein direkter Abkömmling des Baumes, unter dem der Buddha seine Erleuchtung hatte.