Frankfurter Rundschau 2000 vom 12. September 2000


Das kurze Gedächtnis der Angela Merkel

Die CDU-Chefin war früher selbst eine Befürworterin der ökologischen Steuerreform / Lange Debatte in der Union

Von Joachim Wille (Frankfurt a. M.)
"Weg mit dieser K.O.-Steuer" heißt es auf Aufklebern, Plakaten, Flugblättern und natürlich im Internet. CDU-Chefin Angela Merkel hat eine Kampagne gegen die Ökosteuer von Rot-Grün gestartet. Dass sie selbst früher eine Anhängerin einer Energieverteuerung im nationalen Alleingang war, die im Gegenzug eine Senkung der Kosten der Arbeit ermöglicht, scheint sie komplett vergessen zu haben.

Bei der Vorstellung der Kampagne in Berlin verteidigte Merkel die Aktion gegen den Populismusvorwurf ausdrücklich "auch als ehemalige Umweltministerin". Die Ökosteuer sei ein "schwerer Fehler", und die Union stehe hier voll an der Seite der Bürger. 1995 etwa hörte sich das ganz anders an. Im Bundestag sagte Merkel damals, eine Steuer auf das bei der Verbrennung von Kohle, Öl und Erdgas freiwerdende Treibhausgas CO2 müsse Deutschland auch dann einführen, "wenn sich in Brüssel überhaupt nichts bewegt", also im Alleingang. Zu der Zeit lag ein Vorschlag der EU-Kommission zur EU-weiten Einführung einer CO2-Steuer vor, der jedoch von einer Reihe Mitgliedsländern bekämpft wurde - und bis heute hat sich hier nichts bewegt. Nach Merkels Logik wäre die rot-grüne Ökosteuer, die die energie-intensive Industrie wegen möglicher Wettbewerbsverzerrungen weitgehend ausnimmt, nur folgerichtig.

Aber Merkel beließ es als Umweltministerin nicht nur bei allgemeinen Bekundungen pro Ökosteuer. In ihrem Haus wurde ebenfalls 1995 ein Konzept dafür ausgearbeitet. Der Liter Benzin und Diesel solle jährlich drei Pfennig, die Kilowattstunde Strom 0,9 Pfennig teurer werden. Im Jahr 2005 hätte das Aufkommen 23,4 Milliarden Mark betragen. Der Löwenanteil wäre nach dem Merkel-Konzept in eine Senkung der Einkommen- und Lohnsteuer sowie der Körperschaftssteuer geflossen.

In der CDU war seit dem Hamburger Parteitag 1992 intensiv über notwendige Änderungen am Niveau der Energiepreise und der Arbeitskosten diskutiert worden. Damals proklamierte die Union das Leitbild der ökologisch-sozialen Marktwirtschaft, und eine Steuerung durch Steuern passte ideal zu diesem Konzept. Der damalige Umweltminister Klaus Töpfer zum Beispiel plädierte für eine jährliche Anhebung des Spritpreises um zehn Pfennig ("Töpfer-Treppe"). Nach der Neuauflage der CDU/FDP-Koalition 1994 setzte die Union dann eine Arbeitsgruppe unter Leitung des Finanzexperten Hans-Peter Repnik ein, die Vorschläge für ein stufenweises, behutsames Vorgehen bei der Energiesteuer-Einführung erarbeiten sollte. Unter den Teilnehmern: Merkel und der einflussreiche CSU-Finanzpolitiker Kurt Faltlhauser. Die Ergebnisse wurden im Sommer 1995 vorgestellt, und Repnik bekundete, dass ein nationaler Alleingang zwar nicht unproblematisch, aber bei einem "behutsamen Vorgehen" durchaus realisierbar sei.

Doch dann kam die Wende. Im November desselben Jahres ruderte die Union zurück. Nur noch EU-weit oder gar nicht dürfe eine "CO2/Energiesteuer" kommen. Ein wände hatte besonders die CSU vorgebracht. Den Ausschlag aber dürfte ein Gespräch des damaligen Bundeskanzlers Helmut Kohl mit Industriepräsident Hans-Olaf Henkel und BASF-Vorstandschef Friedrich Strube im Oktober gegeben haben, beide erklärte Gegner der Ökosteuer. Danach jedenfalls war das Projekt mausetot. Unions-Fraktionschef Wolfgang Schäuble, der hinter Repnik stand, habe "geschäumt", wurde damals kolportiert.

Schäuble sorgte mit dem Thema Ökosteuer später erneut für Furore. In den CDU-Programmentwurf für die Bundestagswahl 1998 ließ er die Forderung nach einer Energieverteuerung wieder aufnehmen; sie solle durch einen höheren Mehrwertsteuersatz für Energie erreicht werden (weil dieser die Wirtschaft nicht träfe). Umso grotesker erschien es da, dass die Union zu dieser Zeit gerade ihre erste Kampagne gegen die Ökosteuer-Pläne von Rot und Grün fuhr. Motto: "Lass dich nicht anzapfen". Aber wie sagte Schäuble: "Die Einwände, denen dieses Unternehmen (die Ökosteuerreform, d. Red.) begegnet, sind mir wohlbekannt, sie scheinen mir nur letzlich nicht durchgreifend."

Merkel sah das wohl ähnlich: Sie schlug 1998 eine Erhöhung des Spritpreises um jährlich fünf Pfennig vor - auf dem CDU-Forum "Bewahrung der Schöpfung".



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