Besuch des Königs
erzählt von Saddhaloka, deutsch von Horst Gunkel
(c) Copyright by Saddhaloka and Horst Gunkel - letzte Änderungen 2007-01-12

Einst weilte der Buddha mit etwa 1250 Mönchen in Rajagaha im Mangohain des königlichen Leibarztes Jivaka. Es war eine klarer Vollmondabend und König Ajatasattu von Maghada saß auf dem Dach seines Palastes im Kreise seiner Höflinge. Der König wurde von seinem Gewissen geplagt, denn er hatte ein Komplott gegen seinen Vater geschmiedet, den König Bimbisara, der ein Freund und enger Vertrauter des Buddha war. Als König Bimbisara von diesem Verrat erfahren hatte, hatte er den Thron aus freien Stücken an seinen Sohn Ajatasattu übergeben, aber dennoch hatte der ebenso ängstliche wie misstrauische Prinz seinen Vater eingekerkert und dort schließlich verhungern lassen.

„Dies ist ein wundervoller Vollmondabend“, sprach Ajatasattu, „eine sehr günstige Gelegenheit um einen der Heiligen aufzusuchen, dessen Rat mein Gemüt beruhigen könnte.“

Einer nach dem anderen schlugen nun seine Minister und Berater verschiedene Heilige vor, doch der König nahm jeden Vorschlag mit eisernem Schweigen entgegen. Er hatte jeden von ihnen bereits besucht und befragt, aber ohne Erfolg. Als keine weiteren Vorschläge kamen, wandte sich Ajatasattu an seinen Arzt Jivaka:

„Jivaka, mein Freund, warum sagt Ihr nichts?“

Nunmehr sprach Jivaka: „Sir, da wäre noch Gotama, der Buddha. Er hält sich zur Zeit mit 1250 Mönchen in meinem Mangohain auf. Wenn Ihr ihn besuchen würdet, könnte er Euch vielleicht dabei helfen, Euer Gemüt zu beruhigen.“

Ajatasattu überdachte den Vorschlag: „Gut, Jivaka, lasset uns ihn besuchen. Meine Elefanten sollen für einen Ausritt bereit gemacht werden.“

Der König hatte nicht vor, allein dort hin zu gehen. Neben dem königlichen Elefanten, auf dem er gemeinsam mit Jivaka ritt, waren weitere 500 Elefanten mit von der Partie. Diese trugen seine Frauen, eine ganze Kompanie Soldaten und die Fackelträger. Langsam wand sich die Kolonne aus der Stadt heraus und die Landstraße entlang bis zu Jivakas abgelegenem Mangohain. Als sie den Mangohain erreichten, schien die Luft vor ungeheuerlicher Stille zu beben, und Ajatasattu bekam Angst, so dass ihm die Haare zu Berge standen.

„Jivaka, betrügst du mich etwa?“ fragte er, „führst du mich in einen Hinterhalt, den mir meine Feinde gestellt haben? Du hast mir gesagt, der Buddha sei mit 1250 Mönchen da. Aber man hört keine einzige Stimme, kein Husten, kein Niesen. Warum das?“

„Majestät, Ihr müsst Euch nicht fürchten. Ich würde Euch niemals betrügen oder an Eure Feinde verraten. Seht Ihr jenes Licht dort drüben? Dort sitzt der Buddha mit seinen Mönchen. Wir sollten jetzt hingehen.“

Nachdem sie mit den Elefanten so weit wie möglich geritten waren, stiegen Jivaka und Ajatasattu ab und betraten den Mangohain. Dort erwartete sie ein bemerkenswerter Anblick. In einem kleinen Pavillon, den Rücken an eine Säule gelehnt, saß der Buddha. Um ihn herum saßen - in absoluter Stille, ruhig wie ein See - Hunderte Mönche und meditierten.

„Wenn es doch auch meinem Sohn vergönnt wäre, solche Ruhe und solchen Frieden zu empfinden“, sagte Ajatasattu tief bewegt.

Der König näherte sich respektvoll dem Buddha und ließ sich an seiner Seite nieder. Er stellte viele Fragen und der Buddha antwortete mit spirituellen Lehren. Lange saßen sie so nebeneinander, und Ajatasattu war sichtlich ergriffen von dem Gespräch. Er bat als Laienanhänger akzeptiert zu werden und gestand seinen großen Fehler ein, seinen Vater getötet zu haben.

Der Buddha nahm das Eingeständnis entgegen und akzeptierte ihn als Schüler und – nach der üblichen Abschiedszeremonie – gingen sie auseinander. Als der König gegangen war, erklärte der Buddha, dass des Königs Schicksal besiegelt sei. Seine Taten würden ihn bald einholen. Aber er meinte damit keineswegs den Tod seines Vaters, sondern dass er noch in dieser Nacht zur Wahrheit finden würde und fest auf dem Weg zur Erleuchtung sei.



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Das Blatt (ficus religiosa) im Hintergrund dieser Seite stammt vom Bodhi-Baum aus Anuraddhapura in Sri Lanka. Dieser ist ein direkter Abkömmling des Baumes, unter dem der Buddha seine Erleuchtung hatte.