Eine jugendliche Herausforderung
erzählt von Saddhaloka, deutsch von Horst Gunkel
(c) Copyright by Saddhaloka and Horst Gunkel - letzte Änderungen 2014-03-05

Der Buddha war mit einer großen Anzahl von Mönchen unterwegs im Königreich Kosala, als sie zu einem Brahmanendorf namens Opasada kamen. Wie es so ihre Art war, lagerten sie knapp außerhalb des Ortes in einem hübschen Wäldchen aus Sal-Bäumen. Opasada war ein reiches Dorf, und der Brahmane Chanki war von König Pasenadi zum Bürgermeister des Dorfes ernannt worden. Als sich die Nachricht verbreitete, dass der Buddha da sei und in dem Sal-Wäldchen lagerte, strömten zahlreiche Brahmanen aus dem ganzen Dorf zusammen, um ihn zu treffen. Wenn ein bekannter weiser Mann im einem Dorf ankam, war das immer etwas, was die Menschen nicht verpassen wollten.

Chanki hatte sich aufs Dach des Rathauses begeben und ruhte in der mittäglichen Hitze aus. Er sah die Menge aus dem Dorfe strömen und wollte wissen, was los sei. Sein Diener berichtete ihm, dass Gotama, der Buddha, im Sal-Wäldchen eingetroffen sei, und also entschloss sich auch Chanki, den berühmten Weisen aufzusuchen. Er bestellte seinem Diener, die anderen sollten auf ihn warten, damit er mit ihnen zusammen hingehen könne.

Zu dieser Zeit befand sich gerade eine Anzahl angesehener Brahmanen aus dem Nachbarkreis auf Geschäftsreise in Opasada, und als diese hörten, dass Chanki die Absicht hatte, den Buddha aufzusuchen, waren sie alles andere als begeistert. Sie gingen zum Rathaus, um ihn von seinem Vorhaben abzubringen. „Bitte besuche nicht den Wanderer Gotama“, baten sie, „es ist unangemessen, wenn der hohe Bürgermeister Gotama besucht, vielmehr sollte Gotama herkommen und dem Bürgermeister seine Referenz erweisen.“ Sie waren besorgt darüber, dass ein Brahmane von Rang und Namen eine unterwürfige Geste gegenüber einem umherziehenden heiligen Mann wie Gotama zeigen wollte.

Zu jener Zeit gab es in Indien zwei unterschiedliche  religiöse Traditionen. Da war auf der einen Seite die Tradition der Veden, deren Wissen und Rituale in der Hand der priesterlichen Brahmanenkaste lagen und von Generation zu Generation weitergegeben wurde. Diese Kaste wachte eifersüchtig über ihr Ritualmonopol. Auf der anderen Seite gab es da die vielschichtige und farbenprächtige Kultur der Schramaneras, der wandernden Heiligen. Diese pflegten nicht die althergebrachte Tradition der Veden, sondern gründeten auf eigenen spirituellen Erfahrungen, die sie auf vielfältigste Art zu erreichen suchten. Diese beiden Richtungen existierten nebeneinander, es gab zwar auch Überlappungen zwischen beiden, aber natürlich standen diese Richtungen in Konkurrenz zueinander. Die brahmanischen Besucher hatten nun Bedenken, dass Chanki mit seinem Besuch beim Schramanen Buddha zeigte, dass ein Schramane weiser und höher entwickelt sein konnte als ein Brahmane.

Chanki allerdings sah hierin kein Problem, und also widerstand er den Einwänden seiner Besucher. Er bestand nicht nur darauf, zum Buddha zu gehen, er verlangte auch, dass die Besucher sich ihm anschließen sollten. Da man einem Mann im Range eines Bürgermeisters gehorchen musste, hatten sie keine andere Wahl, als mitzukommen.

Und so ging eine große Menge von Brahmanen zusammen mit Chanki zum Sal-Wäldchen. Man begrüßte einander respektvoll, man setzte sich, und der Buddha begann eine Diskussion über unterschiedliche Themen mit einer Anzahl gebildeter und respektierter Brahmanen. Unter den Brahmanen, die unter Chankis Führung gekommen waren, befand sich ein außergewöhnlicher Jüngling namens Kapathika. Obwohl er gerade einmal sechzehn Jahre alt war, hatte er die brahmanische Ausbildung bereits abgeschlossen und war ein anerkannter Meister der Veden. Er mischte sich in die Diskussion ein, was dazu führte, dass der Buddha ihn ermahnte, nicht außerhalb der üblichen Redeliste, die den Alter nach vorging, in die Diskussion einzugreifen. Chanki ergriff Partei für den Jüngling, indem er unterstrich, dass dieser trotz seiner Jugend ein anerkannter Meister der Veden sei, dass er an der Diskussion ruhig teilnehmen solle. Der Buddha sah, dass er ein ungewöhnlicher junger Mann sein müsse und erlaubte ihm mitzudiskutieren.

Kapathika hatte nun Selbstvertrauen gefasst und wollte ein Zeichen setzen, indem er dem Buddha eine Frage stellte: „Meister Gotama, nach der Tradition der Brahmanen ist alle Wahrheit in den Veden zu finden, nirgendwo sonst, wie stehen Sie zu dieser Behauptung?“

Die beiden Traditionen der Brahmanen und der Schramaneras standen nun in offener, wenn auch höflicher, Konfrontation zueinander. Der Buddha antwortete unverzüglich und direkt: „Brahmanen, ist da irgendeiner unter euch, der sagen kann: `Ich weiß alles, ich habe die Wahrheit über die Natur der Dinge selbst gesehen und kann mit Sicherheit sagen, dass sie so ist und nicht anders?´ Gibt es hier unter euch Lehrern irgendeinen, der das kann, oder einen den ihr kennt, vielleicht unter euren Lehrern oder deren Lehrern oder unter den Weisen vergangener Zeiten? Berufen sich nicht selbst die Weisen vergangener Zeiten immer auf ihre Lehrer? Ist es dann nicht so, dass ihr Brahmanen wie eine Reihe blinder Männer seid, von denen jeder am Hemdenzipfel seines Vordermannes hängt und von denen keiner, weder weiter vorn noch weiter hinten, irgend etwas selbst gesehen hat? Mir scheint euer Vertrauen in eure Tradition steht auf wackligen Füßen.“

Nun hielten jene Brahmanen, die Chanki versucht hatten, vom Gang zum Buddha abzuhalten, die Luft an. Sie sahen ihre schlimmsten Befürchtungen bestätigt, denn dieser Schramanera ließ sie dastehen wie Tölpel. „Wenn bloß dieser Bengel seinen Schnabel gehalten hätte“, sagte einer zum anderen. Aber dafür war es jetzt zu spät. Kapathika dachte jedoch gar nicht daran, sich so leicht geschlagen zu geben: „Gut, Herr Gotama, aber wir Brahmanen haben nicht nur unser Vertrauen in die Tradition, wir hören vielmehr genau darauf, was sie uns sagt.“

Der Buddha für seinen Teil ließ ebensowenig locker: „Zuerst hast du Vertrauen in die Tradition erwähnt, jetzt redest du davon zu interpretieren, was die Tradition lehrt. Wir können sogar von fünf Dingen sprechen: Vertrauen, Vorliebe, Interpretation der Tradition, rationales Erwägen und Reflexion über und Bekenntnis zu einer Meinung. Aber schau genauer hin. Man kann Vertrauen darauf haben, dass etwas wahr ist, und doch ist es falsch. Das gleiche gilt für alle diese fünf Möglichkeiten, für Vertrauen, Vorliebe, Interpretation der Tradition, rationales Erwägen und Reflexion über und Bekenntnis zu einer Meinung. Jedes davon kann ein Grund sein, etwas vorläufig für wahr zu halten, aber wir müssen doch einsehen, dass das nicht dasselbe ist wie wirklich zur Einsicht in die Wahrheit zu kommen. Es ist nicht das gleiche, wie die Wahrheit aus tiefstem Wesen begriffen zu haben.“

„Und wo bitte, Herr Gotama, kommt dieses Erwachen zur Wahrheit, von dem Ihr redet, dann her?“ fragte Kapathinka. Als Antwort legte der Buddha dem Jüngling den gesamten spirituellen Prozess dar. Er führte aus: „Stell dir vor, ein wandernder Heiliger kommt in dein Dorf oder deine Stadt. Zuallererst musst du ihn dir genau ansehen. Du musst dich fragen, ob sein Benehmen im Einklang steht mit dem, was du von jemandem erwarten würdest, der frei ist von Gier, Ablehnung und Verblendung. Dann musst du dir anhören, was er lehrt und dich fragen, ob das, was er lehrt, frei ist von Gier, Ablehnung und Verblendung. Du musst dich fragen, ob die Menschen, wenn sie ihm folgen, in die Freiheit geführt werden oder in noch größere Abhängigkeit. Wenn du alles dies gemacht hast und du mit den Antworten zufrieden bist, dann beginnt wahres Vertrauen in diesen Heiligen zu wachsen, du kannst näher heranrücken und seinen Lehren sorgfältiger zuhören.

Merke dir die Lehren und reflektiere ihre Bedeutung im Lichte deines klaren Verstandes und versichere dich, dass du sie wirklich verstanden hast. Dadurch entsteht in dir der Wunsch, sie dir voll und ganz zu eigen zu machen, dass sie deine eigene Natur werden. So wirst du wahre Fortschritte machen. Dann aber, etwas später, musst du innehalten und deine Fortschritte bewerten. Bist du immer noch überzeugt, dass dieser Lehrer frei ist von Gier, Ablehnung und Verblendung und dass diese Lehren in der Tat in Richtung Befreiung führen? Wenn du diese Bewertung durchgeführt hast und dein Vertrauen in deinen Lehrer und den Pfad, dem er folgt, gefestigt ist, dann höre weiter zu. Nimm weitere Lehren an und praktiziere sie eifrig. Und gelegentlich halte erneut inne und bewerte deine Fortschritte. Wenn du immer so weiter machst, wirst du schließlich zu einem Punkt kommen, an dem dein Vertrauen in die Lehre und den Pfad wirklich gefestigt ist. Dann gib dich mit ganzem Herzen deiner Praxis hin und bemühe dich, so sehr du kannst. So wirst du zum Erwachen kommen, zur Buddhaschaft.“

Der Brahmanenjüngling war von dieser Antwort höchst angetan, aber er wollte noch mehr wissen. Der Buddha hatte bisher nur vom Erwachen zur Wahrheit gesprochen. Was ist mit dem Erreichen der Wahrheit? Was mit der vollen Verwirklichung?

„Genau auf die gleiche Art. Der ganze Prozess des spirituellen Lebens verläuft so, wie ich ihn beschrieben habe. So muss geübt werden, so kommt man tiefer, so wird weiter gearbeitet, so kommt man zur Vollendung.“

Kapathika war zufrieden und sein jugendlicher Stolz schmolz dahin. Er erkannte die Begrenztheit der brahmanischen Tradition, der er bisher angehörte, und er fasste Zuversicht in den Weg der Schramaneras. Er sah, dass die Weisheit des Buddha über all das hinausging, was er bisher kennengelernt hatte, und er bat darum, als Laienanhänger akzeptiert zu werden.



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Das Blatt (ficus religiosa) im Hintergrund dieser Seite stammt vom Bodhi-Baum aus Anuraddhapura in Sri Lanka. Dieser ist ein direkter Abkömmling des Baumes, unter dem der Buddha seine Erleuchtung hatte.