Die Flechthaarasketen
erzählt von Saddhaloka, deutsch von Horst Gunkel
(c) Copyright by Saddhaloka and Horst Gunkel - letzte Änderungen 2007-01-12

Während seiner Wanderschaft kam der Buddha auch zu einem Ort namens Uruvela, wo tausend dem Feuer opfernde Asketen lebten, die ihr Haar in langen geflochtenen Locken trugen. Sie wurden angeführt von drei Saddhus, die alle drei den Namen Kassapa trugen. Kassapa von Uruvela hatte 500 Anhänger, Kassapa vom Fluß hatte 300 Anhänger und Kassapa von Gaya 200.

Der Buddha besuchte die Einsiedelei von Kassapa von Uruvela und bat darum, die Nacht im Feuertempel verbringen zu dürfen, wo der Asket sein Feuerritual durchzuführen pflegte. Kassapa hatte nichts dagegen, aber warnte den Buddha, dass ein schrecklicher Naga, eine drachenähnliche Schlange, in der Kammer leben würde. Dieser sei ungeheuer mächtig und tödlich giftig und würde ihn mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit töten. Der Buddha schien mit bester Zuversicht der Gefahr trotzen zu wollen, und so stimmte der ob dieses Ansinnens höchst verwunderte Kassapa zu, dass der Buddha in der Tempelkammer übernachten könne.

Der Buddha betrat die Kammer, legte eine Schilfmatte auf den Boden und begann zu meditieren. Als die Drachenschlange dies sah, wurde sie äußerst ärgerlich und spie Rauch in den Raum, um den Eindringling zu vertreiben. Der Buddha aber antwortete, indem er selbst eine größere Menge Rauch ausspie. Das machte den Naga äußerst wütend, und er spie nunmehr Feuer; aber der Buddha antwortete, indem er selbst eine größere Menge Feuer ausspie, so dass der Feuertempel wie ein großer Heizkessel zu glühen schien. „Nun, das ist offensichtlich das Ende jenes Mönches“, dachte Kassapa, als er dies sah. Am nächsten Morgen allerdings entstieg der Buddha zur großen Verwunderung Kassapas unverletzt der Feuerkammer und präsentierte ihm die Schlange, die jetzt klein und harmlos in seiner Bettelschale lag. Kassapa war neidvoll beeindruckt, hielt sich jedoch dem Buddha für überlegen und sagte sich: „Dieser Mönch ist in der Tat mächtig, aber er ist schließlich kein erleuchteter Meister wie ich.“

Am nächsten Abend ging der Buddha in den nahe gelegenen Wald, um dort zu übernachten. Im Laufe der Nacht erschienen die Vier Großen Könige, die im damaligen Indien als die Beschützer der Welt galten, beim Buddha, um ihm die Ehre zu erweisen und sich von ihm belehren zu lassen. Während der Lehrrede des Buddha illuminierte ein geheimnisvolles Licht den Wald und den Himmel darüber, so dass man dies von überall sehen konnte. Am Morgen fragte Kassapa, der die geheimnisvollen Vorgänge beobachtet hatte, wer ihn denn während der Nacht besucht habe. Als der Buddha ihm mitteilte, dass die Vier Großen Könige gekommen waren, um seiner Lehrrede zu lauschen, war er tief beeindruckt, aber er versicherte sich erneut: „Dieser Mönch ist in der Tat mächtig, aber er ist kein erleuchteter Meister wie ich.“

Kurz danach war es Zeit für Kassapas Feuerzeremonie, zu der die Leute aus dem Umkreis von mehreren Meilen erwartet wurden, die Nahrungsmittel und andere nützliche Geschenke bringen würden. Kassapa sagte sich, nicht völlig ohne Verzagen: „Morgen werden viele meiner Anhänger kommen. Wenn der Mönch Gotama dann einige seiner Kunststücke vor ihnen vorführt, wird seine Reputation steigen, meine aber sinken. Hoffentlich kommt er nicht.“

Der Buddha, der die Gedanken Kassapas gelesen hatte, ging weg und war während der Feuerzeremonie nicht anwesend. Am folgenden Tag versuchte Kassapa seine Erleichterung zu verbergen und Enttäuschung vorzuspiegeln: er fragte, wo der Buddha denn gewesen sei. Der Buddha sagte Kassapa gerade heraus, wie er seine Gedanken gelesen habe, und da er seine Ängste kenne, eben weggegangen sei. Kassapa fühlte sich jetzt unwohl, aber dennoch sagte er sich: „Dieser Mönch ist in der Tat mächtig, aber er ist kein erleuchteter Meister wie ich.“

Die Tage gingen vorbei und die Dinge entwickelten sich in dieser Art weiter: der Buddha ließ Kassapa immer wieder seine bemerkenswerten Kräfte verspüren und der selbstgefällige Kassapa beharrte sich selbst gegenüber: „Dieser Mönch ist kein erleuchteter Meister wie ich.“

Da der Buddha jedoch wollte, dass Kassapa die Lage richtig einschätzte, sagte er sich, ein heilsamer Schock wäre jetzt angebracht. Er sagte offen zu Kassapa: „Höre Kassapa, Du bist kein erleuchteter Meister und bist auch nicht auf dem Weg einer zu werden. Mehr noch: nichts, was Du tust, wird Dich in die Lage versetzen, jemals einer zu werden oder auch nur den Pfad zu betreten, der Dich zur Erleuchtung führt, verstanden?“

Durch diese scharfe Ansprache fiel Kassapas Selbsttäuschung in sich zusammen, und er erkannte den riesigen Unterschied zwischen sich selbst und dem Buddha. Er warf sich dem Buddha zu Füßen und bat, dass dieser ihn als Schüler akzeptieren möge. Der Buddha war erfreut, ihn in der Sangha begrüßen zu dürfen. Da Kassapa aber eine Menge Schüler hatte, die ihm vertrauten und die er zuvor zu konsultieren habe, könne er Kassapa nicht als seinen Schüler akzeptieren, bevor dieser seine Anhänger nicht von seiner Absicht unterrichtet habe, sie aus seiner Treueverpflichtung ihm gegenüber entlassen habe und sie so in der Lage versetze, sich den Pfad ihrer Wahl zu suchen. Nachdem diese Zeuge der neuesten Entwicklung geworden waren und selbst die Kräfte Buddhas gesehen hatten, entschied sich jeder der früheren Anhänger Kassapas, Schüler des Buddha zu werden. Sie schnitten sich die geflochtenen Locken ab und warfen sie in den nahen Fluss, zusammen mit ihren Ritualgegenständen und bekannten sich zum Buddha und zum Dharma.

Weiter unten am Fluss sahen Kassapa vom Fluss und seine Anhänger die Flechthaare und die Ritualgegenstände vorbeischwimmen und fragten sich, was da passiert sein könnte. Sie waren sehr besorgt, was Kassapa von Uruvela und den seinen zugestoßen sein möge, und gingen flußaufwärts, um es herauszufinden.

Als sie dies in Erfahrung gebracht hatten, fragte Kassapa vom Fluß seinen Namensvetter von Uruvela: „Ist dieser Pfad besser?“ „Ja, mit Sicherheit“, kam die Antwort. Also beriet sich Kassapa vom Fluß mit seinen 300 Anhängern, und alle beschlossen, Anhänger des Buddha zu werden. Und kurz darauf schwammen 300 weitere geflochtenen Lockenschöpfe und ebensoviele Ritualgegenstände flußabwärts.

Diese wurden entdeckt von Kassapa von Gaya und seinen 200 Anhängern, welche nun ihrerseits besorgt wurden über das Schicksal ihrer Gefährten, und sie hasteten nach Uruvela, um herauszufinden, was passiert war. Auch sie waren bald überzeugt von der Überlegenheit der Lehren des Buddha und wurden seine Anhänger. So wuchs die buddhistische Sangha um 1000 Mitglieder.



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Das Blatt (ficus religiosa) im Hintergrund dieser Seite stammt vom Bodhi-Baum aus Anuraddhapura in Sri Lanka. Dieser ist ein direkter Abkömmling des Baumes, unter dem der Buddha seine Erleuchtung hatte.