Erziehung am Rand der Globalisierung neu denken

Die ökonomische Kategorie

Für Unternehmer wird der Ausdruck Globalisierung im Zusammenhang mit "freiem Handel", "Liberalisierung", "Deregulierung" und all den anderen Worthülsen gebraucht, mit denen sie den egoistischen Standpunkt rechtfertigen, von dem aus sie ein Maximum an Vorteilen aus den Menschen und aus der Natur ziehen kön-nen.
Anlässlich des 50. Jahrestages der indischen Unabhängigkeit hat Vandana Shiva, eine sehr bekannte indische Physikerin und Sozialkritikerin einen Artikel mit dem Titel "Wie frei ist das freie Indien?" veröffentlicht, in dem sie den Dunstkreis eines neuen Imperialismus aufzeigte, der im Begriff ist sich auszubreiten. Dieser moderne Imperialismus ist im Deckmantel des "freien Handels" aufgetaucht, der jedoch weit davon entfernt ist, wirklich "frei" zu sein. Sie führt aus: "´Freier Handel´ ist die herrschende Metapher für die gegenwärtige Globalisierung. Aber statt die Freiheit der Bürger und Länder zu schützen sind die Freihandelsvereinbarungen und
-abkommen die Mittel, mit denen Zwang und Gewalt ausgeübt wird. Die Ära des kalten Krieges ist vorbei, die Ära der Handelskriege hat begonnen."

Ihre weiteren Ausführungen zeigen eine noch destruktivere und verdeckte Art des Jargons auf:
"Freier Handel ist nicht frei, denn er operiert im Interesse der multinationalen Konzerne, die über 70 % des Welthandels kontrollieren und für die internationaler Handel ein Muss ist. Die Freiheit der multinationalen Konzerne basiert auf der Zerstörung der bürgerlichen Freiheiten. Globalisierung bedeutet das Zerschlagen der Macht demokratischer Institutionen der einzelnen Länder, der Stadträte, der Gebietskörperschaften und der Parlamente."

Dennoch wurde dies von den meisten Ökonomen nicht zur Kenntnis genommen und der "freie Handel" gilt ihnen als Garant des Wohlstandes. Doch die Einkommensverteilung sollte uns daran erinnern, dass solcher Wachstum den oberen 20 % nutzt, wohingegen die Mehrheit unter Armut zu leiden hat. Der sog. "Abtropfeffekt", jahrelang gepredigt, um die am unteren Ende zeitlich zu vertrösten, hat sich als Mythos entpuppt. Die Wahrheit ist, dass sich der Reichtum des vergangenen Wirtschaftswachstums auf Kosten der Naturzerstörung in den Händen weniger Personen und Firmen konzentriert.

Ein weiterer Mythos der Weltwirtschaft ist der der Stabilität. In den letzten Jahren wurde das Wirtschaftswachstum für Thailand als hervorragend prognostiziert, als ob es niemals einen Absturz geben könnte. Jene, die es wagten, abweichende Meinungen zu äußern, wurden als "Hemmschuh des Fortschritts" und als "Pessimisten" angesehen. Weltweit teilten die meis-ten Kapitalisten diese Ansicht: sie sahen den Zusammenbruch des kommunistischen Systems als Beweis für die Nachhaltigkeit des kapitalistischen Systems an. Der gegenwärtige wirt-schaftliche Rückschlag, der gerade ist Südostasien seinen Ausgang nahm, sollte daher Anlass zum Überdenken sein.

Gerade in Thailand, das als wirtschaftlich erfolgreichste Nation galt, da es jahrelang die weltweit höchste Wachstumsrate aufwies, sendete der Rückschlag Schockwellen durch die Gesellschaft, gerade unter den Neureichen, die von den ökonomischen Seifenblasen profitiert hatten, ohne Vorsichtsmaßnahmen zu treffen.
Der starke Anstieg der Selbstmordrate in Thailand direkt nach dem Zerplatzen der ökonomischen Seifenblase liegt vermutlich darin begründet, dass der stärkste ökonomische Rückschlag seit den 30er Jahren zu stärkeren sozia-len Verwerfungen führt. Was die formelle Erziehung anbelangt, so wird berichtet, dass mindestens 20.000 Thaifamilien ihre Kinder von der Schule nehmen mussten, da ihnen entweder das Schulgeld fehlte, oder andere Ausgaben nicht mehr finanziert werden konnten. Ursache dafür ist entweder der Lohnverfall der Eltern oder deren plötzliche Arbeitslosigkeit. Tausende sind bereits entlassen und Tausende werden folgen.
Am schlimmsten aber ist der Verfall der Souveränität für Thailand als ehedem unabhängiges Land und die Verpflichtung, sich dem engen Korsett anzupassen, das die Weltbank und der IWF vorgaben, die "freundlicherweise" Geld borgten und dabei kein anderes Ziel verfolgten, als das Land für die Globalisierung zu öffnen. Wenn man die Unterzeichnung des British-Bowing-Abkommens durch die Regierung von Siam vor hundert Jahren, die unter militärischem Druck Großbritanniens erfolgte und zur raschen Reduktion der Zölle auf britische Im-portwaren führte und den Ausverkauf von Reis und anderen siamesischen Produkten bedeutete, als ersten Verlust der thailändischen Souveränität ansieht, dann ist der unterzeichnete Vertrag mit der Weltbank und dem IWF, mit denen Thailand um Kredite "bat" und die damit verbundene Knebelung akzeptierte, nichts anderes als die neuerliche Unterwerfung unter den Kolonialstatus. Ein Thai-Bankier, der die Aktienmehrheit der zweitgrößten Bank des Landes hält, sieht es so: " In der heutigen Zeit muss Kolonialismus nicht mehr notwendigerweise mit Kanonenbooten betrieben werden, Geld allein genügt."

Die Auswirkungen der Ökonomie auf Kultur und Erziehung

Seit Adam Smith´s Abhandlung "Der Reichtum der Nationen" publiziert wurde, weiß man, dass die "freie Hand" dann operieren kann, wenn Konsumwünsche da sind. Das bedeutet, dass das Wirtschaftswachstum vom starken Anstieg der Konsumnachfrage abhängig ist. Die vorherrschende Konsumkultur, die im Westen ihren Anfang hatte, ist nun der versteckte Motor, die wirtschaftlichen Kräfte voranzutreiben, in jüngster Zeit auch in den Entwicklungsländern. Konsumismus ist auf diese Weise die signifikanteste kulturelle Folge des ökonomischen Expansionismus oder - wie es die multinationalen Konzerne nennen würden - der "globalisierten Ökonomie". Aber was bedeutet diese globalisierten Ökonomie wirklich? Hele-na Norberg Hodge, die seit mehr als zwei Jahrzehnten daran arbeitet, die traditionellen Werte wiederzubeleben und die Selbständigkeit der Ladakhis, einem indigenen Volk in Nordin-dien, zu stärken, behandelt in ihrer Schrift "Buddhismus in der globalen Ökonomie" diese Frage und gab eine knappe Antwort:

"Der Präsident von NABISCO definierte sie (die globale Ökonomie) als "eine Welt homogenen Konsums" - eine Welt in der die Menschen überall die gleiche Nahrung essen, die gleiche Kleidung tragen und in Häusern wohnen, die aus den gleichen Materialien gebaut sind. Es ist eine Welt, in der jede Gesellschaft über die gleiche Technologie verfügt, abhängig von der gleichen zentrale gemanagten Wirtschaft, ihren Kindern die gleiche westliche Erziehung bietet, die gleiche Sprache spricht, die gleichen visuellen Medien konsumiert, sich an den gleichen werten orientiert und sogar den gleichen Gedanken denkt. Im Endeffekt bedeutet Globalisierung die Zerstörung der kulturel-len Vielfalt. Sie bedeutet Monokultur."

Erziehung ist die letzte Möglichkeit, sich dem Holocaust des Konsumismus zu entziehen. Die Schärfung bestimmter Werte ist unvermeidlich für das Bestreben der Wirtschaft zu globalisieren. Daher wurden die Lehrpläne in Thailand von ökonomisch entwickelteren Ländern kopiert, als die Modernisierung vor etwa 30 Jahren um sich griff. Von der Grundschule an werden die Schüler seitdem angehalten, mitein-ander in geistigen Wettstreit zu treten. Obwohl die Grundschulplätze eigentlich für jedes Kind im schulpflichtigen Alter ausreichend vorhanden sind, sind die Zugangsvoraussetzungen für die bekannteren Grundschulen straff. Wett-kampf wird einer der normalen Werte, die jeder Schüler hat oder zu denen er ermuntert wird, um auf der Karriereleiter zu überleben und natürlich um den Kampf in der globalisierten Wirtschaft zu bestehen.

Neben der Wettbewerbsfähigkeit ist ein weite-rer nüchterner Aspekt der gegenwärtigen Erziehungsmuster, vorrangig Techniker zu produ-zieren. Anstatt das Verlangen nach Wissen zu nähren, zielt die derzeitige Erziehung allein darauf ab, die Schüler mit technischen Fertigkeiten, die von den Konzernen gesucht werden, zu versorgen. Schlimmer als das ist die Geringschätzung der eigenen Wurzeln, die durch die Zentralverwaltungserziehung erzeugt wird. Die Entwurzelung der Landbevölkerung wird von der herrschenden Erziehung mit diesen Werten unbewusst mit vermittelt. Die städtische Konsumentenkultur ist an die Stelle der traditionellen Überzeugung getreten. Die Monopolisierung hat die altherebrachten Werte verwischt.

Die Wissensfabrik

Die Zeitschrift "Economist" vom 4. Oktober 1997 zeigte eine Übersicht über die Hochschulerziehung weltweit. Eines der am nachdenklichsten stimmenden Ergebnisse des Reports ist die Anpassung der Rolle der Universitäten von der wie Newman (1801-1890) es im 19. Jahr-hundert sagte "dem Streben nach Wissen um seiner selbst willen" verpflichteten Einrichtung zur "Wissensfabrik", wo das Hauptaugenmerk auf Untersuchungen, die ökonomische Interes-sen bedienen, gelegt wird. Zwei Faktoren werden als die einflussreichsten für die Entwicklung der Universitäten im 20. Jahrhundert genannt, der Sieg des Fachwissens und die Nachfrage nach Massenhochschulerziehung, die im Einklang mit dem Siegeszug der Demokratie kam.
Der erste Faktor steht in direkter Beziehung zu den Belangen der nationalen Sicherheit während der Zeit der internationalen Kriegsgefahr. Zweifellos führte der rasche Anstieg der Militärtechnologie während der beiden Weltkriege zu diesem massiven Verhängnis. der zweite Faktor führte zur Massenuniversität um der großen Nachfrage nach Hochschulbildung nachzukommen, zuerst und vor allem in den USA.

Jedoch hat die wachsende Konzernmacht, ermöglicht durch die Akkumulation von Reichtum nach mehreren Kriegen und durch die Protektion königlicher Privilegien seit der Kolonialzeit, augenscheinlich die beiden vor-genannten Faktoren ausgestochen. Heute muss jeder Beitrag, den eine Universität leistet im Einklang mit dem wirtschaftlichen Wachstum stehen, wie es das Magazin kurz und bündig formuliert hat.

Pipob Udomittipong
Vortrag im Internationalen Indischen Zentrum in Neu Delhi gehalten am 8. Dezember 1997
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