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Übungswege für engagierten Buddhismus
formuliert von
Thich Nhat Hanh
Erster Übungsweg
Aus Einsicht in das
Leid, das durch Fanatismus und Intoleranz entsteht, will ich üben,
keine Lehrmeinungen, Theorien oder Ideologien, einschließlich der
buddhistischen, zu vergöttern und diesen nicht anzuhaften. Buddhistische
Lehren sind Hilfsmittel, um durch tiefes Schauen Verstehen und Mitgefühl
zu entwickeln, und keine Dogmen, für die gekämpft, getötet
und gestorben werden sollte.
Zweiter Übungsweg
Aus Einsicht in das
Leid, das durch falsche Ansichten und falsche Wahrnehmungen entsteht, will
ich üben, nicht engstirnig und an meine gegenwärtigen Ansichten
gebunden zu sein und Nicht-Anhaften an Meinungen zu praktizieren, um für
die Erkenntnisse und Erfahrungen anderer offen zu sein. Ich bin mir bewusst,
dass mein derzeitiges Wissen keine unveränderliche, absolute Wahrheit
ist. Wirkliche Einsicht entsteht durch achtsames tiefes Schauen und tiefes
Zuhören, durch das Erlöschen aller Ansichten und Konzepte und
nicht durch die Anhäufung begrifflichen Wissens. Deshalb will ich
üben, mich nicht in meinen Ansichten und Konzepten zu verfangen, sondern
mein ganzes Leben lernbereit zu sein und die Wirklichkeit in mir und um
mich herum in jedem Augenblick achtsam wahrzunehmen.
Dritter Übungsweg
Aus Einsicht in das
Leid, das durch das Aufzwingen von Meinungen entsteht, will ich üben,
niemanden, auch Kinder nicht, durch irgendwelchen Druck dazu zu bringen,
meine Meinung zu übernehmen; weder durch Autorität, Drohung,
Geld, Propaganda noch Indoktrination. Ich will das Recht anderer achten,
verschieden zu sein und selbst zu entscheiden, was sie glauben und zu welchen
Schlussfolgerungen sie gelangen wollen. Ich will jedoch versuchen, anderen
einfühlsam zu helfen, auf Fanatismus und Engstirnigkeit zu verzichten.
Vierter Übungsweg
Aus Einsicht, dass das
Leiden seinem Wesen nach uns helfen kann, unser Mitgefühl zu nähren
und uns den Weg zur Beendigung des Leidens zu weisen, will ich üben,
den Kontakt mit dem Leiden nicht zu vermeiden und meine Augen vor dem Leiden
nicht zu verschließen. Ich will die Bewusstheit für die Existenz
des Leidens im Leben der Welt nicht verlieren, sondern den Kontakt mit
denen, die leiden, suchen, um ihre Lage besser zu verstehen und zu ändern.
Durch persönlichen Kontakt, Besuche, Bilder, Töne oder auf anderem
Wege will ich mich und andere wach machen für die Wirklichkeit des
Leidens in der Welt. Ziel unseres Übens ist die Verwandlung von Leiden
in Freude und Frieden; ich weiß, dass dieses Ziel, die Edle Wahrheit
über den Weg zur Befreiung vom Leiden, nur durch ein tiefes Verständnis
der Natur des Leidens erkannt und verwirklicht werden kann.
Fünfter Übungsweg
Aus Einsicht, dass wahres
Glück nur aus Frieden, Stabilität, Freiheit und Mitgefühl
und nicht aus Reichtum und Ansehen erwächst, will ich mich darin üben,
weder Ruhm, Gewinn, Wohlstand noch sinnliches Vergnügen zum Ziel meines
Lebens zu machen und keinen Reichtum anzuhäufen, während Millionen
hungern und sterben. Ich will einfach leben und meine Zeit, Energie und
materiellen Mittel mit denen teilen, die ihrer bedürfen. Ich mache
es mir zur Übung, achtsam zu essen, zu trinken und zu konsumieren
und auf Alkohol, Drogen und alle sonstigen Dinge zu verzichten, die mir
körperlich oder geistig schaden können.
Sechster Übungsweg
Aus Einsicht in das
Leid, das durch Hass und Ärger entsteht, will ich üben, mich
um die Energie des aufsteigenden Ärgers gut zu kümmern und die
Samen des Ärgers in den tiefen Schichten meines Bewusstseins zu erkennen
und zu verwandeln. Ich will nichts tun oder sagen, wenn Ärger mich
zu überwältigen droht, sondern achtsam atmen oder gehen, um die
Gegenwart meines Ärgers anerkennen, ihn mit Achtsamkeit umarmen und
tief in sein Wesen schauen zu können. Auch will ich lernen, mit den
Augen des Mitgefühls tief in das Wesen des Menschen zu schauen, den
ich für die Ursache meines Ärgers halte.
Siebter Übungsweg
Aus Einsicht, dass ein
glückliches Leben nur im gegenwärtigen Augenblick möglich
ist, will ich üben, jeden Augenblick meines Lebens tief zu leben,
mich nicht im Bedauern über die Vergangenheit oder in Sorgen über
die Zukunft zu verlieren und mich nicht in den Gefühlen wie Gier,
Ärger oder Neid zu verfangen, die die Gegenwart in mir auslöst.
Ich will die Kunst des achtsamen Lebens lernen und in Kontakt mit dem Wunderbaren,
Erfrischenden und Heilenden in mir und um mich herum sein, um die Samen
der Freude, des Friedens, der Liebe und des Verstehens zu stärken
und die Arbeit der Verwandlung und Heilung in den Tiefen meines Bewusstseins
zu unterstützen.
Achter Übungsweg
Aus Einsicht, dass mangelnde
Kommunikation Trennung und Leiden hervorbringt, will ich mitfühlendes
Zuhören und liebevolles Sprechen üben. Ich will tief zuhören,
ohne zu urteilen oder zu kritisieren, und keine Anstrengung scheuen, um
die Kommunikation wieder in Gang zu bringen, zu versöhnen und Konflikte
zu lösen, so klein sie auch sein mögen.
Neunter Übungsweg
Aus Einsicht, dass Worte
sowohl Glück als auch Leid hervorrufen können, will ich wahrhaftig
und aufbauend reden lernen und Worte gebrauchen, die Selbstvertrauen, Freude
und Hoffnung fördern. Ich mache es mir zur Übung, weder aus Eigeninteresse
noch um andere zu beeindrucken die Unwahrheit zu sagen, keine Neuigkeiten
zu verbreiten, deren ich mir nicht sicher bin, nichts zu kritisieren oder
zu verurteilen, worüber ich nichts Genaues weiß, und keine Worte
zu gebrauchen, die Spaltung, Hass oder Zwietracht auslösen können.
Ich will mein Bestes tun, Ungerechtigkeiten anzusprechen, selbst wenn dies
meine Sicherheit und Bequemlichkeit gefährden könnte.
Zehnter Übungsweg
Aus Einsicht, dass die
Übung des Verstehens und Mitfühlens Essenz und Ziel einer Sangha
ist, will ich üben, die Gemeinschaft nicht für persönlichen
Nutzen oder Gewinn zu gebrauchen noch sie in ein politisches Instrument
zu verwandeln. Eine spirituelle Gemeinschaft sollte jedoch einen klaren
Standpunkt gegen Unterdrückung und Ungerechtigkeit einnehmen und danach
streben, die Situation zu verändern, ohne sich in parteilichen Konflikten
zu verlieren.
Elfter Übungsweg
Aus Einsicht in die
Gewalt und Zerstörung in meiner Umwelt und Gesellschaft will ich üben,
mein Leben achtsam und verantwortungsbewusst zu gestalten und keinem Beruf
nachzugehen, der den Menschen oder der Natur schadet. Ich will mein Geld
nicht in Unternehmen investieren, die anderen ihre Lebensmöglichkeiten
rauben, und lernen, in meinem Beruf die Ideale des Mitfühlens und
Verstehens zu verwirklichen.
Zwölfter Übungsweg
Aus Einsicht in das
Leid, das durch die Zerstörung von Leben entsteht, will ich Gewaltfreiheit,
Verstehen und Mitgefühl entwickeln und Wege erlernen, das Leben von
Menschen, Tieren, Pflanzen und Mineralien zu schützen und Krieg und
Konflikten vorzubeugen. Ich will üben, nicht zu töten, das Töten
durch andere zu verhindern und über keine Form des Tötens hinwegzusehen,
sei es in der Welt, in meinen Gedanken oder in meinem Lebensstil.
Dreizehnter Übungsweg
Aus Einsicht in das
Leid, das durch Ausbeutung, soziale Ungerechtigkeit, Diebstahl und Unterdrückung
entsteht, will ich liebende Güte entwickeln und Wege erlernen, die
zum Wohlergehen von Menschen, Tieren, Pflanzen und Mineralien beitragen.
Ich will üben, großzügig zu sein und meine Zeit, Energie
und materiellen Mittel mit denen zu teilen, die sie wirklich brauchen,
sowie nicht zu stehlen und mir nichts anzueignen, das anderen zusteht.
Ich will das Eigentum anderer achten, aber auch andere davon abhalten,
sich an menschlichem Leiden oder am Leiden anderer Lebensformen zu bereichern.
Vierzehnter Übungsweg
Aus Einsicht in das
Leid, das durch unachtsamen Umgang mit Sexualität entsteht, will ich
mich darin üben, Sexualität mit wirklicher Liebe und langfristiger
Verpflichtung zu verbinden. Um mein eigenes Glück und das der anderen
zu bewahren, will ich die von mir und anderen eingegangenen Bindungen achten.
Ich will alles mir Mögliche tun, um Kinder vor sexuellem Missbrauch
zu schützen und um zu verhindern, dass Paare und Familien an sexuellem
Fehlverhalten zerbrechen. Ich will mir voll der Verantwortung bewusst sein,
die es bedeutet, neues Leben in die Welt zu bringen, und über die
Welt meditieren, in die ich ein neues Wesen bringe.
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