Jonathan Watts, INEB Japan:
Konsumismus -
Zugang aus buddhistischer Sicht

Im folgenden Artikel schildert Jonathan Watts die Gegenwartsreligion der Bevölkerungsmehrheit, den Konsumismus, beschreibt die Beweggründe, warum Leute auf diese Weise konsumieren, zunächst auf westlich – sozial-wissenschaftliche – Weise, bevor er die Be-trachtung mit der buddhistischen Analyse, mit dem Entstehen in Abhängigkeit und dem Achtfachen Pfad aufnimmt. Der Artikel beschreibt den Konsumismus, der in Deutschland wohl noch nicht seinen Höhepunkt erreicht hat, aus japanischer und amerikanischer Sicht, und ist daher vielleicht noch etwas deutlicher, als wenn dies aus europäischer Sicht erfolgte.

Konsumismus ist heutzutage ein Synonym für eine Vielzahl von Problemen in unserer gegenwärtigen kapitalistischen Weltordnung: Dies beginnt bei der Verschleuderung unserer natürlichen Ressourcen, führt weiter zu unserem Miß-brauch der Medien für Werbezwecke, zu den wirtschaftlichen Grundlagen von Gewalt und Pornographie bis hin zum Zusammenbruch jedes Gemeinsinnes. Den-noch ist dieses Thema für Sozialtheoretiker nicht neu, die ernsthafte Auseinandersetzung mit dem Thema des Konsumismus beginnt bereits mit Marx´ Essays über die Entfremdung des Arbeiters von seinem Produkt. Eine Anzahl systematischer Untersuchungen über den Konsu-mismus markieren die Spur seiner Entwicklung von den Anfängen der kapitalis-tischen Entwicklung im Zeitalter der Re-formation (in Europa) über die industrielle Revolution des 19. Jahrhunderts bis hin zum ausgehenden 20. Jahrhundert. In diesen Studien bekommen wir ein Gespür über das Wirkungsgefüge dessen, was wir mit dem Begriff Konsumismus be-zeichnen, wovon wir fühlen, daß es unge-sund ist, ohne daß wir zunächst genau beschreiben können, warum. Der Grund, warum sich der Konsumismus so schwer fassen läßt, liegt in der völligen Durchdringung unseres Lebens und seiner un(ter)bewußten Kraft über unsere Denkgewohnheiten. Auch die Religion konnte nicht verhindern, daß der Konsumismus sich anderen Werten zugesellte. Sogar, wenn wir die tiefen Wurzeln unserer verschiedenen Religionen und Glaubenssysteme offenlegen, können wir eine Spur verfolgen, die tiefer geht als die Oberflächlichkeit unserer Kosumentenidentität. In den früheren, traditionelleren Gesellschaften, als der Stand der Technologie das Handeln auf den regionalen Rahmen beschränkte, formte sich die Identität der Menschen aus den sozialen Bezügen in ihrem Gemeinwesen, ihrer Religion und ihrem Lebenswandel (livelihood), der sich auf Herstellung, Handel und Konsum mit den regionalen Produkten beschränkte.

In der heutigen industriellen Form des Kapitalismus hat die wachsende Ver-städterung die Leute dazu veranlaßt, sich nicht mehr über die Stadt, in der sie woh-nen zu definieren, denn diese wird nicht mehr mit dem Begriff „Heimat“ assoziiert, sondern eher über ihren Beruf. Somit werden auch die Konsummuster – abhängig vom beruflichen Hintergrund - schichtspezifisch vorgegeben. Diese Konsummuster sind somit eine Möglichkeit geworden, Identität und Gruppenzugehörigkeit aufzuzeigen und sich damit von Personen anderer Schichten abzuheben. Dabei werden die Konsummuster der jeweils höheren Bevölkerungsschichten von den Angehörigen der  niedrigeren Schichten angestrebt bzw. nachgeäfft, um auf diese Art den eigenen materiellen und sozialen Status zu heben.

Der Konsum der postmodernen Gesellschaft markiert einen weiteren Schritt des Zusammenbruchs der auf physischer Präsenz (sei es im Dorf oder im Büro) beruhenden Gemeinschaft hin zu einem Individualismus, bei dem die Identitätsfindung über die real existieren-den Konsummuster selbst erfolgt. So wurden die Konsummuster mehr und mehr fließend, weg von ethnischen und gesellschaftlichen Gruppen. Die postmodernen Konsummuster sind mehr durch Alters- und andere Identifikationsgruppen bedingt.
Schließlich ist Konsumverhalten ein doch eher aktiver Prozeß der Identitätsgewinnung geworden. Früher einmal wurden Güter verbraucht, weil die physische Notwendigkeit dafür bestand; inzwischen ist Konsum ein Verfahren der Übernahme von Symbolen und dem Image der Gruppe geworden, der man angehören möchte und des Ausdrucks der Individualität. Wir können heute beobachten, wie diese postmoderne Konsumweise sich auf Länder ausdehnt, die noch auf entweder der traditionellen oder der industriellen Stufe stehen.

Neben dieser materiellen Krise des post-modernen Konsumismus, die ihrerseits eine wachsende ökologische Krise erzeugt, existiert noch eine weitere Krise: die spirituelle. Westliche Theoretiker wie Jean Baudrillard und Jacque Lacan haben sich mit den Konsummustern intensiv auseinandergesetzt und erkannt, daß die Erschaffung, der Gebrauch und der Konsum von Symbolen ein fundamentales menschliches Bedürfnis sind. Die spiritu-elle Krise des heutigen Konsumismus liegt dann darin, daß dieser Gebrauch vordergründiger Symbole (Markenzei-chen, Identifikation mit Stars und Werbebotschaften) das frühere Selbstbildnis und Gruppenzugehörigkeitsgefühle in käufliche Konsumgüter umwandelt. Das Resultat hiervon ist, daß die tieferen Be-deutungen in unseren Religionen, der Politik, der Kunst und anderen Feldern menschlicher Interaktion verloren gehen in einer wachsenden Betonung von Stil und äußerer Form. Damit sind wir bei ei-ner „Krise“ im wahrsten Sinne des Wor-tes, einem Moment des Wandels, einem Wendepunkt.

Engagierter Buddhismus kann hier Relevanz gewinnen, denn der Konsumismus ist ein fundamentaler Prozeß der Identifikationsstiftung, des Erwerbens und Präsentierens von Selbstbildnissen. Die zentrale Sorge des Buddhismus – wie auch anderer Religionen ist diese Identitätsfrage, der Versuch seinen Platz und seinen Sinn in dieser Welt zu finden. Auf dieser Ebene hat der Buddhismus eine ungeheure Menge zur Erklärung des Konsumismus und seiner Triebkräfte anzubieten.

Die Kräfte des Konsumismus werden klarer, wenn man zur Erklärung Buddhas Lebensrad des 12-gliedriges abhängigen Entstehens (paticca samu-padda) zugrunde legt. Kurz zusammengefaßt ist die Wurzel jeden Problems eine gewisse Art von Unwissenheit (Glied 1). Konsumismus ist verwurzelt in dem, was der Buddha als extremen Realismus (atthikvada) und Ewigkeitsglauben (sassatavada) bezeichnet, in dem die Leute Dinge als unabhängig, real, fest und beständig ansehen. Der Konsument legt seine Energie in den Erwerb von Gütern (oder Vorstellungen) als ein Mittel, sich selbst zu definieren und zu verwirklichen. Damit hängt er genau diesen beiden vom Buddha genannten falschen Ansichten an. Mit solcher Unwissenheit als Grund-lage entsteht bei den Menschen geistige und physische Vorliebe zu Produkten (2 Gestaltungskräfte, 3 Bewußtsein, 4 Körper & Geist, 5 Sinne). Wenn wir mit solchen Formen in Berührung kommen, sind wir geneigt, sie gefühlsmäßig zu be-urteilen, nämlich mit einem Gefühl von Verlangen, Abweisen oder einem indiffe-renten Gefühl (6 Berührung, 7 Empfindung, 8 Begierde). Indem sich unsere Gefühle aufbauen, beginnen wir, die Objekte unserer Begierde anzustreben und diese Gier in konkretes Handeln umzu-setzen: der Erwerb wird geplant, Geld angespart (9 Anhaften, 10 Werden). Schließlich besitzen wir das, was wir begehrten und wofür wir arbeiteten (11 Geburt), und doch bemerken wir nun ein Gefühl von Unvollständigkeit, von nicht bleibender Befriedigung. Diese Gefühle sind die Auswirkungen und Konsequenzen unserer Unwissenheit, dargelegt in den Edlen Wahrheiten des letztendlich unbefriedigenden: Alter und Tod (12).

Aufgrund der Wirkung der Werbung und anderer Medien, sind wir nicht in der Lage, unsere tatsächlichen Entbehrungen tief zu analysieren, sondern vielmehr in den Gewohnheiten so verankert, daß wir die 12-gliedrige Kette des Kaufrauschs erneut durchleiden.

Der Weg aus dieser unendlichen Kette von Begierde, Bedarf und Kauf ist die Lehre des Erhabenen vom Edlen Achtfachen Pfad, der mit Rechter Erkenntnis und Vollkommener Gesinnung beginnt. Eine solche Erkenntnis demaskiert die Trugbilder des Konsumismus. Eine solche Erkenntnis und eine solche Gesinnung hilft uns alsdann, zu den ver-schiedenen Formen der Rechten Rede, des Rechten Handelns, des Rechten Wandels und des Rechten Strebens zu gelangen, die man alle zusammenfassen könnte als den Pfad des Rechten Kon-sums, des Konsumierens in einer Art, die Achtsamkeit und die Umwandlung unserer Unvollkommenheit (kilesa) unterstützt. Letztlich führt solches Rechtes Denken und Rechtes Handeln zu Rechter Achtsamkeit und Rechter Konzentration, die der weiteren Vertiefung dient und die Brücke zu Rechtem Denken und Rech-tem Handeln schlägt (so wie Geburt, Alter und Tod in der Kette des bedingten Ent-stehens die Brücke zu Unwissenheit und Entbehrung schlägt).

Das Beschriebene ist eine kurze Skizze einer detaillierteren Analyse über Konsumentenverhalten. Eine nähere Betrachtung in bestimmte Aspekte der Kette des Entstehens in Abhängigkeit bietet ein besseres Verständnis für die Verhaltensmuster, die den Gewohnheiten der einzelnen Konsumenten und dem Konsumsystem als Ganzem zugrunde liegen...

Der Edle Achtfache Pfad ist Buddhas Darlegung des Mittleren Pfades, der zwischen den beiden Extremen des E-wigkeitsglaubens und des Nihilismus liegt. Daher bietet uns die buddhistische Analyse des Konsumismus einen mittleren Weg zwischen augenfälligem Konsum und der totalen Verweigerung materieller Errungenschaften, mit der uns manche Konsumkritiker vereinnahmen wollen. Natürlich können wir nicht zurück in ein „Goldenes Zeitalter“ der agrarischen, nicht-konsumistischen Gemeinschaft (falls es eine solche je gab), und wir sollten dieses auch nicht erstreben.

Genauso, wie Buddha Sakyamuni herausfand, daß eine bescheidene Menge Nahrung seinen inneren Weg besser unterstützte, so kann uns eine genau ausbalancierte materielle Existenz das physische Auskommen geben, um die tiefergehende Arbeit auf unserem Weg durch dieses Leben zu leisten.



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