Baden im Ganges
erzählt von Horst Gunkel
(c) Copyright by Horst Gunkel - letzte Änderungen 2014-03-05

Der Hinduismus, die traditionelle indische Religion, unterscheidet sich sehr deutlich vom Buddhismus, denn der Buddha emanzipierte sich klar von dieser größtenteils auf Ritualen basierenden alten indischen Religion. Im Hinduismus - im Brahamanismus - hatte die Kaste der Brahmanen das Monopol, die in den Veden überlieferten Rituale (gegen Bezahlung) auszuführen. Von der richtigen Ausführung dieser Rituale aber hängt nach hinduistischer Sicht das Karma ab. Nach dem Glauben der Hindus bestimmt dieses Karma unsere Wiedergeburt und damit die Kaste und das Geschlecht, das dann für das ganze neue Leben gilt. In eine andere Kaste kann man nur durch Wiedergeburt gelangen, und genau dafür muss man Rituale von Brahmanen in ganz bestimmter Weise und mit ganz bestimmten Worten und Bewegungen vollziehen lassen.

Der Buddha lehnte diese deterministische Weltsicht ab, indem er dem Begriff Karma eine ganz neue Bedeutung gab. Im Buddhismus ist Karma jede mit Absicht ausgeführte Handlung. Diese wird Folgen haben, Folgen für unsere Umwelt, aber auch Folgen für uns selbst, letztere sind karmische Folgen. Die karmische Wirkung ist von der Absicht geprägt, in der die Handlung ausgeführt wurde. Als Handlung in diesem Sinne gelten Taten, aber auch Worte und sogar Gedanken. Die Wirkung kann kurz- oder langfristig eintreten, langfristig kann dabei auch bedeuten, dass sie sich erst in einem späteren Leben zeigt. Das tragende Prinzip ist also im Hinduismus das kommerzialisierte Ritual, im Buddhismus hingegen Ethik.

Häufig kamen Menschen zum Buddha Gotama, die zwischen diesen beiden Karma-Begriffen im Zweifel waren, um sich Rat zu holen, so auch der Haushälter in dieser Geschichte:

"Sagt an, Herr Gotama, die Brahmanen sagen, gut sei es, segensreich sei es, sich im Flusse Ganges zu baden. Gute Wiedergeburt, bessere Wiedergeburt verspräche es, sich im Flusse Ganges zu baden. Was nun sagt Ihr, Herr Gotama, ist es gut im Flusse Ganges zu baden, verspricht es gute Wiedergeburt, im Flusse Ganges zu baden, sich im Flusse Ganges zu reinigen?"

"Ausgezeichnet ist es, Haushälter, sich zu baden, ausgezeichnet ist es, sich zu reinigen. Das Baden in sauberem Wasser ist gut, um den Körper zu reinigen. Aber auch der Geist muss gereinigt werden, auch der Geist muss gebadet werden. Den Geist aber reinigt man, den Geist badet man nicht mit Wasser, sondern mit der reinigenden Wirkung tiefer Meditation und mit der säubernden Wirkung ethischen Verhaltens. Darum eben, Haushälter, solltet ihr täglich euren Körper mit Wasser reinigen und eben darum solltet ihr täglich euren Geist mit guten Taten und Meditation reinigen."

"Danke, Herr Gotama, danke! Trefflich sind diese Worte. Wohl verstehe ich, dass es gut ist, nicht nur den Körper, sondern auch den Geist zu reinigen. Aber, um noch einmal auf die Sache mit dem Ganges zuückzukommen, wäre es dann nicht am besten, sich täglich mit Wasser zu waschen, seinen Geist täglich mit guten Taten und Meditation zu reinigen und zusätzlich einmal im Jahr im Ganges zu baden, wie es die Brahmanen empfehlen?"

Der Buddha sah, dass der Haushälter wohl bereit war, die reinigende Wirkung ethischen Verhaltens und von Meditation zu akzeptieren, dass er aber unterschwellig noch immer dem hinduistischen Irrglauben anhing, ein rituelles Bad im schmutzigen Ganges könne seine Zukunft beeinflussen. Dieser Mann unterlag der Fessel des Hängens an überkommenen Regeln und Riten um ihrer selbst willen. Daher beschloss der Buddha deutlicher zu werden.

"Haushälter, warum fragt ihr gerade mich?"

"Nun, Herr Gotama, man sagt, Ihr seid ein Erleuchteter, man sagt, Ihr seid ein Vollkommener, einer der Nirwana erreicht hat, der mit dem höchsten Wissen gesegnet ist."

"Haushälter, das habt ihr über mich gehört. Habt ihr gleiches schon einmal von einem Fisch gehört?"

"Natürlich nicht, Herr Gotama!"

"Ah, seht Ihr Haushälter! Ich habe mein ganzes Leben lang kein rituelles Bad im Ganges genommen. Die Fische aber baden jeden Tag ihres Lebens im Ganges. Wenn das Baden im Ganges irgendeinen Effekt hätte, dann wären sämtliche Fische schon längst erleuchtet!"

Nachdenklich ging der Haushälter von dannen.



Zur Übersicht Meditation und Dharma
Zur Übersicht Buddhistische Geschichten
Das Blatt (ficus religiosa) im Hintergrund dieser Seite stammt vom Bodhi-Baum aus Anuraddhapura in Sri Lanka. Dieser ist ein direkter Abkömmling des Baumes, unter dem der Buddha seine Erleuchtung hatte.