Die Erdbeere der Un8samkeit

von horst gunkel
Vor einiger Zeit besuchte ich mit einigen Freunden eine Cafeteria. Meine Freunde wissen, daß ich auf achtsamen Konsum wert lege, also beispielsweise nicht nur auf Fleisch, sondern auf alle tierischen Produkte verzichte, da Eier und Milch in der Regel aus der tierquälerischen Massentierhaltung stammen. Aber auch bei anderen Konsumentscheidungen bemühe ich mich in der Regel, die Folgen meines Konsums in die Betrachtung mit einzubeziehen. Schließlich stimmen wir als Konsumenten täglich mit unserem Portemonnaie in der Hand darüber ab, was und wie produziert wird. Steigt die Nachfrage nach einem Produkt, so hat dies Auswirkungen auf das Angebot, steigt der Konsum stark, so wirkt sich das auch auf die Art der Produktion aus.

An diesem Tag in der Cafeteria nahm ich mir einen Salatteller, ein Brötchen und gönnte mir als Nachtisch etwas ganz besonderes: eine Portion frische Erdbeeren! Fröhlich ging ich mit meinem Tablett zum Tisch. Ich freute mich auf meinen Nachtisch, schließlich liebe ich es, gut zu essen.

"Erdbeeren! Frische Erdbeeren! Das hätte ich aber gerade von dir nicht gedacht! Ausgerechnet du nimmst dir von den Erdbeeren! Hast du dir heute Urlaub von deinen Überzeugungen genommen?" rief mich Reiner, einer aus der Gruppe meiner Freunde, an. Ich muss wohl ziemlich verdutzt ausgeschaut haben, denn ich war mir wirklich nicht bewusst, was ich so Unerhörtes gemacht hatte.

"Ich esse gern," sagte ich, "die Erdbeeren sehen lecker aus und ich freue mich auf etwas frisches Obst. Was in aller Welt gibt es denn gegen Erdbeeren einzuwenden?"

"Schau aus dem Fenster," antwortete Rainer, "es ist Februar - und du ißt Erdbeeren."

"Nun, aus dem Treibhaus nehme ich an, vielleicht aus Holland," ging ich in Verteidigungsstellung.

"Nein," nahm mir Rainer auch meine letzte Rückzugsmöglichkeit, "Erdbeeren kommen nicht aus Holland. Gehst Du nie mit offenen Augen durch den Supermarkt? Erdbeeren kommen aus Südamerika!"

Tatsächlich, jetzt wurde mir bewusst, worüber ich gerade mit dem Portemonnaie in der Hand abgestimmt hatte, über Luft-Cargo, das weltweite versenden alltäglicher Güter auf dem Luftweg. Gerade mir hätte das bewußt sein müssen. Ich bin Mitglied einer Arbeitsgruppe des VCD, des ökologisch orientierten Verkehrsclub Deutschland. Selbstverständlich weiß ich um die Probleme des Verkehrs für das Weltklima. Selbst die Bundesregierung hat die Agenda 21 unterschrieben, um die CO2-Emissionen drastisch zu senken. Ich selbst verzichte seit Jahren aufs Auto. Flugreisen sind für mich tabu. Weiß ich doch, daß der durchschnittliche Bundesbürger heute bereits mehr CO2 und Stickoxide für Personenflüge verbraucht als für Autofahrten. Und Flugverkehr ist als Direkteinleiter in die oberen Luftschichten noch deutlich problematischer als der Autoverkehr.

Und ich also lasse mir Erdbeeren per Flugzeug aus Südamerika kommen! Aber wie groß ist das Problem des Luftfrachtverkehrs wirklich? Ist es nicht eine vernachlässigbare Größe?

Ein durchschnittlicher Bundesbürger verursacht aufgrund all seiner Konsumentscheidungen den Ausstoß von 14.000 kg CO2 pro Jahr, davon 430 kg durch seine Ausatmung, das ist also das absolut lebensnotwendige. Laut UN steht jedem Weltbürger im Jahr 2050 (Zielprojektion für Energiewirtschaften in einer nachhaltigen Welt) eine Emission von 2.300 kg zu. Wollen wir zu einer nachhaltigen gerechten Welt kommen, werden wir also unsere CO2-Emissionen um gut 80% vermindern müssen. Der Anteil an CO2* das pro Bundesbürger für Frachtflüge ausgestoßen wird, beträgt über 500 kg pro Jahr, also mehr als alles was ein Mensch im Jahr ausatmet, was also durch die Verbrennung unserer Nahrung im Körper umgesetzt wird. Frachtflüge sind also ein Luxus, den wir uns in unserer begrenztem Welt bei nachhaltigem Wirtschaften und solidarischen Verhalten nicht mehr erlauben können.

All dies war mir eigentlich bewusst, es war nur schlicht "meiner Achtsamkeit entgangen", als ich nach den Erdbeeren griff.

Und wie es in der Cafeteria weiterging? Ich bedankte mich bei Rainer für die Belehrung und aß meine Erdbeeren. Ich habe niemals zuvor Erdbeeren so achtsam verspeist. Obwohl sie nicht so gut schmeckten, wie sie verlockend aussahen, aß ich sie mit großem Genuß und in dem sicheren Bewusstsein, daß dies die letzten Erdbeeren sein werden, die ich im Winter esse. Wann immer ich seitdem Erdbeeren sehe, erinnere ich mich an den Vorfall, bin eingedenk meines eigenen unvollkommenen Handelns und meiner noch nicht genügend entwickelten Achtsamkeit. Und jedesmal wenn ich Erdbeeren sehe kommt in mir ein Element der Freude auf, der Freude darüber, wieder ein kleines bisschen achtsamer geworden zu sein. Und niemals mehr greife ich unachtsam nach einem Produkt, von dem ich annehmen muss, es sei per Luftfracht gekommen. Und ein bisschen geschärft worden ist auch mein Bewusstsein, welche Jahreszeit eigentlich gerade ist.

Danke Reiner!



* gemeint ist CO2-Äquivalent, bei dem andere treibhausrelevante Gase wie NOx in CO2-Äquivalent umgewandelt wurden. Alle Zahlen entstammen einer Untersuchung des Wuppertal-Institutes erstellt zur Messung des treibhausrelevanten Verhaltens eines Kölners, der Untersuchungszeitraum war das Jahr 1992.

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