neu gefasst von Horst Gunkel: 

Buddhas Soziallehre

Originaltitel: Singalovada Sutta - D 31

aktualisiert am 19. März 2020


 
Der Buddha wanderte bereits seit vielen Jahren durchs Land. Zahlreiche Menschen kamen zu ihm mit Fragen, die sich darum drehten, wie sie richtig handeln sollten. Es war damals durchaus üblich, sich in Fragen der ethischen Lebensführung an große Weisheitslehrer wie den Buddha zu wenden. Dieser beschäftigte sich keineswegs nur mit Meditation, und er hielt absolut nichts von Spekulationen übers Jenseits, über das Transzendente. Der Buddha war vielmehr für viele Menschen ein Lebensberater, ein Coach, wenn es darum ging, wie man richtig handeln sollte.

Erst kürzlich war ein angesehener Kaufmann zu ihm gekommen. Seine Einnahmen sprudelten reichlich, aber er war sich nicht sicher, wie er damit umgehen sollte: Vielleicht wäre es angemessen, alles wegzugeben, so wie es der Buddha gemacht hatte, der auf allen materiellen Besitz verzichtet hatte. Der Buddha besaß nämlich nur drei Roben, also Tücher, die man als Kleidung verwendete; eine die er als Leibwäsche direkt auf dem Körper trug, eine als Oberbekleidung und eine dritte, die man an kalten Tagen als eine Art Mantel tragen konnte, die jedoch auch in der Nacht als Decke und außerdem als Badetuch verwendet werden konnte. Ansonsten hatte er nur seine Bettelschale, ein Rasiermesser, eine Nähnadel und ein feines Sieb um Wasser zu filtern, das er trinken wollte. Er besaß nicht einmal eine Zahnbürste. Er reinigte sich vielmehr die Zähne, indem er einen Zweig von einer bestimmten Strauchart verwendete. Diesen kaute er an einer Seite an, dass das Holz pinselartig zerfaserte, womit er sich alsdann die Zähne reinigen konnte. Diese Strauchart enthielt einen Saft, der in etwa die gleiche Wirkung hatte wie die heute übliche Zahnpasta. Der Buddha führte ein nachhaltiges Leben in Stille, Schlichtheit, Genügsamkeit und im Einklang mit der Natur.

Dies war ein Leben, wie es für einen Sadhu, einen heiligen Mann, angemessen war. Aber für den Kaufmann war das schlicht unmöglich. Sollte er aber, so fragte der Kaufmann dich, einen Großteil seines Vermögens für Arme, Kranke, für heilige Männer und Frauen, für spirituell Suchende und für Tempel spenden oder den Göttern opfern? Und wenn ja, wie viel davon?

Der Buddha konnte diesem Mann helfen: „Lieber Kaufmann, du bist ein Haushälter, einer, der im Haus wohnt und eine Familie zu ernähren hat. Wenn deine Geschäfte gut laufen und einen erklecklichen Gewinn abwerfen, so wäre es nicht gut, wenn du auf alle Annehmlichkeiten verzichten solltest. Auch hast du eine Verpflichtung gegenüber deiner Familie, daher solltest du von deinem Gewinn etwa ein Drittel für deine Familie und dich verwenden.

"Es ist aber ebenso wichtig, dass deine Geschäfte weiterhin gut laufen, auch hierfür hast du Geld aufzuwenden. Du solltest also etwa ein weiteres Drittel deines Gewinns für Investitionen verwenden. Dann bleibt immer noch ein Drittel übrig, mit dem du Gutes tun kannst, dies solltest du, je nachdem, was du für besonders förderungswürdig hältst, für Arme, Alte, Kranke, für Mönche und Nonnen, für Weisheitssuchende oder für andere wohltätige Projekte verwenden. Wenn du so deine Einnahmen drittelst, dann lebst du im Einklang mit deiner Familie und mit der Gesellschaft, und du giltst als einer, der für seinen Wandel gepriesen wird, außerdem gehst du so einer guten Wiedergeburt entgegen.“

In dieser Weise bekam ein jeder, der den Buddha um Hilfe fragte, eine Antwort für die Lösung seiner Probleme. Mitunter bot der Buddha aber auch seine Hilfe und Beratung an, ohne darum gebeten worden zu sein, dann nämlich, wenn er sah, dass sein Rat nicht nur hilfreich ist, sondern auch willkommen ist, so z. B. bei seiner Begegnung mit dem jungen Singalaka, wovon ich jetzt berichten werde.

Der Buddha war damals wieder einmal in Rajagaha, der Hauptstadt von Maghada, wo er sich gern aufhielt. Er hatte, wie so oft, die Nacht im Bambushain verbracht, an der Stelle, wo die Leut in ihrer Freizeit hingingen, um die Eichhörnchen zu füttern. Nachdem er seine Morgentoilette und seine morgendliche Meditation beendet hatte, begab er sich mit seiner Bettelschale nach Rajagaha, wo er von Haus zu Haus gehen wollte, um sich sein Mittagessen zu sammeln. Manche Leute würden ihm eine Handvoll Reis geben, andere etwas Obst oder Gemüse oder von ihrem Eintopf, vielleicht bekam er auch etwas Brot - eben das, was die Leute entbehren konnten. Er würde keineswegs gezielt zu den Wohlhabenderen gehen, sondern überall hin. Zwar gab es bei den Reicheren das bessere Essen, aber das war nicht das Ziel des Buddha. Die Almosenspeise sollte dazu dienen, sein Leben zu erhalten und den Spendern gutes Karma zu machen, etwas das die Armen nicht weniger benötigen als die Reichen.

Doch schon bevor er nach Rajagaha kam, sah er etwas Seltsames: er erblickte nämlich Singalaka bei einer eigentümliche Verrichtung. Singalaka, so muss man wissen, hatte Haus und Geschäft von seinem Vater geerbt, er hatte schon als Kind, so wie das damals üblich war, seinem Vater bei dessen Geschäften geholfen und hatte so allmählich alle kaufmännischen und praktischen Fähigkeiten erlernt, die für die Berufsausübung nötig waren. Jedoch war sein Vater früh gestorben, sodass er schon in jungen Jahren den Betrieb übernehmen musste. Und dieser Singalaka kam jetzt mit hastigen Schritten aus Rajagaha und ging zu einer Wegkreuzung. Offensichtlich war er in Eile, denn seine Haare und auch seine Kleidung war vom morgendlichen Bad im Fluss noch nass. Aber obwohl er in geschäftiger Eile zu sein schien, vollführte er an dieser Kreuzuung merkwürdige Handlungen, es musste sich wohl um ein Ritual handeln. So kniete er nieder und vollführte Zeichen der Verehrung in Richtung Osten, wo die Sonne aufgegangen war. Dann wiederholte er das gleiche in südlicher, westlicher und nördlicher Richtung und schließlich vollzog er diese Verehrungsgesten auch nach oben, gen Himmel, und nach unten zum Boden hin.

Dies schien dem Buddha ein ziemlich sinnloses Unterfangen zu sein. Der Erhabene hatte seine Schülerinnen und Schüler immer wieder ermahnt, Rituale nicht um ihrer selbst Willen zu machen, denn sinnentlehrte Rituale haben keine andere Wirkung, als dass sie einem Zeit und Energie rauben, die man für Sinnvolleres verwenden kann. Also fragte er den Singalaka: „Sag mal, junger Mann, ich habe gerade gesehen, was du da gemacht hast, aber nicht verstanden, wozu es dienen soll?“

Naja, verehrungswürdiger Mönch“, sprach Singalaka den Buddha an, den er offensichtlich nicht kannte, „mein Vater, der mir sein Geschäft vererbt hat, ist vor nicht allzu langer Zeit verstorben. Ich habe bei ihm wirklich fast alles gelernt, was ich brauche. Aber auf dem Sterbebett hat er mir noch etwas aufgetragen, er sagte mir: ‚Die Himmelsrichtungen sollst du verehren, mein Sohn Singalaka, jeden Tag!‘, dann starb er. Seitdem mache ich das hier jeden Morgen, bevor ich ans Tagwerk gehe. Ich verneige mich gen Osten, Süden, Westen, Norden ebenso wie gen Himmel und nach unten, zum Nadir, mit Gesten der Ehrerbietung, so gut es mir eben möglich ist.“

Vielleicht geht es euch, wenn ihr das lest, so wie mir, dass ihr denkt: wie bescheuert ist denn das? Und so einer soll den Betrieb leiten? Der hat doch wohl ein Rad ab!

Anders der Buddha. Auch er sieht einen etwas orientierungslosen jungen Mann. Aber er sieht auch den guten Willen bei Singalaka, und er sieht den Eifer, mit dem er dieses sinnlose Ritual vollzieht und wie er sich darum bemüht, den letzten Willen des Vaters zu erfüllen, so gut er es eben vermag. Er sieht jemanden, der willig ist, das auszuführen, was ein Höherstehender, ein Weiser, ihm aufgetragen hat. Und der Buddha erkennt, dass man dieses sinnlose Ritual durch ein sinnvolles, zielgerichtetes Handeln ersetzen kann, das dieser Mann dann mit dem gleichen Elan, vielleicht sogar mit noch größerem Feuereifer vollziehen wird, dann nämlich, wenn er den Sinn versteht, und wenn dieses Handeln zu privatem und geschäftlichen Erfolg führt. Dazu muss er, der Buddha, eigentlich nur seine eigene moralische Autorität als Mönch mit der des verstorbenen Vaters verbinden.

Daher sagt der Buddha: „Dein Vater hat völlig recht, dass er dir ans Herz gelegt, die Himmelsrichtungen zu verehren, das ist ein Brauch, den die Weisen üben. Aber du machst das nicht ganz richtig. Vermutlich wollte dein Vater es dir noch erklären, ist aber nicht mehr dazu gekommen.“

Das leuchtet dem Singalaka ein, und er sieht die Chance, jetzt Hinweise zu bekommen, wie er vielleicht doch noch das Vermächtnis des Vaters in angemessener Weiseerfüllen kann. So fragt er: „Wisst Ihr denn, verehrungswürdiger Mönch, „wie man denn die sechs Himmelsrichtungen, Osten, Süden, Westen, Norden, den Zenit und den Nadir, in rechter Weise verehrt?“

Durchaus,“ antwortet der Buddha, „mir ist das geläufig, und wenn du willst, kann ich es dir erklären.“

Ja, bitte, das ist prima, welch ein Segen, dass ich Euch getroffen habe, Euch schickt mir der Himmel!“ freute sich Singalaka, der es plötzlich gar nicht mehr eilig hat.

Zunächst einmal, Singalaka, musst du dir klar machen, wofür diese sechs Himmelsrichtungen stehen, was damit gemeint ist. Osten, dort wo die Sonne aufgeht, steht für das, woher man kommt, du stammst von deinen Eltern ab, Singalaka, die sollst du verehren.

Dann kommen wir zum Süden, dort wo der Glanz der Sonne erstrahlt, der Sonne, die die Pflanzen wachsen und gedeihen lässt. Der Süden steht für deine Lehrer, die dir das Licht der Erkenntnis bringen, wodurch dein Wissen wächst und gedeiht, der Süden, Singalaka, steht für deine Lehrer.

Und so wie der Osten für das Vergangene steht, für das, woher wir kommen, für unsere Eltern, so steht der Westen für das Zukünftige, der Westen steht für deine Kinder und für die Frau, die sie dir gebiert. Der Westen, Singalaka, steht für deine Kernfamilie.

Dann kommen wir zum Norden, mein Freund, der Norden steht für alle anderen dir wichtigen Personen, die sich auf gleicher Ebene mit dir befinden. Der Norden, Singalaka, steht für deine Freunde und Vertrauten.

Dementsprechend steht der Nadir, das Unten, für alle dir Untergebenen, für deine Diener und Arbeiter. Und der Zenit schließlich steht für alle, die dir über sind, die auf einer höheren Stufe stehen als du: die Sadhus, die Asketen und Brahmanen. Hierfür, Singalaka, stehen die sechs Himmelsrichtungen.“

Interessanter Weise – und vielleicht sogar überraschender Weise – nennt der Buddha bei den Höherstehenden auch die Brahmanen, also die Priester der Hindureligion, nicht aber die Mönche und Nonnen der buddhistischen Sangha. Wir sehen daran sehr deutlich, dass der Buddha an dieser Stelle gar nicht den Versuch unternimmt, den Singalaka zu bekehren. Er weiß, dass Singalaka der Hindureligion angehört und nennt daher dem Singalaka die Brahmanen, die der Buddha sonst ob ihrer hohlen Rituale kritisiert, als höherstehend. Der Buddha ist kein Missionar, er ist ein Weiser, der einem etwas verwirrten jungen Mann die ihm angemessene Lebenshilfe gibt. Der Buddha ist im Begriff, dem Singalaka eine Soziallehre für den Umgang mit Menschen, mit denen er zu tun hat, zu geben; ihm dem Singalaka, der so weltfremd erscheint. Und nachdem der Buddha nun die sechs Himmelsrichtungen mit Bedeutung gefüllt hat, kommt es nunmehr darauf an, dem Singalaka das richtige Sozialverhalten gegenüber diesen nahe zu bringen. Er sagt:

Und nun, Singalaka, fragst du dich vielleicht, wie du diese sechs Richtungen verehren sollst. Die östliche Richtung, die Eltern, sollst du auf fünffache Weise verehren:

Und ebenso auch, Singalaka, sorgen sich die Eltern in fünffacher Weise um ihren Sohn:

(1) sie halten ihn vom Üblen fern,
(2) sie leiten ihn zum Guten an,
(3) sie lassen ihm eine Ausbildung zukommen,
(4) sie suchen ihm eine passende Frau,
(5) sie übergeben das Erbe rechtzeitig.“

Der Buddha erläutert in diesem Teil seiner Soziallehre, die angemessenen Eltern-Kind- Beziehungen, die zu einer harmonischen Familie führen – unter den Bedingungen, die vor 2500 Jahren in Indien galten und von denen die meisten durchaus auch heute noch relevant sind. Für uns heutige Menschen erscheint die Suche nach der passenden Frau vielleicht merkwürdig, aber zur damaligen Zeit wurden die Ehen von den Eltern im Familieninteresse arrangiert. Von daher sollte unser Augenmerk nicht darauf liegen, dass sie ihm eine Frau suchten, denn das galt im alten Indien als selbstverständlich, sondern darauf, dass sie ihm eine passende Frau suchen, dass also auch die Bedürfnisse des Sohnes berücksichtigt werden und nicht nur die der Eltern.

Wichtig erscheint mir auch, dass die Eltern an erster Stelle genannt werde, denn sie sind die wichtigste Beziehung, sie sind letztlich Teil von uns. Alles was wir sind, haben wir durch (1) Vererbung, (2) durch unsere Sozialisation sowie natürlich (3) durch unser karmisches Gepäck und (4) und materiell natürlich durch das, was wir im Rahmen des Stoffwechsels aufgenommen haben. Unsere Sozialisation hängt im beträchtlichen Maße von unseren Eltern ab und unser genetisches Gepäck sogar vollständig, damit sind die Eltern (und deren Vorfahren) ein Teil von uns. Wenn wir diese nicht achten, wenn wir diese ablehnen, lehnen wir damit einen Teil von uns selbst ab. Wichtig ist also, dieses anzunehmen und zu ehren: wir können niemals ein voll integriertes Wesen sein, wenn wir nicht mit diesem wichtigen Teil von uns im Reinen sind.

Alsdann fährt der Buddha fort, in dem er über die nächste Sozialisierungsinstanz spricht:

„Und ebenso, Singalaka, soll der Schüler der südlichen Himmelsrichtung, seinen Lehrern in fünffacher Weise entgegenkommen, nämlich mit

Wenn sich der Schüler so verhält, dann sorgen auch die Lehrer in fünffacher Art für den Schüler:

(1) sie bilden ihn praktisch aus,
(2) sie machen ihm die Theorie verständlich,
(3) sie sorgen für eine Verzahnung des theoretisch Gelernten mit der Praxis,
(4) sie führen ihn bei Vertrauten ein und knüpfen so nützliche Beziehungen und
(5) sie sorgen für seine Sicherheit.“

Den letzten Punkt halte ich für bemerkenswert, da er so unspezifisch ist. Es geht hierbei auch um Sicherheit am Ausbildungsplatz, also um Unfallverhütung, aber unter Sicherheit kann noch viel mehr verstanden werden, zum Beispiel dass die Ausbildung arbeitsmarktorientiert ist, dass also das gelernt wird, was auf dem Arbeitsmarkt gefragt ist. Man könnte auch an Sicherheit vor sexuellen Übergriffen denken. Im Zusammenhang mit dem vorletzten Punkt, dem Einführen bei Vertrauten, kann man auch an Sicherheit durch das Knüpfen sozialer Netzwerke denken und an vieles andere mehr. Manchmal formuliert der Buddha durchaus so unspezifisch, dass wir eingeladen sind, uns Gedanken zu machen, was das konkret bedeuten kann.

Als nächstes kommt der Buddha auf die westliche Beziehung zu sprechen. Die hatte er oben definiert als „die Zukünftigen“, die Kinder und die Ehefrau, die sie gebiert. Da er die richtige Eltern-Kind-Beziehung bereits beim Osten ausführlich erläutert hat, widmet er sich hier ganz der ehelichen Sozialbeziehung: „Und auch die westliche Himmelsrichtung, die Ehefrau verehrt der weise Ehemann auf fünffache Weise:

Eine ehrsame Ehefrau, die so behandelt wird, wird ihrem Ehemann ebenso in fünffacher Weise entgegenkommen:

(1) sie organisiert den Haushalt,
(2) sie leitet die Dienerschaft gut an,
(3) sie hält ihm die Treue,
(4) sie hütet den Familienbesitz und
(5) sie erfüllt ihre Pflichten ebenso geschickt wie fleißig.

Und auf diese Weise eben wird eine glückliche Ehe geführt.“

Interessanter Weise handelt es sich bei der Ehefrau keineswegs um das stille Hausmütterchen und auch nicht um die unemanzipierte Frau eines patriarchalischen Haushaltes. Sicher, es gibt eine klare Trennung zwischen dem, was Frauen tun, und dem, was Männern obliegt, was durchaus Sinn macht in einer Zeit kinderreicher Familien, in denen die Ehefrau fast immer entweder schwanger war oder gestillt hat. Andererseits begegnen sich die Ehepartner hier auf Augenhöhe: der Ehemann verdient das Einkommen, die Ehefrau führt den Haushalt. Dort aber herrscht sie, das sagt der Buddha ganz eindeutig: die Frau führt den Haushalt, das ist eine Führungsaufgabe; dort herrscht sie, in den Worten des Buddha: er überlässt ihr die Entscheidungen. Das heißt nicht, dass der Mann nicht gehört wird, selbstverständlich darf er seine Meinung zu allen anstehenden Entscheidungen, die das gemeinsame Eheleben betreffen, äußern, und eine weise Ehefrau wird dies auch nicht einfach vom Tisch wischen. Er wird angehört, aber die letztendliche Entscheidung trifft sie. Er ist der Herr in seinem Gewerbe: dort entscheidet er. Der Haushalt aber ist ihr Revier, und hier hat sie eben nicht nur Pflichten, sondern die Führung: sie leitet die Dienerschaft an, sie entscheidet.

Da der Ehemann jedoch durch seinen Beruf auch über das Familieneinkommen verfügt, vergisst der Buddha auch nicht zu erwähnen, dass er für die speziell weiblichen Bedürfnisse seiner Frau zu sorgen hat: der Ehemann kauft ihr Schmuck und Kosmetika. Und wieder wird deutlich: je besser sich beide Seiten an diese recht einfachen und eingängigen Verhaltensregeln halten, desto besser, desto harmonischer wird die Ehe. Und obwohl beide Seiten hier, wie auch in den anderen Sozialbeziehungen ihre Pflichten haben, macht der Buddha in jedem dieser Abschnitte deutlich, wer zuerst zu liefern habe. Er macht Singalaka klar, dass er diesen Dienst der „Verehrung“ als erster zu vollziehen habe, er sagt nämlich: „Eine Ehefrau, die so behandelt wird, wird ihrem Ehemann ebenso in fünffacher Weise entgegenkomme.“ Das ist nichts anderes als die Anwendung des Karmagesetzes (Handlungen haben Folgen) auf soziale Beziehungen oder - wie meine Mutter zu sagen pflegte: wie man in den Wald ruft, so schallt es heraus.

Hinsichtlich des Nordens führte der Buddha alsdann aus: „Auf fünffache Weise soll der Sohn aus gutem Hause der nördlichen Himmelsrichtung, den Freunden und Vertrauten Verehrung entgegen bringen, ihnen entgegen kommen:

Wer sich so verhält, der erhält auch fünffachen Schutz und Hilfe von seinen Freunden:

(1) den Nachlässigen schützen sie,
(2) des Nachlässigen Eigentum schützen sie,
(3) dem Furchtsamen geben sie eine Zuflucht,
(4) sie stehen einem in der Not bei und
(5) im Todesfall kümmern sie sich um die Hinterbliebenen.“

Der Buddha sagt also: sei in jeder Situation ein verläslicher Freund, dann werden deine guten Freunde auch dir beistehen. Besonders schön finde ich dabei die Stelle, indem der Buddha dem Singalaka rät, sich im Anderen selbst zu sehen. Das bedeutet so etwas wie einen Perspektivwechsel zu machen: betrachte deinen Freund nicht mit deinen Augen, sondern mit seinen eigenen. Er hat eine etwas andere Sozialisation, eine andere genetische Disposition und ein anderes karmisches Gepäck als du. Versuche sein Denken und Handeln zu verstehen, indem du dich in ihn hereinversetzt. Das sollten wir zwar am besten mit jedem und jeder anderen Person auch tun, aber bei Freunden ist es besonders wichtig und auch einfacher: du kennst diese Person schlichtweg besser. (Diese buddhistische Praxis des Perspektivwechsels wird steht übrigens im Naikan im Mittelpunkt.)

Dann kommt der Buddha auf die hierarchisch tiefer stehenden zu sprechen. „Und auch deinen Dienern und Arbeitern solltest du in fünffacher Art Verehrung entgegenbringen:
teile die Arbeiten entsprechend ihren Fähigkeiten ein,

Die so behandelten Bediensteten werden es dir alsdann ihrerseits in fünffacher Weise danken:
- sie stehen vor dem Herrn auf und
- gehen nach ihm schlafen,
- sie nehmen nur Gegebenes,
- sie verrichten ihre Arbeit ordentlich und
- sie tragen zu deinem Ansehen bei.“

Auch hier appekliert der Buddha an die soziale Verantwortung: die Arbeiten entsprechend den Fähigkeiten einzuteilen, bedeutet schlichtweg, dass man erst einmal den Arbeiter als Individuum betrachtet, ihn kennen lernt. Dem Kranken zu helfen ist in einer Zeit, da es keine Krankenversicherung gibt, eine besondere soziale Verantwortung des Arbeitgeners gegenüber seinen Arbeitnehmern. Und die Aufforderung, sie an Annehmlichkeiten teilhaben zu lassen dient nicht nur dem sozialen Frieden und führt dazu, dass diese sich loyal verhalten. Wenn man das zuende denkt, so sind die außergewehnlichen Annehmlichkeiten in einem Privatunternehmen steigende Gewinne, hier wird also dezent sogar eine Gewinnbeteilkigung der Belegschaft angesprochen.

Und dann kommt der Buddha zum letzten Abschnitt, den spirituell Höherstehenden: 

„Und schließlich soll ein Sohn aus gutem Hause die Asketen und Brahmanen verehren:

Wenn man den Asketen und Brahmanen so entgegenkommt, so sorgen sie auf sechsfache Weise für den Sohn aus gutem Hause:

(1) sie halten ihm vom Üblen ab,
(2) sie führen ihn zum Guten hin,
(3) aus guter Gesinnung sorgen sie für ihn,
(4) Nichtgehörtes sagen sie ihm,
(5) Gehörtes stellen sie richtig,
(6) den Weg zum Himmel zeigen sie ihm.

Und eben auf diese Art ist für den Sohn aus gutem Hause die Richtung nach oben vorgegeben – und das ist sicher.“

Mit diesem letzten Abschnitt machte der Buddha deutlich, dass wirkliche Weise mehr geben, als sie erhalten. Nur hier werden die fünffachen Arten des Gebens, durch eine sechste ersetzt: wahre Weisheitslehrer zeigen den Weg zum Himmel, was an dieser Stelle ´zum Überweltlichen´ bedeutet. Gleichzeitig muss dem Singalaka hier klar geworden sein, was die eigene Brahmanenkaste nicht zu leisten im Stande war.

Daher war Singalaka über die Maßen angetan von dieser Rede. Und gerade beim letzten Punkt, der Verehrung des Zenits, dem Verhalten gegenüber den spirituell höher stehenden wurde Singalaka klar, dass er es mit einem großen Weisheitslehrer zu tun hatte. Unter „Hören“ bzw. „Gehörtem“ verstand man damals spirituelle Lehren. Der Punkt „Gehörtes stellen sie richtig“ war das, was der Buddha gerade praktiziert hatte. Singalaka hatte von seinem sterbenden Vater gehört, er solle die sechs Himmelsrichtungen verehren, hatte dies aber nicht verstanden oder fehlinterpretiert und daher dieses unsinnige Ritual an der Wegkreuzung vollzogen. Der Buddha hatte dieses Gehörte richtig gestellt. Und so verlangte es den Singalaka auch nach dem anderen Punkte, der so ähnlich klang: Nichtgehörtes sagen sie ihm. Er wollte noch mehr von der guten Lehre, vom Buddha-Dharma hören. Und der Buddha kam diesem Wunsche nach.

Der Buddha erzählte ihm allerdings nichts Theoretisches vom Abhängigen Entstehen, nichts von den Vier Edlen Wahrheiten und nichts vom Edlen Achtfältigen Pfad, er sprach nicht von Erwachen und nicht von Nirwana und erst recht nicht von der Anatta-Lehre. Der Buddha sprach nur über Ethik, er verwendete allerdings auch keine Worte wie „Ethik“, er sprach nur davon welches Verhalten gut ist und welches schlecht. Er verwendete allerdings auch nicht die Begriffe gut und schlecht, sondern hilfreich und nicht hilfreich. So erläuterte er Handlungsoptionen und zeigte die Konsequenzen dieser Handlungsoptionen auf. Damit sprach er letztendlich doch - aller dings indirekt - über Abhängiges Entstehen und über Karma, auch wenn er diese Begriffe nicht verwendete. Singalaka war ein Mann aus gutem Hause, einem dem man mit tatsächlichen Situationen erreichen kann, nicht mit Konzepten. Er war ein praktisch Bildbarer, er war einer derjenigen, die arm im Geiste waren, und der Buddha wies ihm den Weg ins Himmelsreich.

Nach diesen Darlegungen des Buddha war Singalaka so begeistert, dass er ausrief: Wunderbar habt ihr die gute Lehre dargestellt, es ist, als sei die Sonne aufgegangen und habe Licht ins Dunkel der Nacht gebracht. So nehme ich, Verehrungswürdiger, Zuflucht zum Erhabenen, zu seiner Lehre und zur Mönchsgemeinde. Möge mich der Erhabene als Laienanhänger annehmen!


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Das Blatt (ficus religiosa) im Hintergrund dieser Seite stammt vom Bodhi-Baum aus Anuraddhapura in Sri Lanka. Dieser ist ein direkter Abkömmling des Baumes, unter dem der Buddha seine Erleuchtung hatte.