Die lüsterne Jungfrau und der Räuber

eine Geschichte aus dem Pali-Kanon, den ältesten buddhistischen Schriften
neu erzählt von Horst Gunkel
(c) Copyright by Horst Gunkel - letzte Änderungen 2015-01-22


Bhadda war die einzige Tochter eines reichen Kaufmanns aus Rajagaha, der Hauptstadt des Königreiches Maghada. Ihrem Vater war nicht entgangen, dass das Mädchen, kaum dass sie dreizehn Jahre alt geworden war, von besonderer Lüsternheit war. Da aber zur damaligen Zeit nur standesgemäß heiraten konnte, wer jungfräulich in die Ehe einging, sperrten die Eltern ihre Tochter im obersten Stockwerk eines siebenstöckigen Hauses ein, so dass sie weder herauskonnte, noch ein junger Mann zu ihr „fensterln“ konnte, das Haus war einfach zu hoch.

Zu dieser Zeit war ein ebenso fescher wie unbändiger junger Mann, der bei einem Raubüberfall gefasst worden war, zum Tode verurteilt worden. Wachen führten den Gefesselten zur Todeszelle in der die Delinquenten auf ihre Hinrichtung zu warten hatten. Dabei kamen sie auch an den siebenstöckigen Haus vorbei, an dessen Fenster Bhadda nach strammen jungen Männern Ausschau hielt um ihre sexuellen Phantasien anzuregen. Sie war ganz hingerissen von dem Anblick des Gefesselten, der nur mit einem Lendentuch bekleidet war und dessen muskulöser Oberkörper sich ihren gierigen Blicken darbot. Er hatte starke Muskeln, die in der Sonne glänzten, und als er Bhadda sah, lachte er, rief ihr zu, dass er sie gern vernaschen würde, denn er hatte ihren lüsternen Blick gesehen, und machte – da er seine Hände nicht bewegen konnte - mit der Zunge eine obszöne Bewegung.

Bhadda verschlang diesen jungen Räuber mit ihren Augen und jede Faser ihres Körpers war erregt. Diesen Mann musste sie haben! Er schien genau so lüstern wie sie. Also schrie sie das ganze Haus zusammen und als ihre Eltern kamen, teilte sie ihnen mit: „Dieser tolle junge Gefangene, der eben dort unten vorbeigeführt wurde, den will ich als Mann haben. Den und keinen anderen.“

Die Eltern, die auch mitbekommen hatten, dass ein Todeskandidat an ihrem Haus vorbeigeführt wurden, versuchten auf sie einzureden und sie von der Unmöglichkeit ihres Unterfangens zu überzeugen, aber Bhadda stellte sich stur: „Ihr besorgt mir diesen Mann, andernfalls stürze ich mich aus dem Fenster und damit ihr seht, dass ich es ernst meine, werde ich nichts mehr essen und trinken, bis ich ihn bekommen  habe!“ Sprach´s und schleuderte die auf dem Tisch stehende Nahrung und ihr Trinkgefäß zum Fenster hinaus. Ihre Augen funkelten vor wilder Entschlossenheit.

Die Eltern zogen sich zurück, nachdem sie Bhaddas Gefängnis wieder sorgfältig verriegelt hatten. „Unsere Tochter hat den Teufel im Leib!“ sagte ihre Mutter, „gewiss wird sie sich etwas antun.“

„Ja“, antwortete der Vater bedächtig, "das fürchte ich auch, sie hat einen starken Geschlechtstrieb. Sie braucht einen Mann, der stark ist um sie zu beherrschen.“

Und nach einigem Nachdenken ergänzte er: „Vielleicht gerade so einen, wie diesen wilden Gesellen, den sie hinrichten wollen.“

Am Abend ging der Vater zum Gefängnis. Er war ein reicher Kaufmann und so bestach er die Wachen, den Delinquenten herauszugeben. Man wurde handelseinig. Die Wachen suchten sich einen anderen jungen Mann, der angetrunken nach Hause wankte, kerkerten diesen statt des Räubers ein und brachten den wilden Kerl ins Haus der Kaufmannsfamilie. Die Ehe wurde sofort vollzogen, denn Braut und Bräutigam einte Gier und Geschlechtslust.

Doch während Bhadda nur sexuelle Gier hatte, verlangte es den Räuber auch nach materiellen Besitztümern. Er selbst hatte nichts, jedoch die Familie seiner jungen Frau war reich und Bhadda selbst hatte erlesenen Schmuck. Er sann darüber nach, wie er sich in den Besitz des Schmuckes bringen konnte. Sein Interesse an Bhadda war eher kurzfristiger Natur. Noch viel verlockender als die junge Frau, deren Umarmungen er jetzt einige Male genossen hatte, schien ihm ihr Geschmeide.

„Ich habe, während sie mich in die Todeszelle führten, ein Gelübde abgelegt“, log er, „wenn ich freikomme, so habe ich der Felsgottheit im Gebirge ein Opfer versprochen. Zieh deine besten Sachen an und komm mit, wir werden jetzt zum Opferplatz gehen.“ Bhadda machte sich fertig, doch ihr wilder Mann bedrängte sie dann, all ihren Schmuck anzuziehen, jedes einzelne Stück. Bhadda wurde es unheimlich.

Danach gingen sie ins Gebirge auf einen steilen Berg. Bhadda atmete heftig, denn sie musste die Steigung unter dem schweren Gewicht ihrer Preziosen zurücklegen. Schließlich kamen sie an eine Stelle, die Räuberklippe hieß, denn hier ließ der König von Maghada die Verbrecher zu Tode stürzen. Bhadda hatte eine unheimliche Ahnung, was ihr bevorstand.

„Zieh dich aus, Kleines“, sagte der Räuber. Bhadda zog ihre Kleider aus.

„Das auch“, verlangte der Mann und zeigte auf ihr Diadem. So musste Bhadda Stück für Stück all ihren Schmuck ablegen, Ketten, Armbänder, Ringe, sogar die Ohrringe. Als sie sich schließlich aller ihrer Sachen entledigt hatte, und sie ganz nackt vor ihm stand entschied sich der Räuber, sie ein letztes Mal zu nehmen. Er stürzte sich auf sie und sie paarten sich direkt an der Räuberklippe. Bhadda war sicher, dass der Mann sie, kaum dass er sich befriedigt hätte, zu Tode stürzen würde.

Aber sie war ein kluges Mädchen und wusste, dass sie genau eine Chance hatte. In dem Moment seiner höchsten Lust, als seine Sinne ganz von Geschlechtslust benebelt waren, schleuderte sie ihn die Klippe hinab.

Bhadda zitterte am ganzen Körper. Sie sah, dass alles, was geschehen war, aufgrund von Gier passiert war. Aufgrund ihrer Geilheit, aufgrund seiner Geschlechtslust und aufgrund seiner Gier nach Reichtum. Sie verspürte keine Lust mehr unter diesen Umständen in das bürgerliche Leben einer Kaufmannsfamilie zurückzukehren, zu ihrer Händlerkaste, deren Antrieb ja eben auch die Gier war. Sie beschloss Wanderasketin zu werden und schloss sich dem Orden der Jain an, der Jünger Mahaviras, der gewissermaßen die spirituelle Konkurrenz des Buddha anführte.

Als sie den Jains berichtete, was sich zugetragen hatte, bedachten diese Bhadda mit einer speziellen Strafe. Man riss ihr sämtliche Haare samt Wurzeln aus. Auf diese Art wollte man sie so verunstalten, dass sie nach dem damaligen Schönheitsideal abgrundhässlich war und daher nie wieder einen Mann würde bezirzen können. Bhadda hatte jedoch gar kein Interesse mehr an Männern. Zwar wuchs ihr Haar merkwürdigerweise nach, diesmal allerdings nicht glatt, sondern in wunderschönen Locken, aber nachdem sie ihren Mann während des Geschlechtsaktes getötet hatte, hatte sie nie wieder Verlangen, diesen Akt zu vollziehen, ihr graute vor der Erinnerung - und vor der Kraft der Gier.

Auf Dauer gefiel es Bhadda nicht bei den Jains, sie stellte fest, dass es dort nicht möglich war, zur Erleuchtung zu kommen, und so besuchte sie zahlreiche geistliche Lehrer und war ob ihres scharfen Intellekts und ihrer hervorragenden Debattierkunst bald eine berüchtigte Diskussionsrednerin.

So zog sie als sofistische Philosophin durch Indien und bald war bekannt, dass sie eine besondere Marotte hatte: sie häufte etwas Sand an, steckte einen Rosenapfelzweig hinein und, wer mit ihr diskutieren wollte, musste den Sandhaufen zertreten.

Eines Tages kam sie auch nach Savatthi, wo im Jetahain Anathapindikas Kloster  war. Dort hielt sich der Buddha während insgesamt 19 Regenzeiten zum Retreat auf. Sariputta hörte von der Ankunft Bhaddas und schickte einige Kinder hin, um ihren Sandhaufen zu zertreten.

„Wer hat euch geheißen, das zu tun“, fragte sie die Kinder.

„Das war Sariputta“, sagten sie, „der Marshall der Lehre des Buddha.“

Eine siegesgewisses Lächeln zeigte sich auf den Gesicht der lockigen Frau. „Wohlan, dann werde ich wohl diesem sogenannten Marshall der Lehre einige Fragen stellen, um ihm zu zeigen, dass er nichts weiß. Haha, kein Mann kann sich mit mir messen.“

So trafen Sariputta und Bhadda aufeinander, zwei der schärfsten intellektuellen Geister dieses Landes der Philosophen und Denker. Bhadda stellte Sariputta eine schwierige philosophische Frage, der beantwortete sie ohne zu zögern. „Nicht schlecht“, dachte Bhadda und formulierte eine zweite Frage. Das gleiche wiederholte sich. So ging es einige Zeit. Dann entstand eine Pause. Bhadda hatte alle schwierigen philosophischen Fragen der unterschiedlichsten Denkschulen, denen sie begegnet war, gestellt  - und dieser Mann, der bekanntermaßen immer nur einer Schule, der des Buddha angehört hatte, hatte alles beantwortet, teilweise völlig unkonventionell, doch immer mit bestechender Logik. Sie sah Sariputta an. Konnte es sein, dass es einen Mann gab, der ihr ebenbürdig war?

In diesem Moment stellte Sariputta eine Frage: „Was ist das Eine?“

Die Frage erschütterte sie. So einfach diese Frage gestellt war, so wenig konnte man drauf eine Antwort geben. Am ehesten würde die Antwort „Gott“ passen, aber das ging nicht, denn erstens glauben diese Buddhisten nicht an Gott und zweitens befindet sich Gott in der Unendlichkeit und damit gäbe es ein zweites.

Bhaddas Hirn arbeitete fieberhaft. Sie fand keine Antwort. Also bat sie Sariputta, ihr des Rätsels Lösung zu präsentieren.

„Die“, so antwortete Sariputta, „gebe ich nur Angehörigen des buddhistischen Ordens“, sprach's, berbeugte sich vor der weisen Frau und zog von dannen.

Wenn es "das Eine" gäbe, so musste sie das erfahren, war sich Bhadda sicher - und beschloss dem Orden des Buddha beizutreten. Dummerweise befand sie sich jedoch bei einem Männerkloster, wo man sie nicht ordinieren konnte, also suchte sie die Sangha der Bhikkhunis, der buddhistischen Nonnen, auf, wo sie alsbald ordiniert wurde.

Kurz darauf machte sie sich wieder nach Savatthi auf, doch Sariputta war nicht mehr da. Bhadda praktizierte nunmehr gemäß der Lehre des Buddha, jedoch trieb die Frage nach „dem Einen“ sie weiter um. Eines Tages kam der Buddha nach Savatthi. Bhadda bat Ananda, den Saekretär des Buddha, ihr einen Termin beim Erhabenen zu machen.

Der Buddha sah sofort, dass Baddha der Erleuchtung nahe war.

„Erhabener“, so fragte sie ihn, „was ist das Eine?

Habe nun, ach!
Philosophie und Medizin,
Und leider auch Theologie
Durchaus studiert, mit heißem Bemühn.
Da steh ich nun, ich arme Torin!
Und bin so klug als wie vorhin;
denn Sariputtas Frage weiß ich nicht zu beantworten. Bitte sagt mir, Erleuchteter, was ist das Eine?“

Der Buddha lächelte unwillkürlich, als er ihre Formulierung hörte, die wie aus einer anderenZeit klang, dann antwortete er ebenfalls in Versen:

„Man mag tausend Verse hören,
aus Zeilen ohne Sinn und Zweck.
Besser ist eine einzig´ Zeile
Voller Bedeutung.
Wer sie hört, gelangt zur Ruhe.“
Im selben Augenblick als sie dies hörte, erreichte Bhadda die volle Erleuchtung, sie gelangte zur Ruhe.

Der Buddha listete bei einer späteren Gelegenheit Bhadda auf der Hitliste der Frauen, die schnell verstehen, auf Platz eins. Sie teilt sich diese Ehre mit Bahiya, dem mit dem Borkengewand.



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Das Blatt (ficus religiosa) im Hintergrund dieser Seite stammt vom Bodhi-Baum aus Anuraddhapura in Sri Lanka. Dieser ist ein direkter Abkömmling des Baumes, unter dem der Buddha seine Erleuchtung hatte.