Horst Gunkel: Die Jesus-Trilogie - Band 2: Jesus - die Jahre 30 - 96 - Kapitel 9                                                letztmals bearbeitet am 01.09.2025

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  9 - Kurz vor dem Showdown


                                                                                                                                               

Das Frühlingsfest der Christen ist das Osterfest, an dem sie die „Auferstehung des Herrn” feiern, die Juden feierten zum gleichen Zeitpunkt, im Frühling, das Passafest, zu dem auch Jesus und seine Jünger nach Jerusalem gehen wollten. Zuvor aber waren sie bei Lazarus, dem Mann in Bethanien zu Gast, den Jesus von den Toten auferweckt haben soll.

Lazarus lebte allein mit seinen Schwestern Maria und Martha, die Eltern der drei sind längst verstorben, aber alle drei sind unverheiratet und haben keine Kinder. Natürlich wird über diese merkwürdige Wohngemeinschaft alles Mögliche gemunkelt, aber die drei stören sich nicht daran – und dann ist da auch noch ihre Freundschaft mit diesem merkwürdigen Wanderprediger Jesus, den manche für den Messias halten, andere für einen Propheten, viele aber für einen aufmüpfigen Scharlatan.

Natürlich freuen sich die drei, dass Jesus mit einigen Jüngern zu Besuch kommt. Im Johannesevangelium lesen wir, dass Martha die anderen bewirtet. Margot Käßmann1 beschreibt die Stimmung bei diesem Ereignis so: Eines Tages kommt Jesus erneut zu Besuch (Joh 12, 1ff.). Wieder bedient Martha die Runde, da sind die Rollen offenbar doch sehr eingeübt. Maria aber nimmt an diesem Abend ein Pfund kostbares Öl, salbt Jesus die Füße und trocknet sie mit ihren Haaren ab. Was für eine liebevolle, ja geradezu zärtliche Geste! Martha und Lazarus sehen sich an: Ist Maria vielleicht verliebt in Jesus? Ist das mehr als Freundschaft? Das ganze Haus ist erfüllt von dem Duft des wunderbaren Öls. Einen Moment scheint die Zeit still zu stehen.2

Im Johannesevangelium taucht jetzt der Lieblingsspielverderber des Neuen Testaments auf: Judas Iskariot und hinter seinen Namen schreibt Johannes - wie üblich - „der ihn danach verriet3. Und Johannes schiebt auch gleich noch nach, dass er so etwas wie der Kassenwart der Apostel war und die Gelegenheit auch genutzt hatte, um Geld zu stehlen.4

Judas fragte: „Warum wurde dieses Öl nicht für dreihundert Silbergroschen verkauft und das Geld den Armen gegeben?”5 Das könnte man als durchaus berechtigte Frage ansehen, auch wenn der Preis, den Judas hier genannt haben soll, extrem hoch ist – wir einnnern uns: der Tageslohn für die Arbeiter im Weinberg betrug einen Silbergroschen, demnach hätte der Wert des Öls dem Jahreslohn eines Arbeiters entsprochen! Jesus wischt den Einwand mit dem Argument beiseite, Arme gäbe es immer, ihn aber nicht.

Der Evangelist Johannes berichtet weiter, dass gerade das Wunder um die Erweckung des Lazarus viel Aufsehen erregt hätte, und das sich „eine große Menge Juden” aufmachten – einerseits wegen Jesus andererseits um den auferweckten Lazarus zu sehen. Außerdem hätten die Hohenpriester beschlossen, Lazarus zu töten.

Am nächsten Tag – das ist nach der christlichen Tradition der Palmsonntag – zog Jesus auf einem jungen Esel sitzend, den die Jünger ihm besorgt hatten, in Jerusalem ein: „Als am nächsten Tag die große Menge, die aufs Fest gekommen war, hörte, dass Jesus nach Jerusalem kommen werde, nahmen sie Palmzweige und gingen hinaus ihm entgegen und schrien: Hosianna! Gelobt sei, der da kommt im Namen des Herrn, der König von Israel!”6

Wenn man den Evangelisten glauben kann, war es ein triumphaler Einzug in Jerusalem. Das musste natürlich für die etablierte „jüdische Amtskirche” eine Provokation sein, zumal an diesem Fest Juden aus allen Teilen des Landes angereist waren, Johannes weist daraufhin, dass selbst Griechen anwesend gewesen seien.

Kurz besucht Jesus den Tempel, dabei ereignet sich etwas, das wir bereits aus der Lebengeschichte Jesu verschiedentlich kennen und das man als einen Anfall von Jähzorn beschreiben kann, oder – wie es die Kirche nennt – als „heiligen Zorn”7. Jesus sieht, dass im Tempel, der ja eigentlich der inneren Einkehr des Menschen dienen soll, allerlei Verkaufsstände aufgebaut sind, und er fängt an zu randalieren: Er wirft die Tische der Händler um und vertreibt sie aus dem Tempel.8

Jetzt formiert sich der Widerstand seitens der Rabbiner und auch im Volk. Es zeigt sich, dass es keinen Ausweg geben kann, dass die Sache auf einen Showdown hinausläuft. Ob Jesus die Sache bewusst hier und jetzt auf die Spitze getrieben hat, oder ob es einer seiner üblichen Anfälle von Jähzorn und mangelnder Mäßigung war, lasse ich dahin gestellt. Auf jeden Fall musste spätestens jetzt ein Plan erstellt werden.

Und damit kommen wir zur Sache mit Judas und den Aposteln.

Bisher war hier immer von Jüngern die Rede, wer aber waren die zwölf Apostel? Ihre Namen sind Petrus (der eigentlich Simon hieß), Jakobus (Sohn des Zebedäus), Johannes, Andreas, Philippus, Bartholomäus, Mathhäus, Thomas, Jakobus (Sohn des Alphäus), Thaddäus, Simon und Judas. Diese zwölf Apostel, also gewissermaßen die Kerntruppe der Jüngerinnen und Jünger, hatten laut dem Markusevangelium drei Aufgaben

Am interssantesten ist unter ihnen vermutlich Judas, der bei den Evangelisten regelmäßig den Zusatz „der ihn verriet” bekommt. Dennoch taucht er – anderen Bibelstellen zum Trotz – später auch bei Paulus noch auf, als der Auferstandene „danach den Zwölfen”9 erschien.

Prof. Uta Ranke Heinemann schreibt in dem Kapitel „Das Märchen vom Verräter Judas10: „Zum Glück für alle Beteiligten ist die Gestalt des Verräters Judas eine religiöse Märchen­gestalt. Sie ist einen Kunstfigur, eine wirkungsvolle allerdings. Denn eine Gestalt des Dunkels neben einer Gestalt des Lichts ist immer faszinierend, der personifizierte Böse neben einer göttlichen Person insbesondere. Dieser in den Evangelien als Ausbund der Bosheit dargestellte Judas hat nicht exisitiert, zudem konnte er, unterstellen wir einmal, daß es ihn gegeben hätte, Jesus gar nicht verraten, denn er hatte ein Alibi.”

Mit dem Alibi meint Ranke-Heinemann, dass er bei dem Abendmal am Gründonnerstag die ganze Zeit anwesend war11 und hinterher folgten Jesus alle Apostel nach Gethsemane.12 Er hatte also schlicht keine Gelegenheit, seinen Meister zu verraten.

Wie also könnte sich diese Geschichte wirklich abgespielt haben? Hier weiche ich von dem ab, was das Neue Testament sagt, denn es sagt offensichtlich nicht die Wahrheit. Es folgt also meine – wie ich finde: recht plausible – Erzählung.

Nach den Ereignissen im Tempel von Jerusalem war eigentlich allen klar, dass es zu einem Showdown kommen musste, schon lange gab es starke Bestrebungen sowohl seitens der Rabbiner, Jesus loszuwerden, aber auch für die Römer war dieser aufmüpfige Prediger ein Problem geworden. So kam es zu eine Unterredung zwischen Jesus und seinem Freund Judas.

Dieser eröffnete das Gespräch: „Jesus, ich fürchte, diesmal bist du zu weit geggangen, hast deine Gegner zu stark provoziert, sie werden dich diesmal wirklich hinrichten, wenn du nicht noch rechtzeitig fliehst und dich versteckst. Aber es gibt einen Ausweg. Wir könnten noch in der Nacht aufbrechen und den Jordan überqueren, von dort könnten wir nach Norden gehen, Richtung Damaskus, dort wird dich keiner erkennen.”

Nein, so geht das nicht, Judas, wenn ich jetzt fliehe, war alles vergebens, was ich was wir zusammen hier gemacht haben. Das wäre die schlechteste denkbare Lösung. Lass uns überlegen, welche Alternativen es dazu gibt. Mein Tod wäre die zweitbeste Lösung. Ich wäre ein Märtyrer und ihr setzt mein Werk – vielleicht etwas weniger provokant durch. Märtyrer kommen immer gut bei Volk an. Aber die beste Lösung wäre mein Tod und anschließend meine Wiederauferstehung! Dieses Volk liebt Wunder, das wäre das größte Wunder, allerdings darf ich mich nach meiner Wiederauferstehung nicht im öffentlichen Raum zeigen, wohl aber Eingeweihten, nach einiger Zeit setze ich mich dann dorthin ab, wo ich die meiste Zeit meines Lebens verbracht habe, in ein weit entferntes Land Richtung Sonnen­aufgang, es heißt Bhārat Gaṇarājya.”

Tod und Auferstehung? Wie stellst du dir das vor? Wie soll denn das funktionieren mit der Auferstehung?”

Weißt du, Judas, als ich in Bhārat Gaṇarājya war, traf ich mehrere Lehrmeister für paranormale Phänomene. Ich war bei zweien von ihnen in der Lehre, bei Maharadesh und bei Amar Jadoo. Dort habe ich unter anderem Schmerzerduldung gelernt, was ich damals verabscheut habe, und außerdem die Fähigkeit meine Körperfunktionen durch Meditation so weit herunterzufahren, dass ich mich lebendig begraben lassen konnte. Nicht einmal ein begabter Arzt konnte Leben in mir feststellen. Auf diese Art kann ein lebendig Begrabener mehrere Tage überleben.”

Aber Jesus, wir sind in Jerusalem, die oberste Gerichtsbarkeit liegt bei den Römern und die dort übliche Hinrichtungsmethode ist die Kreuzigung! Die überlebt man nicht! Mitunter hängen die Elendigen bis zu drei Tage am Kreuz. Mitunter werden ihnen auch während der Tortur die Beine gebrochen, was den Tod etwas schneller eintreten lässt.”

Das ist richtig, mein lieber Judas, aber nach jüdischem Brauch, den die Römer ganz besonders jetzt am Passafest beachten, ist es nicht zulässig, dass ein Gekreuzigter am Sabbath am Kreuz hängt. Der Sabbath beginnt Freitagabend, wenn die Sonne untergeht. Wir müssen also die Festnahme auf Freitagmorgen ganz früh, möglichst noch in der Nacht zum Freitag erreichen, dann kann der Prozess in den frühern Morgen­stunden stattfinden und die Kreuzigung mittags. Wenn es mir dann gelingt innerhalb der nächsten Stunden trotz des vorher­gehenden Martyriums in diesen todesähnlichen Zustand zu kommen, müssen wir möglichst einen der römischen Wach­soldaten dazubekommen, den Tod festzustellen – und zwar bevor sie auf die Idee kommen, mir die Beine zu brechen. Und wir brauchen jemanden, der meinen Körper zur Beisetzung wegbringt.”

Jesus, das klingt alles abenteuerlich, sogar sehr abenteuerlich, um nicht zu sagen: absolut gefährlich! Wenn wir das so machen, wenn du das so willst, dann ist es wichtig, dass der Kreis der Eingeweihten so klein wie möglich bleibt. Ich habe Bedenken, dass es jemand an Dritte weitergibt. Am besten wir weihen die Jünger und auch die anderen Apostel nicht ein. Lass mich überlegen: Ich habe da über einen Schwager Kontakt zu einem Vertrauten des Hohepriesters Kaiphas. Ich könnte versuchen mit ihm zu vereinbaren, dich ihm am späten Donnerstagabend oder in der Nacht auf Freitag auszuliefern. Und damit er es nicht für eine Falle hält, würde ich vortäuschen, dass ich es für Geld mache, das kann dann in unsere gemeiname Kasse gehen, denn wir müssen vielleicht auch noch Leute bestechen. Wir müssten zum Beispiel einen der Wachsoldaten, die bei der Kreuzigung anwesend sind, bestechen, um dafür zu sorgen, dass dir die Beine nicht gebrochen werden. Aber um die vorherige Folterung und um das Annageln wirst du wohl nicht herumkommen. – Naja wir können zumindest versuchen, darauf hinzuwirken, dich nur mit Stricken ans Kreuz zu fesseln, mitunter wirken ein paar Silberlinge bei den Soldaten Wunder.”

Das klingt machbar. Für die Bestechung des Soldaten kann ich vermutlich Maria Magdalena einsetzen. Ich werde dann für Donnerstagabend zum Passafestmahl laden. Bist du bereit mitzumachen, wenn ich auf diesem Fest sage, dass du mich verraten würdest? Ich werde ihnen auch sagen, dass wir das miteinander abgesprochen haben. Die Apostel sollen zunächst an meinen Kreuzestod glauben, der ein Opfer sei, um unsere Bewegung vor Verfolgung zu schützen, also dass ich für sie gestorben wäre und dass alsbald Gottes Reich komme.”

Ja, wenn du es wirklich so willst, können wir es so machen. Obwohl mir nach wie vor lieber wäre, du würdest dich ohne Kreuzigung und Auferstehung nach Damaskus absetzen.”

Vergiss es , Judas!”

Gut, dann machen wir es so, wie du es willst. Auch auf die Gefahr hin, dass ich eines Tages von deinen Anhängern zur Rechenschaft gezogen werde. Ich werde also morgen Kontakt in Richtung des Hohepriesters Kaiphas aufnehmen und anschließend dir Bericht erstatten, während du Maria Magdalena instruierst. Noch etwas: ein entfernter Onkel von mir, Josephus, gehört dem Rat der Hohepriester an – und was besonders interessant ist: er sympathisiert mit uns. Wenn wir den irgendwie in die Geschichte mit der Feststellung deines Todes einbauen könnten wäre das hilfreich. Wenn du magst, kann ich versuchen, Kontakt mit ihm aufzunehmen.”

Jesus stimmte den Vorschlägen zu, riet aber zu besonderer Vorsicht. Die beiden umarmten sich zum Abschied.

Wenn man davon ausgeht, dass der Einzug in Jerusalem am Palmsonntag erfolgte, die Kreuzigung am Karfreitag und „das letzte Abendmahl” am Gründonnerstag stattfand, dann kann der Zwischenfall am Tempel, wo Jesus die Tische der Händler umstieß, frühestens am Sonntag gewesen sein, das oben dargelegte Gespräch zwischen Jesus und Judas kann frühestens am Sonntag und spätestens am Dienstag stattgefunden haben, denn es waren ja noch einige Vorbereitungen zu treffen. Zu diesen gehörte, dass Jesus einen Veranstaltungsort für „das letzte Abendmahl”, das in der jüdischen Tradition Sederabend genannt wird, besorgte.

Jesus hat alsdann für diese feierliche Veranstaltung, die er gemeinsam mit den zwölf Aposteln durchführte, einen Raum in Jerusalem bei Anhängern besorgt. Laut dem Markus-Evangelium ist es dabei ziemlich konspirativ zugegangen: „Und am ersten Tage der Ungesäuerten Brote, da man das Passalamm opferte, sprachen seine Jünger zu ihm: Wo willst du, dass wir hingehen und das Passalamm bereiten, damit du es essen kannst? Und er sandte zwei seiner Jünger und sprach zu ihnen: Geht hin in die Stadt, und es wird euch ein Mensch begegnen, der trägt einen Krug mit Wasser; folgt ihm, und wo er hineingeht, da sprecht zu dem Hausherrn: Der Meister lässt dir sagen: Wo ist die Herberge für mich, in der ich das Passalamm essen kann mit meinen Jüngern? Und er wird euch einen großen Saal zeigen, der schön ausgelegt und vorbereitet ist; und dort richtet für uns zu. Und die Jünger gingen hin und kamen in die Stadt und fanden’s, wie er ihnen gesagt hatte, und bereiteten das Passalamm. Und am Abend kam er mit den Zwölfen.”13

Bei der Mahlzeit erklärt Jesus dann, dass ihn einer verraten werde, außerdem soll er dabei auf die besondere Rolle von Wein und Brot, das man zu seinem Gedenken essen solle, hingewiesen haben. Er verlässt also die hebräische Tradition, dass zu dem feierlichsten religiösen Mahl ein Fleischgericht - das Passalamm - gehört, und ersetzt dieses durch Brot, was vermutlich auf die indischen (vegetarischen) Traditionen, die ihn prägten, zurückzuführen ist. Sowohl in der buddhistischen als euch in der jainistischen Tradition umfasst die Übung von Metta auch die Liebe zu Tieren. In der katholischen Kirche ist davon lange die Tradition übrig geblieben, zumindest am Freitag kein Fleisch zu essen.

Was dann geschah, beschreibt Matthäus so14: Und am Abend setzte er sich zu Tisch mit den Zwölfen. Und als sie aßen, sprach er: Wahrlich, ich sage euch: Einer unter euch wird mich verraten. Und sie wurden sehr betrübt und fingen an, jeder einzeln zu ihm zu sagen: Herr, bin ich’s? Er antwortete und sprach: Der die Hand mit mir in die Schüssel taucht, der wird mich verraten. Der Menschensohn geht zwar dahin, wie von ihm geschrieben steht; doch weh dem Menschen, durch den der Menschensohn verraten wird! Es wäre für diesen Menschen besser, wenn er nie geboren wäre. Da antwortete Judas, der ihn verriet, und sprach: Bin ich’s, Rabbi? Er sprach zu ihm: Du sagst es. Als sie aber aßen, nahm Jesus das Brot, dankte und brach’s und gab’s den Jüngern und sprach: Nehmet, esset; das ist mein Leib. Und er nahm den Kelch und dankte, gab ihnen den und sprach: Trinket alle daraus; das ist mein Blut des Bundes, das vergossen wird für viele zur Vergebung der Sünden.

Natürlich ist für die späteren Christen Judas der Verräter, so nimmt es auch nicht Wunder, dass die Evangelisten Jesus sagen lassen, es sei für Judas besser, wenn er nicht geboren wäre.

Andererseits lässt auch der Evangelist Markus, von dem der eben zitierte Text stammt, genau wie die Evangelisten Matthäus und Lukas den Judas anschließend mit ihnen feiern. Es gibt keinerlei Empörung. Jesus scheint ihnen dargelegt zu haben, dass sein Tod notwendig ist für den Fortbestand ihrer Bewegung. Und Jesus bedankt sich bei ihnen allen Zwölfen (ausnahmslos!) und verkündet ihnen allen im Reich von Abba eine großartige Zukunft: „Ich aber bin unter euch wie ein Diener. Ihr aber seid’s, die ihr ausgeharrt habt bei mir in meinen Anfechtungen. Und wie mir mein Vater das Reich bestimmt hat, so bestimme ich für euch, dass ihr essen und trinken sollt an meinem Tisch in meinem Reich und sitzen auf Thronen und richten die zwölf Stämme Israels.”15

Prof. Uta Ranke-Heinemann beschreibt das so: „Es scheint als hätten die Jünger die Ankündigung des Verrats mit Gleichgültigkeit aufgenommen. (...) Offenbar wandten sie sich wieder dem Essen und Trinken zu. Jedenfalls unternahm niemand von ihnen etwas, um den Verrat und damit den drohenden Tod Jesu zu verhindern.”16

Auch im weiteren hat Ranke-Heinemann wenig Verständnis für das Verhalten der Apostel: „Überhaupt ist das Bild, das die Jünger im Zusammenhang mit der Passion Jesu bieten, eigentlich recht erbärmlich. Sie verhalten sich nicht nur hinsichtlich des drohenden Verrats passiv, sie schlafen nicht nur, während er leidet, sie versuchen auch gar nicht, ihn zu retten. Petrus verleugnet ihn, statt sich zu ihm zu bekennen. Und beim Tod ihres Herrn sind die Jünger, vom sog. Lieblingsjünger abgesehen, dessen Gestalt aber legendär ist, nicht anwesend und verleugnen ihn damit wiederum. Noch nicht einmal `aus der Ferne´, wie es von den Frauen aus Jesu Begleitung heißt, nehmen sie Anteil an seinem Sterben oder leisten sie Beistand durch Anwesenheit. Und begraben haben sie ihn auch nicht. Aber die Fragwürdigkeit des Chrarakters der Jünger, ihre Gleichgültigkeit gegenüber dem Verrat, ist ohne Gewicht. Denn den Verräter hat es nicht gegeben und also auch keinen Verrat: Judas ist eine Schöpfung der Phantasie.”17

Ich würde nicht so weit gehen, wie Ranke-Heinemann. Wen es mit Sicherheit gegeben haben muss, ist eine Person, die mit Jesus zusammen die Absicht von Scheintod und Auferstehung geplant und vorbereitet hat. Das muss eine Person sein, die sowohl mit den Römern, als auch mit den Personen, die Jesu Beerdigung und Flucht ermöglicht haben, zusammengearbeitet hat. Es können dies auch mehrere Personen gewesen sein. Eine der eingeweihten und am Plan beteiligten Personen war, wie der weitere Verlauf zeigen wird, Maria Magdalena. Aber dass da einer war, der „Judas” hieß, ist für mich mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit erfunden. Als die Evangelisten schrieben, war es wichtig, die Römer nicht zu provozieren, jetzt mussten „die Juden” schuld sein – und der personifizierte Böse bekam daher den Namen „Judas”.

Den Juden” und dem personifizierten üblen Juden „Judas” haben die Evangelisten die Verräterrolle zugeschrieben, die spätere Judenverfolgungen, antijüdische Progrome und schließlich den Holocaust ermöglichten.

Und noch aus dem 50er und 60er Jahren des 20. Jahrhunderts kenne ich die Diskussion in der katholischen Kirche, ob man „den Juden” den „Gottesmord” an Jesus verzeihen könne.


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Fußnoten

1 Margot Käßmann ist eine Theologin, die Vorsitzende des Rates der EKD (Evangelische Kirche in Deutschland) war.

2 Der Artikel vom 31.3.2019 findet sich unter https://www.herder.de/religion-spiritualitaet/bibel/personen/maria-marta-und-lazarus/

3 Joh 12,4

4 Joh 12,6

5 Joh 12,5

6 Joh 12,12-13

7 Eine besondere Form ist der heilige Zorn. Letzterer ist ein gerechter Zorn über etwas eindeutig Ungerechtes. Der heilige Zorn richtet sich nicht gegen Menschen. Im Idealfall führt er dazu, sich nicht nur über eine ungerechte Sache zu ärgern, sondern sich dafür einzusetzen, sie zu beseitigen. Sie deutlich zu benennen, aktiv zu werden und selbst barmherzig zu handeln oder andere zum Handeln zu bewegen. Heiliger Zorn kann also wertvoll sein, weil er Energien freisetzt, die dazu beitragen können, etwas zu verändern. Der Ärger wird beim heiligen Zorn in positive Energie umgewandelt. (Wikipedia 22.3.2024 unter „Zorn“)

8 Und sie kamen nach Jerusalem. Und Jesus ging in den Tempel und fing an, hinauszutreiben die Verkäufer und Käufer im Tempel; und die Tische der Geldwechsler und die Stände der Taubenhändler stieß er um und ließ nicht zu, dass jemand etwas durch den Tempel trüge. Und er lehrte und sprach zu ihnen: Steht nicht geschrieben (Jes 56,7): »Mein Haus wird ein Bethaus heißen für alle Völker«? Ihr aber habt eine Räuberhöhle daraus gemacht. (Mk 11,15-17)

9  1. Kor 13,5

10 Ranke-Heinemann, a.a.O. S. 152

11 vgl. Lk 22,14-21

12 Lk 22,39

13 Mk 14,12-17

14 Matt 26,20-28

15 Luk 22,27-30

16 Ranke-Heinemann, a.a.O. S. 154

17 Ranke-Heinemann, a.a.O. S. 155 


Erläuterungen

Abba Wenn Jesus Gott anbetete, verwendete er dieses aramäische Wort für „Vater„. Er nahm nicht die Anrede JHWH, die im Tenach verwendet wurde. Während JHWH den alttestamen­tarischen strengen Gott, der ursprünglich der Kriegsgott der Juden war, bezeichnet, interpretiert Jesus das Göttliche neu und sieht darin eine milde, verständnisvolle und unterstützende Vaterfigur.

Bhārat Gaṇarājya – (Sprache: Hindi) indische Bezeichnung für Indien

JHWH – ist der Eigenname des Gottes im Tanach. Da es in der hebräischen Schrift keine Vokale gibt enthält er keine Konsonanten. Ausgesprochen wird er Jahwe, oder auch Jehova.

Kaiphas - Informationen über Kajaphas finden sich im Werk des jüdischen Historikers Flaviua Josepus. Kaiphas wurde im Jahr 18 n. Chr. durch den römischen Präfekten Valerius Gratus zum Hohepriester berufen. Das Amt des Hohepriesters war seit der Regierungszeit Herodes des Großen kein erbliches, lebenslang ausgeübtes Amt mehr, sondern wurde von den jeweiligen Machthabern nach politischer Opportunität an ein Mitglied der Priesteraristokratie vergeben. Da die jüdisch-religiösen Ämter in dieser Zeit wesentlich vom Wohlwollen der römischen Besatzungsmacht in Judäa abhingen, wird Kajaphas in erheblichem Maße auf römische Belange Rücksicht genommen haben. Nach dem Zeugnis des Flavius Josephus erfolgte die Absetzung des Kajaphas durch den Lucius Vitellius im zeitlichen Kontext der Abberufung des Pontius Pilatus als Präfekt von Judäa im Jahr 36/37 u.Z., was auf enge Verflechtungen zwischen Kajaphas und dem römischen Statthalter hinweist. (Quelle: Wikipedia am 23.3.2024)

Messias – das Wort bezeichnet seit dem Propheten Jessaja die Erwartung des rechtmäßig von Gott eingesetzten Königs. Der Begriff (hebräisch משיח, griechisch transkribiert Μεσσίας, ins Griechische übersetzt Χριστός Christós, latinisiert Christus) stammt aus den heiligen Schriften im Judentum, dem Tanach, und bedeutet „Gesalbter“. Er bezeichnet nach dem Tanach den Retter und Friedensbringer der Endzeit.

Mettā (Pali) eine sehr positive Emotion: Wohlwollen, Zuneigung, (nichterotische) Liebe, oft als „liebende Güte“ übersetzt. Mitunter wird sie auch als „Allgüte“ bezeichnet, denn mettā soll allen Wesen in gleicher Weise entgegen gebracht werden. Es ist das, was beispielsweise Jesus meint, wenn er sagt, man solle nicht nur seinen Nächsten lieben wie sich selbst, sondern sogar seinen Feind

Passafest - Das P. ist eins der wichtigsten Feste des Judentums (hebräisch: Pesach), das jährlich im Frühjahr gefeiert wird. Ursprünglich war Passa ein Hirtenfest und noch immer ist es mit der Zeit des ersten Frühlingsvollmonds verbunden (wie unser Osterfest). Für Israel ist es aber zu einem Fest von größerer Bedeutung geworden. Es erinnert an den Auszug aus der ägyptischen Gefangenschaft, die nach einem jüdischen Mythos von Moses angeführt worden sein soll.

Rabbiner - das ist ein Funktionsträger in der Jüdischen Religion. Seine Hauptaufgabe ist es, die Tora (ein Teil des Tenach) zu lehren. Die Grundform des Rabbiners entwickelte sich, als sich gelehrte Lehrer versammelten, um die schriftlichen und mündlichen Gesetze des Judentums zu kodifizieren.

Sabbath - jiddisch Schabbes ist im Judentum der siebte Wochentag, ein Ruhetag, an dem keine Arbeit verrichtet werden soll. Seine Einhaltung ist eines der Zehn Gebote. Er beginnt am Vorabend und dauert von Sonnenuntergang am Freitag bis zum Eintritt der Dunkelheit am folgenden Samstag, denn im jüdischen Kalender dauert der Tag vom Vorabend bis zum Abend des Tages – nicht von 0 bis 24 Uhr. Dies ist abgeleitet aus dem Schöpfungsbericht, dort heißt es „und es war Abend und es war Morgen, ein Tag“.

Sederabend – Der Sederabend ist der Auftakt des Passafestes. An diesem Abend wird des Auszuges der Juden aus der ägyptischen Sklaverei gedacht. Üblicherweise werden dazu Lieder auf aramäisch gesungen. Traditionell wird dazu Lamm gegessen, es gibt außerdem Matze (ungesäuertes Brot) und Wein.

Tanach - oder Tenach (hebr. תנ״ך TNK) ist eine von mehreren Bezeichnungen für die Hebräische Bibel, die Sammlung der heiligen Schriften des Judentums er enthält unter anderem die Tora (Weisung). Das Christentum hat alle Bücher des Tanach - etwas anders geordnet – übernommen. Sie sind das Alte Testament.


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