Horst Gunkel: Die Jesus-Trilogie - Band 2: Jesus - die Jahre 30 - 96 - Kapitel 7 letztmals bearbeitet am 01.09.2025
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- Jesus, die Frauen und das Schwert
Wenn man das Neue Testament liest, fällt auf, dass Frauen dort nur eine sehr marginale Rolle spielen. Wohlgemerkt, im Neuen Testament, also in dem, was die vier Evangelisten aufgeschrieben haben. Die Wirklichkeit war eine andere, aber da die damalige Gesellschaft vom Patriarchat geprägt war, und auch die vier Evangelisten ausnahmslos Männer waren, ist das kein Wunder.
Wie aber sah die Wirklichkeit aus? Erstaunlicherweise waren bei der Kreuzigung Jesu keine Anhänger vorhanden, nur Frauen aus seiner Anhängerschaft, nur Jüngerinnen. Spätestens dabei fällt auf, dass es mehr Frauen um Jesus herum gegeben haben muss, dass es zahlreiche Jüngerinnen gegeben haben muss.
Warum ist dann aber nur von Jüngern die Rede und nicht von Jüngerinnen? Dies ist teilweise ein sprachliches Problem. Der englische Ausdruck für Jünger ist „follower”. Wenn wir heute hören, dass ein „Influencer” – auch so ein schönes neudeutsches Wort – 50.000 „follower” hat, würde niemand annehmen, dass da keine einzige weibliche Person darunter ist, denn das Wort „follower” wird im Englischen geschlechtsneutral verstanden.
Wenn noch vor wenigen Jahrzehnten im Deutschen gesagt wurde, ein Guru habe „zahlreiche Anhänger”, wurden damit selbstverständlich auch Anhängerinnen gemeint. Heute würde man sagen, dieser Guru habe „zahlreiche Anhängerinnen und Anhänger”. Früher wurde das „generische Maskulinum” verwendet, was heißt, dass die männlich erscheinende Form „Jünger” ganz selbstverständlich auch Jüngerinnen umfasste.
Es gibt also zwei Gründe, warum die Evangelisten Frauen nicht erwähnten, nämlich einerseits wegen der Verwendung des generischen Maskulinums und andererseits, weil sie als Männer in einer patriachalischen Gesellschaft die Rolle der Frauen kleinredeten, die Frauen marginalisierten. Ein besonders gutes (weil erschreckendes) Beispiel dafür zeigt sich in der Art, wie Lukas Frauen aus dem Evangelium drängt. Jesus hat bekanntlich seine Anhänger aufgefordert, ihm zu folgen – und zwar nicht nur inhaltlich (wie heute bei einem „follower”), sondern auch tatsächlich: Haus und Hof, Besitz und Eltern zuverlassen und ihm auch physisch zu folgen. Buddha nannte das „in die Hauslosigkeit zu folgen”.
Dies benennt auch der Evangelist Matthäus ganz genau: „Wer Vater oder Mutter mehr liebt als mich, der ist meiner nicht wert; und wer Sohn oder Tochter mehr liebt als mich, der ist meiner nicht wert. Und wer nicht sein Kreuz auf sich nimmt und folgt mir nach, der ist meiner nicht wert.”1
Einmal davon abgesehen, dass die Kreuzmetapher sicherlich eine nachträgliche Einfügung ist2, wendet sich Jesus offensichtlich an die mittlere Generation: man solle nicht wegen der Eltern zuhause bleiben und auch nicht, wenn die Kinder schon selbständig sind, derentwegen. Das kann man aus sozialen Gründen fragwürdig finden, wenn es keine andere Altersabsicherung gibt als die durch die eigenen Kinder. Andererseits hatten die Menschen damals meist zahlreiche Kinder, und sicher wollten nicht alle die Strapazen aufnehmen und Jesus folgen. Aber es ist offensichtlich die Art, wie Jesus seine Jünger rekrutierte.
Oder wie es Prof. Ebner3 ausdrückte: „Nur wer es übers Herz bringt, den Kontakt zu den eigenen Eltern und zuden noch nicht verheirateten Kindern abzubrechen, der kann es wagen, mit Jesus zu ziehen; der taugt für das Wanderradikalen-Verkündigungsleben, wie es Jesus praktiziert. Das heißt aber gleichzeitig: Die Angesprochenen sind Eltern in der mittleren Generation.”
Aber was macht der Evangelist Lukas aus dieser Aussage? Er schreibt: „Wenn jemand zu mir kommt und hasst nicht seinen Vater, Mutter, Frau, Kinder, Brüder, Schwestern, dazu auch sein eigenes Leben, der kann nicht mein Jünger sein. Wer nicht sein Kreuz trägt und mir nachfolgt, der kann nicht mein Jünger sein.”4 Er ergänzt das von Jesus Gesagte um die Ehefrau! Er ergänzt es zusätzlich um Brüder und Schwestern, also die Personen der mittleren Generation, der Generation, die Jesus umwirbt, der Generation, zu der auch Jesus gehört. Ganz absurd ist in meinen Augen, dass Jesus hier verlangt haben soll, Familienmitglieder (die „Nächsten”) zu hassen.
Prof. Ebner schließt daraus, und dem kann ich mich vollumfänglich anschließen: „Jesus aber wendet sich an Ehepaare... Und wenn es dann in Mk 6,7 (genauso wie in Lk 10,1) heißt: Er sandte sie zu „zwei und zwei“ aus, stellen sich im Grunde alle Bibelleser Männerduos vor. In der Pauluszeit wäre das noch völlig anders gewesen. Da hätte man vor Augen gehabt: Petrus und seine Frau, die Brüder des Herrn und ihre Frauen, Junia und Andronikus. Nur Paulus und Barnabas waren Ausnahmen.“5
Ebenso schreibt auch Sabine Bieberstein6: „Dass zur Jesusbewegung von Anfang an Frauen gehörten, kann mittlerweile als Konsens der Forschung bezeichnet werden. Einige von ihnen teilten das heimat- und besitzlose Leben Jesu, andere wiederum wirkten als Sympathisantinnen und Unterstützerinnen für die Jesusgruppe und blieben dabei weiter in ihren Dörfern wohnen. Dies zeigen die Darstellungen der Evangelien. Und nicht nur dies: Auch die Briefe des Paulus zeugen von der großen Bedeutung von Frauen in den Anfangszeiten der Gemeinden. Auch spätere Texte als das Neue Testament deuten auf vielfältige Leitungspositionen von Frauen in der frühen Christenheit hin.“
Eine besondere Rolle unter den Frauen fällt der Maria Magdalena zu, die heutzutage mitunter auch als Geliebte oder Ehefrau Jesu bezeichnet wird. So weit würde ich nicht gehen, dafür gibt es keinerlei Beweise, aber man kann davon ausgehen, dass Jesus und Maria Magdalena einander freundschaftlich verbunden waren. Sie ist vermutlich nicht mit einem Ehemann gemeinsam Jüngerin geworden. Bei den meisten Jüngern wird angegeben aus welcher Familie sie stammen, oder wessen Sohn sie sind. Das ist wichtig, weil es damals keine Nachnamen gab.
Diese Maria7 wird jedoch über ihren Heimatort identifiziert, nämlich „Maria aus Magdala“. Das galiläische Dorf Magdala liegt am Westufer des Sees Genezareth.
In den apogryph gewordenen Schriften des Neuen Testaments wird sie als die Lieblingsjüngerin Jesu bezeichnet. Vermutlich war sie von ihrer Familie ausgestoßen worden, denn sie galt als von Dämonen besessen. Jesus soll ihr sieben Dämonen ausgetrieben haben.8 Die Verwendung der heilige Zahl sieben, dürfte auch hier daraufhindeuten, dass es ein besonders gewichtiges Ereignis war. Auch bei anderen Frauen, die Jesus folgten, hatte er zunächst Dämonen ausgetrieben, allerdings keine sieben.
Aus dem Evangelium der Maria, einem apogryphen Text, der nur fragmentarisch erhalten ist, erfahren wir näheres über sie; Bieberstein schreibt: „In diesem sowie in anderen meist gnostisch inspirierten Texten, die nicht in den christlichen Kanon aufgenommen wurden, erhält Maria aus Magdala sehr interessante und zum Teil überraschende Funktionen als Jüngerin und Gesprächspartnerin Jesu, Partnerin und Gefährtin, Offenbarungsmittlerin und Lehrerin. Eine dieser Schriften, die Pistis Sophia9, macht sie gemeinsam mit anderen Frauen sogar zum Mitglied des Zwölferkreises. Explizit ausformuliert wird ihre apostolische Autorität im berühmt gewordenen Titel `Apostola Apostolorum´, der vor allem seit dem 11./12. Jahrhundert weite Verbreitung fand.“10
Frauen hatten in der Frühzeit des Christentums durchaus leitende Funktionen, so schreibt Paulus, dass Phoebe das Amt einer Diakonin und Vorsteherin innehatte, dass Tryphäna, Maria, Tryphosa und Persis nicht nur leitende Ämter innehatten, sondern diese auch charismatisch ausfüllten, dass Frauen als Prophetinnen auftraten oder den Titel einer Apostelin erhielten.
Wie weit Frauen andererseits in den überlieferten Evangelien in den Hintergrund gedrängt werden, wird deutlich, dass Markus nicht einmal den Namen von Jesu Mutter erwähnt. Bei ihm wird nur gegenseitiges Unverständnis füreinander von Jesus und seiner Familie erwähnt.11
Überhaupt scheint es manchmal so, als habe es Jesus geradezu darauf angelegt, Streit in die Familien zu bringen: „Ihr sollt nicht meinen, dass ich gekommen bin, Frieden zu bringen auf dieErde. Ich bin nicht gekommen, Frieden zu bringen, sondern das Schwert. Denn ich bin gekommen, den Menschen zu entzweien mit seinem Vater und die Tochter mit ihrer Mutter und die Schwiegertochter mit ihrer Schwiegermutter. Und des Menschen Feinde werden seine eigenen Hausgenossen sein.“12
Das klingt nun leider ganz anders, als der freundliche Jesus, der gekommen ist, um der Liebe nicht nur zu seinem Nächsten, sondern zu allen Menschen als Lehre und Aufgabe zu vermitteln. Warum sagt Jesus so etwas? Will er damit provozieren oder beschriebt er eine Realität?
Zumindest der Satz: „Ich bin nicht gekommen, Frieden zu bringen, sondern das Schwert“ ist eine eindeutige Provokation, die man eher von einem Dschihadisten als von Jesus erwarten würde. Und sicher war es auch gerade die darin liegende Provokation, die Matthäus veranlasst hat, diese Worte ins Evangelium aufzunehmen. (Es ist natürlich auch möglich, dass Jesus das selbst nicht so formuliert hat, sondern dass es sich um eine nachträgliche Zuspitzung handelt; wir dürfen nie vergessen, dass das Neue Testament etwas ist, das nach vielen Jahrzehnten des Hörensagens aufgeschrieben wurde.)
Ja, es war so, dass die Entscheidung, Jesus zu folgen, sich aus der Familiengemeinschaft zu entfernen, in die Hauslosigkeit zu ziehen, natürlich Probleme bei denen verursachte, die verlassen wurden. Das ist so, das lässt sich nicht leugnen. Auch wenn der Buddha Menschen begeistern konnte, ihm zu folgen und in die Hauslosigkeit zu ziehen, hat das Probleme für die Zurückgelassenen verursacht. So berichtet der Buddha von seinem eigenen Gang in die Hauslosigkeit: „Später, immer noch im jungen Alter, als schwarzhaariger junger Mann, mit Jugendlichkeit gesegnet, in der Blüte meines Lebens, rasierte ich mir Kopf und Barthaar ab, zog die gelbe Robe an und ging von zu Hausein die Hauslosigkeit, obwohl meine Mutter und mein Vater das nicht wünschten und mit tränenüberströmten Gesicht weinten.“13
Es liegt in der Natur der Sache: Wenn eine neue Bewegung entsteht, die radikal mit dem bricht, was aus ideologischen Gründen das Fundament einer Gesellschaft war, dann wird es Interessenkonflikte zwischen denjenigen, die dem Neuen folgen und denjenigen, die das Althergebrachte beibehalten wollen, geben.
Allerdings ist auch nur so
Erneuerung möglich, Entwicklung, Fortschritt. Das setzt schmerzhafte
Entscheidungen voraus, Trennung, symbolisch: das Schwert. Wir dürfen
auch nicht vergessen, dass die Schwertmetapher in speziellen
Zusammenhängen für „scharf“ steht, für die „Schärfe der geistigen
Analyse“. Wir können also festhalten, dass mit der Schwertmetapher
einerseits scharfsinnige Analyse, mithin wissenschaftliches Vorgehen
gemeint ist, andererseits auf schmerzhafte Entwicklungen hingewiesen
wird.
Fußnoten
1 Matt. 10,26-27
2 Die Evangelisten werden nicht müde immer wieder Dinge einzuflechten, die bei der Kreuzigung Christi geschehen, um aufzuzeigen, dass Jesus dies alles schon vorher wusste. Das steht dann allerdings im Widerspruch zu Jesu Gebet im Garten Gethsemane und seinen Aussagen bei der Kreuzigung.
3 Dr. Martin Ebner, Professor für die Exegese des Neuen Testaments an der Universität Bonn in „Bibel heute“ 195 3/2013
4 Lk 14,26-27
5 Dr. Martin Ebner, a.a.O.
6 Sabine Bieberstein (Prof. für Neues Testament an der kath. Universität Eichstätt-Ingolstadt) in „Die Jüngerinnen des Nazareners„ Spiegel 6/2011
7 Maria ist die latinisierte Form, der eigentliche Name bei ihr wie den anderen Marias im Neuen Testament ist Mirjam.
8 „Als aber Jesus auferstanden war früh am ersten Tag der Woche, erschiener zuerst Maria Magdalena, von der er sieben Dämonen ausgetrieben hatte." (Mk. 16,9)
9 Die Pistis Sophia ist einer der wichtigsten koptisch-gnostischen Texte. Er gibt Lehrgespräche wieder, die Jesus noch nach seiner Auferstehung mit den Jüngern gehalten haben soll.
10 Sabine Bieberstein, a.a.O.
11 Und es kamen seine Mutter und seine Brüder und standen draußen, schickten zu ihm und ließen ihn rufen. Und das Volk saß um ihn. Und sie sprachen zu ihm: Siehe, deine Mutter und deine Brüder und deine Schwestern draußen fragen nach dir. Und er antwortete ihnen und sprach: Wer ist meine Mutter und meine Brüder? Und er sah ringsum auf die, die um ihn im Kreise saßen, und sprach: Siehe, das ist meine Mutter und das sind meine Brüder! Denn wer Gottes Willen tut, der ist mein Bruder und meine Schwester und meine Mutter. (Mark 3,31-35)
12 Matt. 10,34-36
13
Zitiert nach M26,13-14 (Ariyapariyesanā
Sutta) in der Übersetzung von Mettiko Bhikkhu
Erläuterungen
apogryph - Apokryphen (auch apokryphe oder außerkanonische Schriften; ἀπόκρυφος apokryphos, deutsch ‚verborgen, dunkel‘) sind religiöse Schriften jüdischer bzw. christlicher Herkunft aus der Zeit zwischen etwa 200 vor bis ca. 400 nach Christus, die nicht in einen biblidvhrn Kanon aufgenommen wurden oder über deren Zugehörigkeit Uneinigkeit besteht, sei es aus inhaltlichen oder religionspolitischen Gründen oder weil sie erst nach Abschluss des Kanons entstanden sind oder zur Zeit seiner Entstehung nicht allgemein bekannt waren. (Wikipedia 8.1.2024)
Tanach - oder Tenach (hebr. תנ״ך TNK) ist eine von mehreren Bezeichnungen für die Hebräische Bibel, die Sammlung der heiligen Schriften des Judentums er enthält unter anderem die Tora (Weisung). Das Christentum hat alle Bücher des Tanach - etwas anders geordnet – übernommen. Sie sind das Alte Testament.
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