Horst Gunkel: Die Jesus-Trilogie - Band 2: Jesus - die Jahre 30 - 96 - Kapitel 6                                            letztmals bearbeitet am 01.09.2025

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  6 -Jesus wirkt weitere Wunder


Ich kann mich erinnern, dass ich als Kind im Grundschul­unterricht immer ganz besonders beeindruckt war, von den Wundern, die Jesus vollbracht haben soll. Das erschien mir in meiner kindlichen Einfalt so etwas wie ein Gottesbeweis zu sein. Und tatsächlich scheinen schlichte Menschen durch derartiges stark beeindruckt zu werden. Im Mittelalter waren Geschichten von Wundern besonders beliebt und auch Jesus hatte sich während seiner Zeit in Bhārat Gaṇarājya darum bemüht, vermeintliche oder tatsächliche Wunder zu wirken. Und er seinerseits war damals auch inspiriert von tatsächlichen oder vermeintlichen Wundern, die andere wirkten.

Der Buddha andererseits hatte seine Mönche aufgefordert, die paranormalen Fähigkeiten, die sie aufgrund ihrer Meditations­praxis und ihrer fortschreitenden spirituellen Entwicklung hatten, nicht dazu einzusetzen, um durch Wunder die Menschen zu beeindrucken. Dennoch wurden auch in Bhārat Gaṇarājya Geschichten von Wundern gern gehört und gern weiter erzählt. Manche davon haben auch in den christlichen Kulturkreis hineingewirkt und einige von den Wundern, die Jesus gewirkt haben soll, waren schon vorher aus Bhārat Gaṇarājya belegt.

Ziemlich bekannt ist die Speisung der 5000. Es sollen sich damals zu einem Vortrag von Jesus 5000 Menschen eingefunden haben. Natürlich müssen wir mit solchen Zahlen vorsichtig sein, Geschichten, die mündlich weiter­gegeben werden, haben die Tendenz, dass die Zahlen allmählich immer mehr übertrieben werden, um das Wunderbare, das geschehen sein soll, noch wunderbarer erscheinen zu lassen.

So berichtet der Evangelist Matthäus: „Am Abend aber traten seine Jünger zu ihm und sprachen: Die Stätte ist einsam, und die Nacht bricht herein; lass das Volk gehen, damit sie in die Dörfer gehen und sich zu essen kaufen. Aber Jesus sprach zu ihnen: Es ist nicht nötig, dass sie fortgehen; gebt ihr ihnen zu essen. Sie sprachen zu ihm: Wir haben hier nichts als fünf Brote und zwei Fische. Und er sprach: Bringt sie mir her! Und er ließ das Volk sich lagern auf das Gras und nahm die fünf Brote und die zwei Fische, sah auf zum Himmel, dankte und brach’s und gab die Brote den Jüngern, und die Jünger gaben sie dem Volk. Und sie aßen alle und wurden satt und sammelten auf, was an Brocken übrig blieb, zwölf Körbe voll. Die aber gegessen hatten, waren etwa fünftausend Männer, ohne Frauen und Kinder.”1

Ein ganz ähnliche Ereignis wird auch in Pāḷi-Kanon geschildert. Im ersten Teil des Jataka 78 geht es darum, dass ein Groß­kaufmann Appetit auf einen Pfannkuchen hat. Nach vielem hin und her beauftragt er seine Frau einen einzigen Pfann­kuchen für ihn zuzubereiten. Es kommt aber ein Mönch auf Almosengang, der um eine Gabe bittet, denn in seinem Kloster hätten sich 500 Mönche mit dem Buddha versammelt und möchten eine Mahlzeit. Die Episode geht dann so weiter: „Der Großkaufmann reichte nun der Gemeinde, die Buddha zum Haupte hatte, das Schenkungswasser2 und seine Gattin legte in die Almosenschale des Vollendeten einen Kuchen. Der Meister nahm davon, was er für sich brauchte, und auch die fünfhundert Mönche nahmen davon. — Darauf beendigte der Meister samt den fünfhundert Mönchen sein Mahl und der Großkaufmann aß auch mit seiner Gattin, soviel es ihnen beliebte. Die Kuchen aber nahmen kein Ende; und auch nachdem allen Bewohnern des Klosters und allen Verzehrern der Überbleibsel davon gegeben war, nahmen sie noch kein Ende. Da teilten sie dem Erhabenen mit: `Herr, der Kuchen wird nicht alle.´”

Bereits Richard Garbe3 hat auf diese Parallele hingeweisen und darauf, dass üblicherweise in solchen Parallelgeschichten diejenige mit der geringeren Zahl die ursprüngliche sei, da die Menschen beim Weitergeben einer Geschichte gern die Zahlen übertreiben. Daher dürfte in diesem Fall also die Variante aus dem Jataka im Pāḷi-Kanon die ursprüngliche sein, denn bei den Evangelisten ist noch eine Zehnerpotenz dazugekommen. Ich möchte außerdem noch darauf hinweisen, dass die Zahl 500 in buddhistischen Texten keine exakte Zahlenangabe ist, sondern für eine dreistellige Zahl steht. Gruber und Kersten schreiben dazu noch: „In der Jataka werden 500 und noch viele mehr gesättigt und es bleiben ebenfalls zwölf Körbe Brocken übrig!”4

Sofort nach dem Wunder mit der Brotvermehrung, schon im nächsten Satz, beginnt Matthäus mit der Beschreibung des nächsten Wunders, nämlich dass Jesus auf dem Wasser wandelte: Und alsbald drängte Jesus die Jünger, in das Boot zu steigen und vor ihm ans andere Ufer zu fahren, bis er das Volk gehen ließe. Und als er das Volk hatte gehen lassen, stieg er auf einen Berg, um für sich zu sein und zu beten. Und am Abend war er dort allein. Das Boot aber war schon weit vom Land entfernt und kam in Not durch die Wellen; denn der Wind stand ihm entgegen. Aber in der vierten Nachtwache kam Jesus zu ihnen und ging auf dem Meer. Und da ihn die Jünger sahen auf dem Meer gehen, erschraken sie und riefen: Es ist ein Gespenst!, und schrien vor Furcht. Aber sogleich redete Jesus mit ihnen und sprach: Seid getrost, ich bin’s; fürchtet euch nicht!5

Auch hierzu gibt es eine buddhistische Parallele, die sich 500 Jahre zuvor abspielte, wie Gruber und Kersten in ihrem Buch `Der Ur-Jesus´ beschreiben: „Die Fähigkeit auf dem Wasser zu wandeln, wird im Dīgha Nikāya und im Majjhima Nikāya, den ältesten buddhistischen Texten, ausdrücklich als eine von vielen magischen Fähigkeiten Buddhas aufgelistet. Im Mahāvaṃsa lesen wir, wie Gautama über den Ganges schwebt. Der Wasserwandel als paranormaless Phänomen war in Indien zu Buddhas Zeiten nicht neu. Schon in den Veden lesen wir von heiligen Männen, die dazu in er Lage gewesen sein sollen.”6

Und im Matthäus-Evangelium geht die Geschichte dann so weiter: „Petrus aber antwortete ihm und sprach: Herr, bist du es, so befiehl mir, zu dir zu kommen auf dem Wasser. Und er sprach: Komm her! Und Petrus stieg aus dem Boot und ging auf dem Wasser und kam auf Jesus zu. Als er aber den starken Wind sah, erschrak er und begann zu sinken und schrie: Herr, rette mich! Jesus aber streckte sogleich die Hand aus und ergriff ihn und sprach zu ihm: Du Kleingläubiger, warum hast du gezwei­felt”7

Auch hierzu schreiben Gruber und Kersten: “Auch der Wasser­wandel des Schülers findet sich überraschend ähnlich in einer buddhistischen Vorlage, nämlich in der Einleitung zur Jataka 290: Sariputta8, ein Jünger Gautamas, versucht sich wie sein Meister mit einem Gang übers Wasser, zumal er am Ufer des Flusses Aciravati das Fährboot nicht finden kann. In tiefer Versenkung geht er über den Fluß. Als die Wellen höher werden und er aus dem meditativen Zustand gerissen wird, beginnt er zu sinken. Sobald er wieder meditiert, kann er jedoch seinen Gang über das Wasser gefahrlos fortsetzen. Sariputta wie Petrus waren eben nicht `mühelos´ über das tückische Element hinweggewandelt, wie es nur dem zusteht, der es in der Kunst der Versenkung und des Vertrauens weit gebracht hat. Petrus sinkt wegen des fehlenden Vertrauens, wegen seiner `Klein­gläubigkeit´, für die ihn Jesus tadelt. Diese exakte Überein­stimmung kann nur auf eine Entlehnung schließen lassen.”9

Im Gegensatz zu Matthäus verwendet übrigens Markus nicht den Begriff „Jesus ging auf dem Wasser”, sondern er schreibt: „Als sie ihn aber auf dem Meer wandeln sahen” und er verwendet dabei das griechische Wort περιπατεῖν (peripatein = umherwandeln) von dem auch der Wandelgang in Klöstern περίπατος (Peripatos = Wandelhalle) abgeleitet ist. In diesem wird in meditativer Versenkung gegangen, ebenso wie auch der Buddha seinen Mönchen das Auf- und Abgehen in meditativer Versenkung empfohlen hat, das er auch selbst praktizierte. Demnach wäre der Gang auf dem Wasser in meditativer Versenkung (Jhāna) erfolgt.

Ich denke man kann davon ausgehen, dass sich die Evangelisten bei diesen Wundern an buddhistischen und vielleicht auch anderen indischen Quellen bedienten. Dabei muss immer berücksichtigt werden, dass diese Geschichten in erster Linie mündlich tradiert wurden. Wenn ein Evangelist eine solche Geschichte hörte, dachte er möglicherweise, dass diese sich auf Jesus bezieht. Ebenso ist es möglich, dass Jesus solche Geschichten, die er aus seiner Zeit in Bhārat Gaṇarājya kannte, seinen Jüngern erzählte und diese bei einer späteren Weitergabe Jesus zugeschrieben wurden. (Wem auch sonst?)


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Fußnoten

1 Matt. 14,13-19

2  Als Symbol für eine Schenkung wurde Wasser dem Empfänger in die rechte Hand geschüttet.

3  Richard Garbe: Indien und das Christentum, Leipzig 1914

4  Gruber und Kersten a.a.O. S. 139

5 Matt. 14,22-27

6 Gruber und Kersten a.a.O. S. 139

7 Matt. 14,28-31

8 Interessant, dass es sich sowohl beim Buddha als auch bei Jesus um den jeweils wichtigsten Jünger handelt: Petrus bzw. Sariputta.

9 Gruber und Kersten a.a.O. S. 142f 


Erläuterungen

Bharat Ganarajya – (Sprache: Hindi) indische Bezeichnung für Indien

Bodhisattva – Figur im Mahāyāna-Buddhismus. Bodhisattvas sind Wesen, die Erleuchtung nicht nur für sich selbst anstreben, sondern zum Wohl aller Wesen. (Im Theravāda wird das Wort nur für den späteren Buddha vor seiner Erleuchtung verwendet.)

Dīgha Nikāya - Die Sammlung der längeren Lehrreden, sie enthält die 34 längsten Lehrreden des Buddha.

Gautama oder Gotama – (Nach)Name des Buddha. Personen, die den Buddha mit „Herr Gotama“ anreden, sind keine Anhänger des Buddha, diese würden „Erhabener“ sagen.

Jātaka - ist eine moralisch lehrreiche Geschichte in Form einer Erzählung aus dem Leben des Buddha. Im ursprünglichen Sinn umfasste der Begriff nur Geschichten aus dem Leben des historischen Buddha, insbesondere dessen Wiedergeburt, später jedoch wurden mehr und mehr moralische Lehrgeschichten eingefügt. (nach: Wikipedia 20.3.2024)

jhāna – (Palibegriff, in Sanskrit: dhyana) ist ein meditativer Vertiefungs­zustand; nach der häufigsten Einteilung gibt es acht aufeinander aufbauende Vertiefungen. Ziel dieser Vertiefungen ist die Überwindung des Ego sowie der Gedanken und das Erreichen einer kosmischen Verbundenheit, die im Buddhismus als Nondualität zwischen Ich und Ander gesehen wird (anattā = Nicht-Ich). Jhāna ist eine hohe buddhistische Tugend und eine der sechs Tugenden, die ein Bodhisattva übt. Es gibt (nach der üblichen Zählung) vier feinkörperliche und vier unkörperliche jhānas, im ersten jhāna sind vitakka (aufnehmende meditative Konzentration), vicara (anhaltende meditative Konzentration), citt´ekagattā (ein­spitzige Ausrichtung des Geistes), pīti (Verzückung) und sukha (Glückseligkeit) vorhanden. In der zweiten Vertiefung fallen die ersten beiden Faktoren weg, in der dritten auch pīti. In der vierten entfällt sukha, stattdessen kommt Gleichmut (upekkhā) hinzu.

Mahāvaṃsa – Große Chronik der Geschichte Sri Lankas, sie gehört seit 2023 zum Weltkulturerbe der UNESCO.

Majjhima Nikāya = Mittlere Sammlung, in diesem Teil des Pāḷi-Kanons sind die mittellangen Lehrreden des Buddha zusammengestellt, 152 Stück an der Zahl.

Pāḷi-Kanon – älteste Schriftensammlung des Buddhismus, hier sind u.a. die Lehrreden des Buddha enthalten.

Sariputta – einer der beiden Hauptjünger des Buddha (der andere war dessen Freund Moggalana), er wird auch „Marschall der Lehre“ genannt, weil er die Novizen in den Lehren des Buddha unterrichtete, diese lernten die Lehrreden des Buddha auswendig. Möglicherweise gehen mnemotechnische Hilfsmittel (wie die immergleichen Wiederholungen) auf Sariputta zurück.

Veden
– heilige Schriften des Hinduismus. Die vier klassischen Veden sind Rigveda, Samaveda, Yajurveda und Atharveda. Alle hinduistischen Religionen akzeptieren die Unantastbarkeit dieser vier Veden, jedoch rechnen einzelne Glaubensrichtungen individuell oft noch weitere Schriften hinzu.


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