Horst Gunkel: Die Jesus-Trilogie - Band 2: Jesus - die Jahre 30 - 96 - Kapitel 24                             letztmals bearbeitet am 19.10.2025

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24 - Die Metta-Sangha -

ein Leuchtturmprojekt



Seit den Ereignissen um Javāharlāls Eingliederung in die Metta-Sangha war mehr als ein Jahrzehnt vergangen. Unser ehedem jugendlicher Held Yuz hatte inwischen das fünfzigste Lebensjahr überschritten, und auch Amita war mit Anfang 40 keineswegs mehr ein Teenager. Sie hatte keine weiteren Kinder bekommen. Ihre älteste Tochter Taracitta war inzwischen sechzehn Jahre alt, verheiratet mit Sunay und erstmals schwanger, die zweite Tochter Maria war vierzehn und Nilay zwölf. Auch Shanti und Mohit hatten inzwischen drei Kinder. 

Die Siedler der ersten beiden Siedlungswellen waren jetzt alle um die 30 Jahre alt und die meisten hatten mehrere Kinder. Allein Yuva hatte weiterhin nur ihren Sohn Bodhi, eine zweite Schwangerschaft endete mit einer Fehlgeburt. Seitdem war auch klar, dass Yuva keine weiteren Kinder bekommen würde. Ihr Sohn Bodhi allerdings machten seinem Namen alle Ehre und war mit seinen gerade einmal zwölf Jahren bereits Co-Leiter einer der Studiengruppen für Anfänger.

Das Dorf war weiter gewachsen und zählte inzwischen etwa 300 ständige Einwohner; von Mai bis September kamen durch­schnittlich noch einmal 200 Menschen zum „Sommerrückzug”, diese waren fast alle entweder sehr jung (zwischen dreizehn und sechzehn) oder über fünfzig. Einige der Älteren blieben dann jedes Mal ganz hier, weil sie feststellten, dass sie nirgendwo bessere soziale und spirituelle Bedingungen finden könnten. Einige der Jüngeren kamen andererseits im nächsten Jahr allein oder mit Ehepartner, um sich der Metta-Sangha anzuschließen. Im letzen Jahr war ein Großprojekt beendet worden, der Bau des „großen Tempels” der bis zu 500 Menschen fassen konnte. Derzeit waren Jagan und drei seiner Schüler dabei, die bildnerische Ausgestaltung des großen Tempels voranzutreiben.

Ein weiteres inzwischen abgeschlos­senes Projekt war die Erweiterung des früheren Herrenhauses. Im Obergeschoss waren jetzt bereits vierzehn pflegebedürftige Personen im Heim der himmlischen Betreuung untergebracht, das Heim wurde geleitet von Sunay und seiner deutlich jüngeren Frau Taracitta, außerdem arbeiteten hier noch zwei Pflegerinnen. Der Gasthof hatte nunmehr eine erweiterte Terrasse, auf der 250 Menschen Platz hatten. Er wurde nach wie vor von von Lalita geleitet, in der Küche arbeiteten inzwischen vier weitere Personen außerdem gab es noch zwei Kellnerinnen und einen Kellner.

Die Metta-Sangha hatte einen äußerst guten Ruf, auch wenn sie in buddhistische Klöstern etwas abfällig als ein „Laiendorf” betrachtet wurden, was allerdings bei der Metta-Sangha niemanden störte.

An vorigen Tag war Bhavin, Radhas Ehemann, aus Taxila zurückgekehrt. Und jetzt am Vormittag hatte er sich mit Amita und Yuz vor deren Haus zusammengesetzt. Er berichtete von seiner Reise und insbesondere von einer Begegnung, die er dort vor einem Monat hatte: „Das könnte dich interessieren, Yuz, denn dort war ein Fernreisender mit dem in meinen Ohren etwas merkwüdig klingenden Namen Thomas. Als ich hörte, dass er aus dem Römischen Reich stammt, habe ich einige Erkundun­gen über ihn eingezogen und dabei erfahren, dass er nicht nur aus der Provinz Syrien stammt, sondern sogar aus Galiläa.”

Thomas aus Galiläa? Was weißt du von ihm?” Yuz war plötzlich sehr begierig, mehr von ihm zu erfahren.

Ich wollte ihn treffen, aber er war inzwischen abgereist, also bin ich dorthin, wo er gewohnt hat, und habe Erkundigungen über ihn eingezogen. Er war wohl ein enger Mitarbeiter eines dort sehr populären spirituellen Führers, den er Christus nannte, das sei Griechisch und heißt wohl `der Gesalbte´ und dem muss ein ganz ähnliches Schicksal widerfahren sein wie dir, Yuz, den haben sie dann auch gekreuzigt.”

Yuz und Amita sahen sich an, sie verstanden sich wortlos: da hatte Bhavin etwas von einem von Jesu Aposteln gehört, brachte das aber nicht mit Yuz in Verbindung. Eines war aber sicher: der Apostel Thomas war in Indien!

Was soll der inhaltlich erzählt haben?”

Ach, das weiß ich gar nicht so genau, es ging irgendwie darum, dass ein Messias wiederkehren solle und sowas wie ein himmlisches Königreich erreichte solle. Das schien auf jeden Fall denen, mit den ich gesprochen habe als ziemlich wirres Zeug.”

Weißt du sonst noch etwas über diese Thomas?”

Ach noch einiges: er ist wohl mit einer Karawane über die Seidenstraße gekommen. Dabei soll er auch schon unterwegs, nämlich in Mesopotamien und auch dort, wo sie an Zarathustra glauben, die Lehre dieses Christus versucht haben zu verbreiten. Das muss aber irgendwie schief gegangen sein, denn wenn meine Informanten richtig informiert sind, ist er als Sklave nach Taxila gekommen. Was dann geschah, habe ich nicht heraus­bekommen. Jedenfalls kam er irgendwann an den Königshof von König Gondophares I. Dieser soll ihn beauftragt haben, einen Palast für ihn zu bauen, doch Thomas soll das Geld für die Armen verwendet haben. Das hat dem König natürlich nicht gefallen, Thomas musste sich vor ihm verantworten und hatte dabei die Frechheit ihm zu sagen, wegen dieser guten Verwendung würde für Gondophares I. ein Palast im Himmel errichtet. Stell´ dir nur vor, Yuz: ein Palast im Himmel – was für ein Schwachsinn! Der König ließ ihn also gefangensetzen, hatte dann jedoch einen Traum von seinem Palast im Himmel und lässt den Thomas anschließend wieder frei. Absurd was?”

Und dann?”

Ja, dann hat sich Thomas aus Taxlia abgesetzt, er soll weiter nach Süden gezogen sein, um dort die Sache mit dem Messias zu verkünden.”

Bhavin berichtete noch von weiteren Ereignisse aus Taxila, die aber für Yuz weniger interessant waren, schließlich ging er weiter.

Amita sah Yuz an: „Das war doch dein Apostel, Yuz?”

Ja, ganz eindeutig. Ich habe ja alle Apostel beauftragt, in verschiedene Weltgegenden zu gehen. Und Thomas, sollte nach Bhārat Gaṇarājya, das war mein Auftrag an ihn! Die Sache mit dem Palast, der Verwendung des Geldes für die Armen und der Palast im Himmel, das ist ganz typisch für Judas Thomas1.”

War das der `ungläubige´ Thomas?”

Ja, genau der, er wollte an meine `Auferstehung´ nicht glauben, bevor er meine Wunden gesehen und befühlt hatte.”

Deine Apostel waren nicht eingeweiht in das, was du vorhattest?”

Nein, das war ein ganz chaotischer Haufen, das wäre nie gut gegangen, einer hätte sich bestimmt verplappert. Weißt du, das war keine Sangha wie bei uns hier jetzt.”

Hast du vor ihm nachzureisen, Yuz?”

Nein, das hätte keinen Sinn. Alle diese ehemaligen Apostel sind irgendwo unterwegs. Wenn sie nicht inzwischen aufgegeben haben oder umgebracht wurden, verbreiten sie das, was sie von meiner Lehre verstanden zu haben glauben. Darauf kann ich keinen Einfluss mehr nehmen. Schlechter als der jüdische Glaube wird es nicht sein, denke ich.”

Er überlegte einen Augenblick, dann ergänzte er: „Ich glaube, ich war damals einfach noch zu jung, zu unerfahren und zu idealistisch. Mein Anspruch war großartig, aber zu überstürzt, zu wenig in die Tiefe gehend, meine Jünger sind mir zwar gefolgt, aber ohne alles wirklich verstanden zu haben und vor allem ohne sich wirklich geläutert zu haben, ohne sich von ihren alten Denkmustern wirlich gelöst zu haben.”

Du hast aus deinen Fehlern gelernt!”

Ja, ich habe einerseits meinen Anspruch heruntergeschraubt, ich will nicht mehr von jetzt auf gleich das Reich Abbas auf Erden errichten, dafür gehen wir hier mehr in die Tiefe, wir schaffen so etwas wie den `Wahren Menschen´, den Nicht-Egoisten. Das Projekt Metta-Sangha ist eindeutig nachhaltiger.”

Aber wenn du auf deine Apostel nicht vertrauen konntest, wer hat dich dann damals bei deiner `Auferstehung´ unterstützt, wer hat statt deiner in den drei Tagen nach der Kreuzigung gehandelt?”

Verlässlichere Leute waren das als die Apostel, ein Rabbiner war sogar darunter und drei tapfere Frauen, Maria Magdalena, Salome und die andere Maria.”

Einen Augenblick stutzte Amita, dann sagte sie: „Erzähle mir mehr von diesen Frauen.” Was Yuz dann vermutlich auch tat, das aber überspringen wir, weil es dazu keinerlei geschichtlich erwiesene oder historisch überlieferte Anhaltspunkte gibt.



`Gab es eigentlich gar keinerlei Rückschläge für die Metta-Sangha?´, wird sich jede geneigte Leserin und natürlich auch jeder kritische Leser fragen. Selbstverständlich gab es auch die. Wie in jeder Wohlstandsgesellschaft, so nahmen auch die in diesem Dorf Herangewachsenen den Wohlstand und die übrigen Errungenschaften als selbstverständlich an, sie hatten ja nie etwas anderes erlebt. Und wenn man dann von durchreisenden Wanderern oder von Karawanen etwas von großen Städten hörte, oder wenn Yuz und andere von der großen, weiten Welt und ihren Reisen dorthin erzählten, dann hatte das natürlich bei jungen Leuten, die nie etwas anderes kennen gelernt hatten als ihr Dorf und die maximal 15 km drumherum, eine gewisse Neugier ausgelöst. Folglich artikulierten junge Leute den Wunsch, dorthin zu gehen und die Welt für sich zu entdecken.

Auch Nilay, der jüngste Sohn von Amita und Yuz, hegte diesen Wunsch und hatte sich darüber auch mit anderen Jungen seines Alters oder etwas älteren ausgetauscht. Als Yuz jetzt etwas von Taxlia und von Thomas im Familienkreis erzählten, sagte Nilay beiläufig. „Ja, Taxlia werde ich demnächst auch besuchen.” Die Bemerkung schlug ein wie eine Bombe.

Was willst du denn dort?” fragte seine Schwester Maria. Und Amita ergänzte: „Weißt du eigentlich wie weit das weg ist?”

Ja sicher, drei Wochen, na und?”

Selbst wenn du dich dort nur eine Woche aufhalten würdest, wärest du zwei Monate hier weg!” entrüstete sich Maria.

Ich habe aber nicht vor, direkt wieder zurückzureisen, sondern weiter nach Puruschapura, dort wo Vater im Kloster war. Es dürfte interessant sein, dort für einige Monate Novize zu werden, vielleicht schmeißen sie mich ja nicht raus, wie Vater. Danach könnte ich den Sindh entlang weiterreisen, vielleicht irgendwann den Thomas treffen. Wie wäre es Vater, du kannst mir doch eine Nachricht an ihn mitgeben.”

Das geht so nicht!” sagte Yuz barsch. „Das ist viel zu weit und du bist viel zu jung. Du kannst vielleicht gelegentlich mal nach Kazal, einen Tag dort bleiben und dann wieder zurückkommen, dann wärst du nur eine Woche weg. Aber natürlich auch nicht allein.”

Wie alt warst du eigentlich, Vater, als du von Nazareth nach Antioch gegangen bist.”

Yuz atmete tief durch: „Also damals war ich dreizehn, fast vierzehn. Und vorher hatte ich schon Übung mit kleineren Fernwanderungen, mit zwölf haben mich meine Eltern mitgenommen nach Jerusalem, später bin ich allein nach En Gedi, aber das war alles nicht so weit wie Taxila geschweige denn wie Puruschapura.”

Amita, die bis jetzt geschwiegen hatte, versuchte einen Kompromiss zwischen ihrem Mann und ihrem Sohn aufzuzeigen: „Ich kann dich gut verstehen, dass du mal rauswillst, Nilay, etwas anderes sehen, die Welt kennenlernen. Andererseits hat dein Vater recht, wenn er auf die Gefahren hinweist und dass man erst einmal kleinere Exkursionen machen sollte. Wenn du also nicht allein wärst, sondern mit mindestens zwei etwas älteren Jungen nach Kazal gingest, ein paar Tage dort bleibst und spätestens nach zwei Wochen wieder da bist, dann könnten wir uns anschließend zusammensetzen und überlegen, ob wir dir eine etwas größere Reise erlauben können.”

Yuz versuchte das Heft des Handelns wieder an sich zu reißen: „Das ist eine gute Idee. Wir könnten in ein, zwei Wochen zu dritt losgehen und zwei Wochen später wieder da sein!”

Nilay stutzte: „Wen meinst du mit wir?”

Naja, Amita und Taracitta werden hier für den Unterricht gebraucht, aber wir beide könnten das zusammen machen und noch jemand mitnehmen, Maria zum Beispiel. Hast du Interesse, Maria?”

Bevor seine Schwester antworten konnte, hatte aber schon Nilay klargemacht: „Nein Vater, das ist meine Reise, die werde ich allein machen oder mit Freunden zusammen, aber sicher nicht mit dir.”

Ich wäre sowieso nicht mitgekommen, mir ist das kontemplative Leben lieber, wenn ich weggehe, dann höchstens in eine Einsiedelei!” Das war Marias Stellungnahme.

Offensichtlich war das bis dahin so harmonische Leben der sogenannten „hl. Familie” durch die pubertierenden Jugendlichen herausgefordert. Taracitta, die sich bis dahin zurückgehalten hatte, die aber seit ihrer Ehe mit Sunay von ihren Eltern als gleichberechtigte Erwachsene angesehen wurde, fasste zusammen: „Nilay will die Welt kennenlernen, wie du damals Yuz, das ist völlig legitim. Amita hat den Vorschlag gemacht, dass er mit mindestens zwei anderen jungen Männern nach Kazal gehen kann und bis zu zwei Wochen wegbleiben kann. Hinterher setzen wir uns zusammen und schauen, wie es weitergehen soll. Bis dahin hat Nilay auch erste Erfahrungen mit dem Reisen. Das ist die Kompromisslinie, die ich herausgehört habe.”

Und Maria erklärte: „Liebe Eltern, ihr habt Taracittas Namen sehr klug gewählt, denn sie hat offensichtlich die Weisheit, das Bewusstsein und das Herz der Grünen Tara.”

Wer hätte da noch widersprechen sollen? Nilay unternahm alsdann diese Reise, die zu seiner vollen Zufriedenheit verlief und ihm Appetit auf mehr machte. Hinterher blieb Yuz und Amita nichts anderes übrig, als ihm auch eine Reise nach Taxila zu erlauben. Sollte er von dort wirklich weiter nach Puruschapura gehen, so hätte er bei der Außenstelle von Śivas Handels­unternehmen eine Nachricht an seine Eltern zu senden, außerdem solle er in maximal einem Jahr wieder zurück sei.



Die Uposatha-Feiern waren nach wie vor sehr beliebt, diese waren etwas ganz Besonders, etwas für Herz, zumal es inzwischen einen Chor gab, außerdem mehrere Trommeln, die von einer Person bespielt wurden – also gewissermaßen eine Art Schlagzeug. Nunmehr spielten sogar insgesamt drei Personen Laute und Kalenian hatte außerdem ein neues Saiteninstrument entwickelt, dass er die „Standlaute” nannte, eine Art Harfe, deren voller Klang im großen Tempel besser zur Geltung kam.

Es gab jetzt zwar offiziell nur sechs Studiengruppem, allerdings waren diese viel zu groß für einen Gedankenaustausch, bei dem jede/r zu Wort kommen konnte, daher erfolgte in diesen im Prinzip erst ein Vortrag, durchaus ergänzt durch Anmerkungen der Teilnehmer/innen, dann ging man in kleinere Gruppen zu etwa acht Personen, um über das Thema weiter zu sprechen.

Wir begeben uns jetzt in eine dieser Gruppen, um einen Eindruck sowohl vom Ablauf wie auch von den Inhalten zu bekommen, es ist eine der drei Gruppen für Frauen, gewissermaßen die Anfängergruppe. Hier befinden sich teilweise junge Frauen oder Mädchen ab etwa zwölf Jahren, die zur Metta-Sangha gehören, teilweise aber auch Frauen unter­schiedlichen Alters, die nur für den Sommer in der Sangha zu Gast sind. Auch die Leiterin ist noch recht jung, es ist die 16-jährige Taracitta, die älteste Tochter vom Amita und Yuz.

Es ist allerdings immer noch eine zweite Lehrperson dabei, die ebenso erfahren – in diesem Fall vermutlich sogar erfahrener – ist wie die Kursleiterin; das ist in dieser Gruppe Mohana, die Schwester von Teja, also des damaligen Sprechers der ersten Siedlergruppe. Im Plenum dieses Studienkreises sind jetzt nicht weniger als vierzig meist jüngere Frauen.

Bevor sie an Taracitta übergibt, leitet Mohana ein: „Liebe Mädels, liebe Frauen, heute werden wir uns mit einem neuen Thema befassen, mit dem Bild (siehe unten), das ich da vorn aufgestellt habe. Es kommt euch teilweise bekannt vor, denn es wird gerade von Jagan und seinem Malerteam im neuen großen Tempel an die Wand gemalt. Jagan hat uns dieses Bild hier, also seinen Entwurf nach dem er das Große Bild ausführt, für diesen Kurs zur Verfügung gestellt, so dass wir es auch hier im kleinen Tempel für euch aufstellen konnten.

Wir sehen, es besteht aus vier konzentrischen Kreisen, die ersten beiden werden wir uns heute betrachten, die ersten beiden von innen. Hinterher werden wir – wie immer – in fünf Gesprächsgruppen gehen, eine wird Taracitta leiten, eine ich und die anderen werden von Lava, Manisha und Neela geleitet. So und jetzt übergebe ich an Taracitta.”

Danke an dich, Mohana! Liebe Mädels und Frauen, wir sehen auf diesem großartigen Bild ganz im Inneren dieser konzentrischen Kreise, also gewisssermaßen in der Nabe des Rades, drei Tiere. Wer von euch kann uns denn mal sagen, was das für Tiere sind? - Ja, bitte Aruni!”

Aruni, die mit elf Jahren jüngste Teilnehmerin, steht auf und sagt: „Also da drin sind eine Schlange, ein Hahn und ein Schwein.”

Fein Aruni, möchtest du uns vielleicht sagen, was dir zu einem beliebigen der drei Tiere einfällt, oder soll das jemand anders machen.”

Ich kann etwas zum Schwein sagen.” Taracitta nickt ihr aufmunternd zu, und Aruni sagt mit sichtlichen Genuss: „Also das Schwein ist so ein richtiges Wutz! Es gibt doch hier im Wald und am See so viele schöne Stellen, wo man sich aufhalten kann. Aber wo findet man das Schwein? Gewöhnlich dort hinten, wo der Bach in den See fließt. Da ist eine total dreckige Gegend, voller Schlamm und da haben auch schon Schweine reingepisst! Und genau da legen sich dann die andern Schweine rein uns suhlen sich, das sind so richtige Säue!”

Als sich die Heiterkeit im Raum etwas gelegt hat, fragt Taracitta: „Wieso macht das Schwein denn so etwas?” Und die kleine Aruni bietet auch gleich die Lösung: „Also das Schwein muss ganz schön blöd sein, wenn es glaubt, dass das die richtige Stelle zum Baden ist.”

Ja, da hast du Recht. Aber überlegen wir einmal, gibt es das auch bei Menschen, dass sie etwas machen, was man vernünftigerweise für ziemlich blöde hält, und wo Leute doch immer wieder das Dumme machen? Vielleicht einmal eine andere von euch.”

Aleika, eine der älteren Frauen, die in diesem Sommer erstmals hier war, meldet sich und sagt: „Wenn ich meinem verstorbenen Mann gesagt habe, dass er etwas machen soll und er zugestimmt hat, dachte ich immer, die Sache sei damit erledigt. Aber er hat es fast nie wirklich gemacht. Er hat einfach nur zugesagt, um seine Ruhe vor mir zu haben. Dennoch habe ich immer und immer wieder geglaubt, dass er etwas macht, was er zugesagt hat.”

Sehr gut Aleika, wie würdest du dein Verhalten, das zu glauben, was er dir versprochen hat, bezeichnen?”

Aleika dachte kurz nach, dann sagte sie: „Als Dummheit, vielleicht auch Unbelehrbarkeit – oder auch als irrigen Glauben, – man könnte auch Blödheit sagen. Ja, ich war einfach blöde!” Woraufhin große Heiterkeit ausbrach. Auch Taracitta musste kichern, dann nahm sie diese Freude als Anlass zur Selbstreflexion: „Also ich habe mich selbst wiedererkannt, wenn ich etwas immer wieder falsch mache, dann sage ich mir auch: `Mensch Taracitta, bist du denn blöde´ – und ich denke, vielen von euch geht es auch immer mal so.

Allerdings fällt uns bei anderen diese Unbelehrbarkeit meist noch mehr auf. Offensichtlich neigen wir alle zu irrigen Annahmen. Wir sind einfach blind für die Realität! Man bezeichnet dieses Verhalten traditionell als Verblendung. Verblendung liegt also vor, wenn wir die Wirklichkeit aufgrund irgendwelcher Annahmen oder Erwartungen nicht so sehen, wie sie ist. – Prima, da haben wir das erste Tier, das Schwein, als Symbol für Verblendung erkannt. Wer erkennt denn noch ein Tier? Und die Frage richtet sich vor allem an die Jüngeren unter euch.”

Die zwölfjährige Nalina meldet sich grinsend und wird aufgerufen, sie sagt: „Da ist ein Hahn. Darf ich auch etwas zu dem Hahn erklären?” Taracitta nickt ihr zu: „Klar doch, ich sehe doch, dass du unbedingt etwas loswerden möchtest.”

Allerdings! Bei uns vorm Haus laufen Hühner ´rum und auch ein Hahn, der manchmal ganz schön nervig sein kann, denn er schreit schon in aller Frühe, er steigt am liebsten auf einen ganz hohen Punkt, auf einen Wagen zum Beispiel, und dann kräht er hinaus, als wollte er allen sagen: `Ich bin der Allergrößte!´ Dabei ist er nur der Allereingebildetste! Und außerdem rennt er den Hühnern schon in aller Frühe hinterher, kaum dass er erwacht ist, und dann besteigt er das erstbeste Huhn und ist gar nicht zärtlich zu dem Huhn und dann gleich das nächste und dann noch eins!”

Das führt natürlich zu allgemeiner Heiterkeit und Getuschel unter den Mädchen und Frauen. Taracitta, die es durchaus liebt, wenn in ihrem Unterricht viel gelacht wird, bringt dann allerdings wieder Strukur herein, indem sie nachfragt: „Das hast du ja sehr genau beobachtet, wie würdest du denn die dahinterstehende Geisteseinstellung bezeichnen?”

Ha! Da ist eine riesige Gier dahinter, einerseits die Gier, der Größte zu sein, wie man sie ja auch bei Katriyas findet.” Sie genießt kurz das wissende Nicken ihrer Zuhörerinnen, bevor sie noch eins draufsetzt: „Und dann ist da noch das Element von Geilheit drin, eine Gier, die auf sofortige Befriedigung drängt, wobei das mit der Befriedigung aber offensichtlich nicht ganz funktioniert, sonst würde der Hahn ja nicht ein Huhn nach dem anderen besteigen müssen. Er nimmt das auch gar nicht als Liebesbezeugung wahr, er ist nicht freundlich zu den Hühnern, sondern grob. Also wenn sich mein Vater nachts an Mutter ranmacht, dann geht das sehr viel zivilisierter zu!”

Das geht Taracitta jetzt doch etwas zu weit. Sie wartet, bis sich der Sturm der Heiterkeit etwas gelegt hat, bevor sie eingreift: „Wir haben jetzt alle etwas die `Nalina-und-der-Hahn-Show´ genossen und ich hoffe dass heute nicht alle anwesenden Damen zu Nalinas Vater gehen, um ihn wegen seines zivilsierten Sexualverhaltens zu loben...” - was dann natürlich doch wieder Heiterkeit auslöste - „aber wir haben, glaube ich, alle erkannt, dass es sich bei dem zweiten der drei Kernprobleme um die Gier handelt, die in uns allen wurzelt. Meist sind wir dabei nicht ganz so grobschlächtig wie Nalinas Hahn, sondern ein ganzes Stück zivilisierter, mitunter äußert sich die Gier daher in uns eher als `Verlangen´ oder als `Habenwollen´, aber im Kern ist das auch Gier, eines der drei Wurzelübel, der grundlegenden Fehlverhalten, die in uns Menschen – wie in allen anderen Tieren auch – vorhanden ist. So ist auch unser Sexualverhalten hoffentlich ein ganzes Stück zivilisierter.

Ein ganz interessanter Aspekt ist dabei auch, wie Gier und Verblendung häufig Hand in Hand gehen. Wenn wir verliebt sind – und ich denke jede von euch hat davon zumindest schon einmal einen ganz kleinen Anfall gehabt – verlangt es uns danach, mit der geliebten Person zusammen zu sein und gleichzeitig idealisieren wir diese Person, wir sehen nur das Positive an ihm, und das noch in übertriebener Form. Dass hier Gier und Verblendung Hand in Hand gehe, bemerken wir erst, wenn die Verliebtheit zu Ende ist. Damit ist dann das Problem keinesfalls behoben, denn die nächste Verliebtheit lässt uns genau so verblendet sein, wie das Schwein, dass sich im Dreck suhlt. Ich kann mir vorstellen, dass das etwas ist, was nachher in den Arbeitsgruppen noch vertieft werden kann.”

Während die Zuhörerinnen jetzt wieder ins Tuscheln gerieten, wandte sich Taracitta an Mohana: „Mach du mal weiter, du kriegst das disziplinierter hin als ich, das soll ja heute hier nicht ausufern.”

Diese nickte zustimmend und klatscht dann in die Hände, um die Mädels zu Ordnung und Ruhe zu gemahnen: „Wir sollten uns noch das dritte Tier ansehen, und das ist alles andere als zum Lachen, vielleicht eher zum Fürchten. Wer möchte das dritte Tier im inneren Kreis denn mal benennen und vielleicht auch beschreiben? Ja bitte, Dhara!”

Dhara war etwas älter, vielleicht siebzehn, und sie antwortete, so wie das Mohana von ihr erwartet hatte, wesentlich disziplinier­ter: „Das dritte Tier ist die Schlange. Die Schlange steht für das dritte Wurzelübel, das in jeder von uns, wenn auch in unterschiedlichem Ausmaß, vorhanden ist. Es ist der Hass. Die Schlange schlängelt sich durchs Leben, sie hat eine gespaltene Zunge, redet hier so, dort so, und auf diese Art gelingt es ihr mitunter Streit unter die anderen zu bringen, Zwietracht. Ihr merkt, ich rede hier nicht von dem Tier, sondern von der Schlange in uns. – Die Schlange als Tier ist gefährlich, sie kann zubeißen, das Gift mancher Schlange ist tödlich. Und es gibt auch Würgeschlangen, die ihre Opfer erwürgen, um sie dann zu verspeisen. Die Schlange steht für Hass – oder milder ausgedrückt für Abneigung, dafür, dass wir etwas weghaben wollen.”

Mohana zollte Dhara Anerkennung für ihren ausgezeichnet analytischen Beitrag und auch dafür, die übertriebene Heiterkeit wieder beruhigt zu haben: „Das war ja schon ein richtiger Vortrag, dem kann ich ja eigentlich gar nichts mehr hinzufügen. Oder du vielleicht Sabitha?”

Ja, ich möchte gern ein Beispiel beisteuern, ein Beispiel aus unserer Sangha, etwas, was ziemlich lange her ist. Einige von euch kennen das Geschehnis, aber nicht alle. Damals hat ein Mann von außerhalb seine Frau verfolgt. Er war ein Katriya, ein Offizier im Heer des Raja. Dieser Mann war damals sehr gewalttätig, und zwar auch gegen seine Frau und seinen Sohn. Frau und Sohn hatte in unerer Sangha Zuflucht gefunden. Er aber, dieser Katriya, war so wütend, dass er hierher kam und seiner Frau vor unseren Augen mit einem Schwert den Arm abhieb. Ich denke, jede von euch weiß jetzt, wer diese bedauernswerte Frau war, nämlich Amandita. Und der Täter lebt inzwischen auch hier im Dorf, was bei weitem nicht alle wissen. Er leitet sogar eine unserer Studiengruppen: es ist Javāharlāl!”

Jetzt breitete sich bei Eingeweihten eisiges Schweigen aus, während die kurzzeitigen Gastteilnehmerinnen sich fragend ansahen. Das nutzte Taracitta um den Unterricht wieder zu übernehmen: Das ist eine äußerst interessante Angelegenheit. Es geht dabei nämlich um Handeln, um Karma, und darum, wohin unser Handeln führt, um die Früchte unseres Handelns, um Karma Vipāka. Und spätestens jetzt, wo wir diese wahre Geschichte von Sabitha gehört haben, empfinden sicher einige von uns Unbehagen. Bevor wir den Gedanken von Karma Vipāka auf dieses Beispiel anzuwenden versuchen, möchte ich euch darauf hinweisen, dass wir derzeit genau das machen, was wir uns für heute vorgenommen haben, nämlich uns mit den beiden inneren Kreisen dieses Bildes (siehe oben) zu beschäftigen. Wer von euch kann denn das einmal beschreiben, was wir im zweiten Kreis von innen sehen? - Ja bitte, Aruni.

Diese erklärt: „Die eine Hälfte dieses Kreisringes ist schwarz, die andere weiß. In der schwarzen Hälfte sind Leute abgebildet, die fallen herunter, manche sind nackt. Und in der weißen Hälfte befinden sich ordentlich gekleidete Leute, die steigen aufwärts. Soll ich auch sagen, was es bedeutet?” Und da Taracitta zustimmend nickt, fährt Aruni fort: „Das heißt, dass wenn wir üble Sachen machen, dass wir dann absteigen, dass es uns dann schlechter geht, aber wenn wir gute Dinge tun, dann steigen wir auf, bekommen Anerkennung!”

Das hast du gut erklärt, Aruni.”

Aber das stimmt doch gar nicht!” schrie Sabitha jetzt, „der Javāharlāl war wie ein Teufel, er hat der Amandita einfach den Arm abgehackt, das habe ich selbst gesehen, das war das Schlimmste, was je erlebt habe! Und jetzt ist er hier ein Lehrer wie du, Taracitta!”

Die Angesprochene nickte: „Das ist ein sehr guter Einwand. Wir sollten nichts einfach glauben, nur weil es in einer sogenannten heiligen Schrift steht, oder – wie hier – in einem großartigen Bild dargestellt ist. Wir sollten es immer mit kritischem Geist hinterfragen, so wie das Sabitha eben sehr richtig macht. Dabei ist sie offensichtlich noch zu keinem Ergebnis gekommen, obwohl sie das Ereignis damals sichtlich sehr schockiert hat und sie sicher oft in den letzten zehn Jahren daran gedacht hat. Deshalb ist es wichtig, dies hier im Sangha zu besprechen. Und genau das machen wir jetzt. Helfen wir Sabithas Problem zu lösen. Wer kann uns etwas Hilfe anbieten?”

Narami, die zur Zeit von Javāharlāls Untat noch nicht in Dorf war, aber jetzt bereits seit einigen Jahren hier ist machte den Anfang: „Ich glaube, das Bild ist langfristiger angelegt, es bezieht sich auf mehrere Leben, es könnte ja sein, dass Javāharlāls Tat zu einer sehr schlechten Wiedergeburt führt. Karma Vipāka muss ja nicht immer sofort eintreten, das kann auch nach vielen Leben sein.”

Sabitha schüttelte wütend den Kopf, man konnte deutlich sehen, dass das Thema sie sehr beschäftigte, offensichtlich schon seit Jahren. Daher sagte sie: „Erst werden wir aufgefordert, den Dharma in der Praxis zu überprüfen und dann heißt es: Ätsch, das könnt ihr gar nicht sehen, das passiert vielleicht erst in 200 Jahren!”

Taracitta nickte Sabitha mitfühlend zu: „Ich kann deine Verärgerung gut verstehen, Sabitha, obwohl Narami durchaus recht hat. Karma erfüllt sich keineswegs immer sofort, es kann sehr lange dauern, bis es – wie wir das nennen – reif ist. Aber mit dieser Antwort allein kann sich Sabitha ganz zu recht nicht zufrieden geben. Wir sollten daher das untersuchen, was wir untersuchen können, und das ist dreierlei, nämlich erstens, wie kam es dass Javāharlāl, den ihr hier inzwischen als sehr lieben, hilfsbereiten Menschen kennen gelernt habt, so eine schreckliche Tat begangen hat, und zweitens, wieso hat er sich offensichtlich so sehr zum Besseren verändert und schließlich: was ist davon Karma Vipāka, also Folge ethisch bewertbaren Handelns. Und ich schlage vor, wir gehen genau in dieser Reihenfolge vor. Also zu Punkt eins, wieso hat Javāharlāl eine so schreckliche Tat begangen. Kann jemand dazu etwas erklären?”

Da es sich um einen Anfängerinnenkurs handelte, waren die Anwesenden entweder noch sehr jung, also zur Zeit der fraglichen Tat noch kleine Kinder oder noch gar nicht im Dorf, daher meldete sich niemand.

Dann werde ich dazu etwas sagen”, begann Mohana, „Ich war damals Anfang 20 und natürlich haben wir damals alle über die Tat gesprochen und über das was vorher war. Javāharlāl war zusammen mit seiner Frau Amandita zwei Jahre vorher erstmals hier. Beide waren vom Leben hier sehr angetan, obwohl es bei Javāharlāl anfangs erhebliche Widerstände gab, denn er ist Katriya und hatte damals eine hohe Position in den Truppen des Rajas. Allmählich taute er hier auf und erkannte, dass es ein anderes Leben gab, als dasjenige, das er den brahmanischen Kasten-Regeln wegen führte. Die beiden gingen dann nach ihrem Besuch hier zurück in seine Heimatstadt und natürlich holten ihn dort die alten Sachzwänge und Gewohnheiten wieder ein. Dann musste er sogar noch in den Krieg ziehen. Er hat dort viele schlimme Dinge gesehen, vielleicht auch getan. Er war verzweifelt, aber er lebte das Leben eines Katriya – mit all seinen Sachzwängen. Man muss als Katriya krähen wie der Hahn in Nalinas Beschreibung vorhin, man muss ein großes Haus führen, muss Feste geben. Und so kam er in finanzielle Schwierigkeiten. Er war so verzweifelt, dass er trank, Frau und Kind schlug. Handlungen aber haben Folgen: Die Frau, also Amandita, lief ihm fort, mit dem Kind. Jetzt war er noch verzweifelter, wusste weder aus noch ein. Alles was er bei den Kriegern gelernt hatte, war ein Problem mit Gewalt zu lösen, also im Zweifelsfall mit dem Schwert. Und so kam dieser verzweifelte und verunsicherte Mann hierher. Sein Ziel war, wie ich von ihm selbst gehört habe, die Frau, die sich ihm und ihren – nach brahmanischer Sicht – ehelichen Pflichten entzogen hatte, zu richten, und zwar mit dem Schwert. Dann wollte er seinen geliebten Sohn mit nach Hause nehmen. Aus irgendwelchen Gründen ist er etwas vom ursprünglichen Plan abgekommen, hat Amandita den Arm statt den Kopf abgeschlagen und ist ohne Sohn abgezogen. Er hat dann ein erbärmiches Leben gelebt, jede Nacht hat er seine Untat im Traum erlebt und bereut. Aus Verzweiflung hat er Haus und Beruf verloren, da er sich den Rauschmitteln ergeben hatte, verzweifelt wie er war.

Nach drei höllengleichen Jahren kam er, und wollte, dass Yuz ihn richten solle – hinrichten! Er glaubte, er habe für seine Untaten den Tod verdient. Yuz tat das aber nicht, sondern verdonnerte ihn zur unappetitlichsten Arbeit, die es gab: menschliche Exkremente zu beseitigen, und zum Dienst am Menschen im Heim der himmlischen Betreuung.

Eine der Frauen rief: „Aber dann ist es ja geradezu eine lehrbuchhafte Beschreibung von Karma Vipāka: „Als er ein Verbrechen begangen hatte, wobei wir auch gesehen haben, wieso er es begangen hatte, was die Ursachen dafür waren, als er also dieses Verbrechen begangen hatte, wurde er bestraft. Erst hat er drei Jahre höllische Qualen erlebt. Dann hat er bereut, woraufhin ihm Yuz eine mildere Strafe gab und damit die Chance zur Läuterung. Und für die vielen guten Taten, die er dann machte, ist er – wie im weißen Segment des Kreisringes in unserem Bild – wieder aufgestiegen.”

Alle blickten jetzt aus Sabitha, die den Eindruck hatte, sie müsse sich erklären: „So habe ich das noch gar nicht gesehen, das meiste habe ich auch davon nicht gewusst, vielleicht auch irgend etwas nicht sehen wollen, wie das Gute, was er inzwischen tat. Ich glaube das hier hat mir heute sehr geholfen.”

Nun übernahm Taracitta wieder: „Und das zeigt einmal mehr wie wichtig es ist, nicht nur allein zu reflektieren, sondern sich auch mit anderen Menschen aus der Sangha auszutauschen. Das kann im formalen Rahmen geschehen, wie hier im Studienkreis, oder auch informell: im Gasthof, beim Schwatz mit der Nachbarin oder beim Wäschewaschen am See. Viele von euch sind jetzt aber bisher gar nicht zu Wort gekommen, aber dafür haben wir zum Glück jetzt noch die Kleingruppen. Ihr habt eben auch gesehen, wie wichtig es ist, seine Zweifel zu äußern. In diesem Sinne wünsche ich euch noch gute Gespräche in den Kleingruppen.”

Als die Kleingruppen zu Ende waren, gingen Taracitta und Sabitha gemeinsam zum Gasthof. Sabitha bedankte sich bei Taracitta für die Lektion und gestand ein, dass sie sich schon längst an Taracitta oder eine andere Lehrperson deswegen hätte wenden können, aber irgend etwas habe sie daran gehindert. Taracitta nickte: „Vielleicht wolltest du unbewusst nicht wahrhaben, dass du möglicherweise in diese Geschichte verstrickt bist.”

Ich? Wieso ich?”

Hast du nicht Javāharlāl auf den Arm aufmerksam gemacht? Ich glaube du warst es, die bei seinem ersten Besuch gesagt, als er nach dem Fleisch beim Essen im Gasthof fragte: `Du hast Glück, dass das Fleisch an deinem Arm ist noch dran ist´?”

Sabitha blieb stehen, sie starrte Taracitta an. „Das stimmt, das habe ich damals gesagt, aber bis heute habe ich mich daran nicht erinnert!”

Ist es vielleicht möglich, dass du das ins Unterbewusstsein verdrängt hast, weil du irgendwie in der Geschichte mit dem Arm drin hängst, und dass du dich wegen diesem ungeklärten Zusammenhang vorhin so sehr aufgeregt hast?”

Sabitha starrte ihre Lehrerin in panischer Angst an: „Kann es sein, dass ich daran Schuld bin, dass Amanditas Arm abgehackt wurde?”

Taracitta schüttelte den Kopf: „Ich sage nur, das da eine Beziehung zwischen den abgehackten Arm und deiner verdrängten Erinnerung ist.”

Sabitha war ganz unglücklich: „Vielleicht bin ich an dem Ganzen schuld?”

Vielleicht war es auch nur schade, das Thema so lange zu verdrängen. Mir drängt sich dabei ein anderer Schluss auf als dir, meine liebe Sabitha. Javāharlāl wollte seiner Frau den Kopf abschlagen. Die aber hat beide Arme in die Luft gehalten. Ich erinnere mich ganz genau daran. Javāharlāl hat einen Moment innegehalten, dann hat er ihr zielgerichtet einen Arm abgeschlagen. Vielleicht haben die erhobenen Arme, die beim Kopfabschlagen ja stören würden, ihm gezeigt, dass es genügen könnte, einen Arm abzuschlagen um Rache zu nehmen. Möglicherweise hat er sich auch bewusst oder unbewusst an die Szene, als du das damals beim Essen sagtest, erinnert. Du warst damals bei der Sache mit dem Schwert anwesend und hast ihn gesehen, er wird dich auch gesehen haben. Möglicherweise hat sein Unbewusstes Einfluss auf ihn genommen und er hat ihr deshalb nur den Arm abgeschlagen. Dann hättest du Amandita das Leben gerettet.”

Sabitha war ganz verwirrt, aber Taracitta umarmte sie jetzt: „Meine liebe Sabitha, mache dir keine Vorwürfe, es kann so oder so oder ganz anders gewesen sein, die Gesetze des Karma bis ins Detail zu erforschen ist uns nicht möglich, sagt der Buddha. Aber das ganz grobe Wirken haben wir heute erkannt. Daher ist es wichtig auf die eigenen Handlungen zu achten. Und eben auch auf unsere Gedanken und unsere Worte.”


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Fußnoten

1Thomas“ ist aramäisch und heißt eigentlich „Zwilling“. In der syrischen Tradition heißt der Apostel Judas Thomas“, woraus man schließen kann, dass der eigentliche Name von Thomas Judas war. Um ihm von dem anderen Judas zu unterscheiden, hat man ihn „Thomas, der Zwilling“ (Judas Thomas) genannt, den anderen Judas nannte manJudas Ischariot (Isch Qerijot = Mann aus Qerijot) nach seinem Herkunftsort.



Erläuterungen

Abba Wenn Jesus Gott anbetete, verwendete er dieses aramäische Wort für „Vater. Er nahm nicht die Anrede JHWH, die im Tenach verwendet wurde. Während JHWH den alttestamen­tarischen strengen Gott, der ursprünglich der Kriegsgott der Juden war, bezeichnet, interpretiert Jesus das Göttliche neu und sieht darin eine milde, verständnisvolle und unterstützende Vaterfigur.

Antioch – war eine der Hauptstädte des Seleukidenreiches, Neugründung im Jahre 300 v.u.Z. (nach einem Erdbeben). Die Stadt heißt heute Antakya und liegt im äußersten Süden der Türkei an der syrischen Grenze (nahe Aleppo). 64 v.Chr. verleibte sich das Römische Reich die Reste des Seleukidenreiches ein, Antioch wurde zur Hauptstadt der Provinz Syrien (neben Ägypten die reichste Provinz des Römischen Reiches). Zu Jesu Zeiten hatte Antioch 500.000 Einwohner und war damit eine der vier größten Städte des Reiches (neben Rom, Alexandria und Karthago).

Bhārat Gaṇarājya – (Sprache: Hindi) indische Bezeichnung für Indien

Brahmanismus – indische Religion, in der (u.a.) einen Brahman (Gott) verehrt wird. Der B. heute als Hinduismus bezeichnet.

Galiläa – Ist ein großes Gebiet im Norden des heutigen Israel (westlich des Jordan, sowohl südlich als auch nördlich des See Genezareth. Der Begriff „Galiläa“ kommt aus dem Hebräischen und heißt eigentlich „Bezirk der Heiden“.

Gondophares I. - gilt als der Begründer des Indo-Parthischen Königreiches und war ein partischer Lokalfürst, bevor er König wurde. Gondophares regierte von 20 n. Chr. bis etwa 50 n Chr. (Quelle: Wijipedia 19.4.2024)

Grüne Tārā – Bodhisattva, die für grenzenloses Mitgefühl zu allen Wesen steht. Sie wird immer sitzend dargestellt, im Begriff aufzustehen, um den leidenden Wesen aktiv zu helfen, ihre rechte Hand zeigt die Geste der Wunschgewährung. Sie hat grüne Haut, denn sie gehört zu einer Gruppe von grünen Wesen, genannt die Karmafamilie. Neben der Grünen Tārā gibt es noch 20 weitere Tārās, die Grüne Tārā ist aber die bekannteste davon. Ihr Bild ziert unseren Meditationsraum in Gelnhausen.

Karma – im Buddhismus jede absichtlich ausgeführte Handlung. Es wird davon ausgegangen, dass Handlungen Folgen haben, die (auch) auf den Verursacher zurückwirken. Im Hinduismus hingegen wird meist davon ausgegangen, dass es karmisch heilsam sei, sich an die Regeln und Beschränkungen seiner Kaste zu halten und die Brahmanen (bezahlte) Opfer für einen bringen zu lassen.

karma vipāka – Folge absichtlich ausgeführten Handelns, wörtlich: die „Früchte des Handelns“

Kaste – die indische Gesellschaft wird gemäß der hinduistischen Religion in streng voneinander abgetrennte Kasten eingeteilt, die wichtigsten Kasten sind die Brahmanen (Sanskrit: ब्राह्मण, brāhmaṇa = Priester), katriya (Sanskrit: क्षत्रिय, Adel, Krieger, Beamte) und die vaiśya (Sanskrit: वैश्य = Kaufleute, Händler, Großgrundbesitzer) und śūdras (Sanskrit शूद्र, = Arbeiterklasse incl. Handwerker), darunter stehen die Dalits (Kastenlose, Unberührbare). Auf diese Art schuf der Hinduismus eine Apartheidsgesellschaft mit einer arischen Mittel- und Oberschicht, und einer indigenen Bevölkerung, die man nicht einmal berühren durfte; so sollte eine Rassenvermischung verhindern werden.

Katriya (Sanskrit: क्षत्रिय) höchste indische Kaste, umfasst Adel, Krieger, Beamte

Messias – das Wort bezeichnet seit dem Propheten Jessaja die Erwartung des rechtmäßig von Gott eingesetzten Königs. Der Begriff (hebräisch משיח, griechisch transkribiert Μεσσίας, ins Griechische übersetzt Χριστός Christós, latinisiert Christus) stammt aus den heiligen Schriften im Judentum, dem Tanach, und bedeutet „Gesalbter“. Er bezeichnet nach dem Tanach den Retter und Friedensbringer der Endzeit.

Mettā (Pali) eine sehr positive Emotion: Wohlwollen, Zuneigung, (nichterotische) Liebe, oft als „liebende Güte“ übersetzt. Mitunter wird sie auch als „Allgüte“ bezeichnet, denn mettā soll allen Wesen in gleicher Weise entgegen gebracht werden. Es ist das, was beispielsweise Jesus meint, wenn er sagt, man solle nicht nur seinen Nächsten lieben wie sich selbst, sondern sogar seinen Feind

Mettā-Sangha – Bezeichnung für die von Yuz und Amita gestiftete Spirituelle Gemeinschaft

Puruschapura - Heute heißt die Stadt am östlichen Ausgang des Chaiber-Passes Peschawar und hat 2 Mio. Einwohner; zu Jesu´ Zeiten war die Stadt erst vor wenigen Jahrzehnten von den buddhistischen Königen Gandharas gegründet worden.

Rājā – Herrscher, mitunter als „König“ übersetzt. Die Rājās von Shakya, dem Kleinstaat aus dem der Buddha stammt, wurden aber beispielsweise vom Adel gewählt. Ähnliches galt damals in vielen dieser kleinen Staaten, es gab also teilweise monarchische, teilweise republikanische Verhältnisse – und auch Mischformen.

Sangha – spirituelle Gemeinschaft, besonders für die Gemeinschaft der Schülerinnen und Schüler des Buddha. Zur Sangha in engeren Sinn gehören nur Mönche und Nonnen, zur Sangha im engsten Sinn nur Erleuchtete.

Sindh – Der Strom ist bei uns als Indus bekannt. Er hieß damals in Indien und heute noch in Pakistan, wodurch er größtenteils fließt, Sindh.

Tanach - oder Tenach (hebr. תנ״ך TNK) ist eine von mehreren Bezeichnungen für die Hebräische Bibel, die Sammlung der heiligen Schriften des Judentums er enthält unter anderem die Tora (Weisung). Das Christentum hat alle Bücher des Tanach - etwas anders geordnet – übernommen. Sie sind das Alte Testament.

Taxila - war die historische Hauptstadt des Reiches Gandhara, das sich über die östlichen Gebiete des heutigen Afghanistan und den Nordwesten Pakistans erstreckte. Die Herrschaft hatten ab etwa 19 u.Z. die Parther. Deren König Gondophares soll der Überlieferung gemäß den Apostel Thomas an seinem Hof zu Gast gehabt haben. (Quelle: Wikipedia 19.4.2024)

Thomas, der Apostel - Der Apostel Thomas kommt in allen vier Evangelien vor. Er war jener Jünger, der nicht an die Auferstehung Jesu glauben wollte, bevor er nicht mit eigenen Augen die Wundmale Jesu gesehen hatte. Deshalb wird er auch der Ungläubige genannt. Nach dem Tod Jesu wirkte Thomas als Missionar. Seine Wege führten ihn bis nach Persien und Indien. Thomas starb den Märtyrertod. Wahrscheinlich hat ihn ein Brahmane während eines Gottesdienstes in Kalamina, das ist vermutlich in der Nähe von Madras, ermordet. (Quelle: kathpedia.com 19.4.2024)

Uposatha – heißt wörtlich Fastentag. Alle sieben Tage ist Fastentag: bei Neumond, bei Vollond und bei Halbmond (es galt der Mondkalender). An diesen Tagen waren die Laienanhänger der Jains dazu aufgerufen zu leben wie die Mönche an den übrigen Tagen, die Mönche aber fasteten. Die Regeln bei den Buddhisten sind anders, dort sollen zwar die Laien auch enthaltsam leben und auf alle Unterhaltung (Musik, Gesang, Theater) verzichten. Die Mönche machen an diesem Tag das “Eingeständnis von Fehlern”, eine Art Beichte.

Zarathustra – soll ein iranischer Priester, Philosoph und der Stifter des Zoroastrismus sein, der im 1. oder 2. Jahrtausend v.u.Z. gelebt haben soll. Heute geht man davon aus, er habe um 600 v.u.z. Gelebt, also in der Achsenzeit und soll somit ein Zeitgenosse von Buddha, Mahavira, Laotse und Konfuzius gewesen sein. Die älteste Biografie stammt aus dem 9. Jhd. unserer Zeitrechnung, also mindestens 1000 Jahre nach seiner Zeit und ist daher mit Vorsicht zu genießen.


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