Horst Gunkel: Die Jesus-Trilogie - Band 2: Jesus - die Jahre 30 - 96 - Kapitel 20                              letztmals bearbeitet am 08.09.2025

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  20 - Der wandernde Theravadin




In den nächsten beiden Monaten gingen die Bauarbeiten an den Familienhäusern zügig voran. Inzwischen waren alle Siedler Dharmamittas geworden und auch ungefähr die Hälfte der Leute, die zu Rajs Hof gehörten. War es eigentlich ein Gehöft? Man konnte auch sagen, es war jetzt ein Dorf, das einen Bauernhof betrieb, der von Raj geleitet wurde, und einen Ashram, den Amita und Yuz leiteten.

Das Herrenhaus hatte nunmehr im Obergeschoss die Pflegestation. In das Pflegerinnenzimmer war Reena eingezogen. Sunay hatte auf Bitten seiner Mutter, die vorgab, dass sie nachts immer mal Hilfe brauche, wieder seine Schlafstelle an ihrer Seite eingenommen, tatsächlich musste sie auch mindestens jede zweite Nacht Wasser lassen, wozu sie Hilfe brauchte. Sunay schob ihr dann immer die Bettpfanne, also die frühere Almosenschale, unter und balancierte diese dann vorsichtig zum Fenster, wo er sie entleerte. Er genierte sich inzwischen nicht mehr, wenn er sie so sah, und ihr schien es gar nicht unangenehm zu sein.

Das Haus der hl. Familie, wie es immer genannt wurde, war jetzt, nachdem Ajala und Jeevan ganz im Herrenhaus wohnten, wirklich zum Haus von Yuz, Amita und Taracitta geworden, und Amita arbeitete gern zum Ausgleich etwas im Garten.

Das gemeinsame Essen wurde inzwschen nicht mehr hier eingenommen, sondern vor dem Herrenhaus. Küchenchefin Ajala mit ihrem Team aus Shanti und Svetha hatten hier so eine Art Gasthof etabliert, wo jeder Essen konnte, nur mit den Unterschied, dass in diesem Gasthof niemand zahlen musste. Inzwischen kamen auch regelmäßig zwei der Arbeiterfamilien zum Essen her. Sie hatten nachgefragt, ob das möglich sei und Ajala hatte geantwortet: „Wenn ihr nur hin und wieder einmal kommt, weil es bei euch an irgendetwas mangelt, ist das in Ordnung, wenn ihr aber regelmäßig kommt, dann stellt uns doch eines eurer Kinder zwischen sieben und zwölf Jahren als Jungmitarbeiter zur Verfügung.”

Seitdem waren Rojana und Sabitha als Mädchen angestellt und durch die beiden Familien waren jetzt dreizehn Esser mehr zu verköstigen. Ein Problem gab es nur an Regentagen, weshalb auf Rajs Anweisung zwei Arbeiter seit ein paar Tagen damit beschäftigt waren, ein Dach über dem Vorplatz des Herrenhauses zu errichten, unter dem bei Regen und im Winter gegessen werden konnte.

Wenn das Dach fertig ist, bauen wir Tische und Bänke, die wir hier aufstellen werden. Und spätestens dann soll dieses Haus nicht mehr `Herrenhaus´ heißen, sondern `Gasthof´”, hatte Raj verkündet.

Und was ist dann mit dem Obergeschoss, wie heißt das dann, vielleicht die `Etage die kranken Gäste´?” fragte Sabitha und musste über ihre eigene Frage lachen.

Raj wiegte den Kopf hin und her, schien verschiedene Ideen abzuwägen und hatte sich dann entschieden: „Nein, das ist das `Heim der himmlischen Betreuung´.” Von da an, war dies im allgemeinen Sprachgebrauch dieses Ashrams genau so eingeführt wie das `Haus der hl. Familie´.

Die Upostha-Veranstaltungen wurden so fortgeführt, wie das eingeführt war, es gab auch weiter die Morgen- und die Abendandacht, zu der nicht alle, aber die meisten Bewohner erschienen. Zu den Upostha-Veranstaltungen kamen jetzt im Sommer auch etwa ein halbes Dutzend Bewohner aus dem nahen Marktflecken, das war dort, wo auch die Produkte der Landwirtschaft dieses Ashrams angeboten wurden.

Man kann sagen, dass nach der Unruhe, die es zwei Monate vorher gab, alles inzwischen seinen ruhigen Gang hatte. Nun aber sollte es eine Abwechslung geben, denn ein Wanderer kam an.

Es war während des Vormittags, als ein Mönch in einer gelben Robe eintraf, er war die Straße entlang gegangen, blieb stehen und musterte die Bauarbeiten an den Häusern der Siedler, dann fragte er Dhiren, einen der Siedler, der dort an seinem künftigen Einfamilienhaus arbeitete: „Sagt an, guter Mann, ist das hier der Ashram, der sich Metta-Sangha nennt.”

Ja, Mönch, hier seid hier richtig, geht dort ins erste Haus, dort wohnt die heilige Familie.”

So ein Unsinn, eine Familie ist niemals heilig, nur Arahats sind heilig!”

Dhiren stutzte ob dieser schroffen Begrüßung, dann antwortete er: „Wenn ihr das glaubt, dann geht weiter eures Weges, dann seid ihr hier falsch.” Er wandte sich wieder seiner Arbeit zu.

Der Mönch schüttelte verwundert den Kopf, dann sah er sich um. `Das scheint dieses Haus zu sein´, dachte er bei sich und ging darauf zu, die Tür war angelehnt, er räusperte sich.

Yuz, der gerade dabei war, Taracitta zu säubern, blickte nicht auf und sagte nur „Komm rein! Was gibt´s.”

Der Mönch überlegte einen Augenblick, dann sagte er: „Ich bin ein Mönch auf Wanderschaft.”

Yuz drehte sich um, warf einen Blick auf ihn und sagte: „Oh, ja, man sieht´s. Du bist, glaube ich, der erste buddhistische Mönch, der hier vorbeikommt, seitdem wir hier wohnen, und das ist schon seit über einem Jahr.” Dabei säuberte er den Säugling weiter. „Hast du Hunger, soll ich dir etwas zu essen holen?”

Es ist eine Stunde vor Mittag, vielleicht weißt du, dass wir Mönche nach der Mittagszeit nichts essen dürfen.”

Klar weiß ich das, war ja selbst lange genug Mönch. Ich habe im Kloster Weiße Wolke im Himalaya den Dharma gelehrt, und du?”

Du hast den Dharma gelehrt? Und jetzt trägst du keine Roben mehr? Ist dieser Säugling etwa dein Kind?”

Ja, süß nicht, sie heißt Taracitta.”

Aber das hört sich ja fast an wie ein Ordensname!”

Es ist ein schöner Name, meine Frau hat ihn ausgesucht.”

Aber Tara ist der Name einer hinduistischen Gottheit!”

Hier nicht, Tara ist für uns das Symbol von angewandtem Mitgefühl, also einer göttlichen Weilung, die der Buddha über alles geschätzt hat. Wie heißt du eigentlich?”

Mein Name ist Ditthimitta1.” - Yuz musste unwillkürlich lächeln, dann sagte er: „Ich hatte auch einen Ordensnamen auf `mitta´: Devamitta2, aber das ist sehr lange her, ich habe in der Zwischenzeit im Ausland gearbeitet, im Römischen Reich, habe dort den Dharma gelehrt.”

Hattest du Erfolg?”

Ich hatte ziemlich viele Anhänger und Anhängerinnen, aber die dortigen Priester haben mich verfolgt, also musste ich fliehen. Ich hoffe, meine Jünger hatten inzwischen einigermaßen Erfolg, habe leider seit drei Jahren nichts mehr von ihnen gehört. - So mit dem Baby bin ich jetzt fertig, gehen wir also dorthin, wo du etwas zu essen bekommst.”

Yuz legte Taracitta in ein Tragetuch und ging mit Ditthimitta zum Gasthof, dort fragte er Shanti: „Wie sieht´s denn mit dem Mittagessen aus?”

Ist in gut einer Stunde fertig, wie immer.”

Das ist aber für Ditthimitta zu spät. Kannst du irgendetwas für Menschen mit großem Hunger binnen einer halben Stunde servieren?”

Shanti lachte: „Dir kann ich doch keinen Wunsch abschlagen, Yuz!” und schubste ihn neckig mit dem Ellbogen in die Seite.

Das Mädchen hat ja keinerlei Respekt vor dir!” ereiferte sich der Mönch, doch Yuz schüttelte den Kopf: „Dieses Mädchen hat allergößten Respekt vor mir, glaub mir das ruhig, nur bei uns drückt sich Respekt etwas anders aus, als du es gewohnt bist.”

Der Mönch bemerkte jetzt, dass Shanti seine Bettelschale nicht mitgenommen hatte und rief ihr nach: „Mädchen die Schale für das Essen. Shanti kam zurück, sah ihn ungläubig an, deutete auf die Bettelschale, die genauso aussah, wie die von Amita, die inzwischen einer ganzen anderen Verwendung zugeführt worden war: „Da willst du dein Essen ´reinhaben, na dann: Wohl bekomm`s!”, nahm die Schale und hielt sie ganz weit weg von sich, als sei es ein ekliger Gegenstand, und ging unter Kopfschütteln davon.

Ich verstehe dieses Mädchen nicht, ist sie verrückt?”

Sie ist meine Schülerin!”

Du unterrichtest Mädchen?”

Nein, ich unterrichte Menschen!”

In diesem Moment kam Amita dazu: „Wie schön einen buddhistischen Mönch hier begrüßen zu können. Willkommen in unseren Ashram!”

Ashram ist eigentlich ein brahmanisches Wort.”

Amita sah ihn an: „Wenn ich mich recht erinnere hat man mit Ashram ursprünglich eine Einsiedelei bezeichnet, inzwischen verwendet man es aber eher für Meditationszentren, daher benutzen wir dieses Wort, denn Klöster sind ja immer nach Geschlechtern getrennt, das haben wir hier nicht, wie man sieht.”
„Oh, ja, das sieht man.”

Yuz kam eine Idee: „Wir haben nachher ein buddhistisches Kolloquium, wir nennen es: Studiengruppe, was hältst du davon, wenn du daran teilnimmst? Unsere Sangha hat sonst keine Lehrer von außerhalb, immer nur Amita und mich, da kann es doch nicht schaden, einen anderen Mönch zu Gast zu haben.”

Ditthimitta fühlte sich jetzt teilweise geehrt, obwohl er nicht ganz sicher war, bei was für einer merkwürdigen Truppe er da gelandet war; andererseits, so sagte er sich, kann es ja nicht schaden, wenn sie einmal den richtigen Dharma hören und nicht nur das, was dieser Ex-Mönch mit Baby hier erzählt.

Ja, gut, das lässt sich machen. Sie haben den Dharma auch von Ihrem Mann gelehrt bekommen, Amita?”

Ursprünglich ja, das war beim Kloster Weiße Wolke, aber du kannst mich ruhig duzen, wir sind hier alle per du.”

Dem Mönch schien das zwar unangenehm, aber er war in dieser Hinsicht bereit sich anzupassen: „Yuz, du hast im Kloster auch Frauen unterrichtet? Das geht doch gar nicht, da dürfen doch gar keine Frauen herein!”

Da hast du recht, deshalb hat ja Amita auch gesagt `beim Kloster´, ich bin zum Unterricht immer nach draußen gegangen, Amita war damals übrigens nicht älter als Shanti, die eben deine Almosenschale geholt hat.”

Der Mönch war etwas verwirrt: „Das ging also schon längere Zeit mit euch?!”

Amita amüsierte sich über das etwas verstaubte Weltbild ihres Besuchers, daher sagte sie: „Ja, bis wir uns dann zusammen vom Kloster Weiße Wolke aus aufgemacht haben und zwei Wochen lang gemeinsam gepilgert sind – bis Bodh Gaya.”

Wenn der Mönch den Begriff „Sodom und Gomorrha” gekannt hätte, wäre ihm dieser jetzt bestimmt in den Geist gekommen, so fragte er nur nach: „Ihr seid zwei Wochen lang zusammen auf der Landstraße gewandert? Und wart dann noch in Bodh Gaya? Und dann?”

Dann bin ich Nonne geworden, das war ich bis letztes Jahr. Und jetzt sind wir hier und haben dieses süße Baby.”

Der arme Mönch war total verwirrt, doch zum Glück kam jetzt gerade sein Essen, Shanti übergab es und sagte augenzwinkernd zu Yuz: „Ich habe auch aufgepasst, dass ich die beiden Almosenschalen nicht verwechselt habe!” Dann ging sie lachend davon.

Der Mönch sah Yuz ebenso verstört wie fragend an. Der klärte ihn auf: „Das konntest du nicht verstehen. Amita war doch Nonne bis sie letzte Jahr hierherkam. Und ihre Almosenschale wird auch hier im Haus aufgewahrt."

Ach so.” Dann begann er seine Mahlzeit einzunehmen.

Um ihn ungestört und achtsam seine Mahlzeit verspeisen zu lassen, wandte sich Yuz jetzt an Amita: „Was macht ihr denn gerade in deiner Gruppe?”Amita erläüterte es ihm.

Dazu muss man wissen, dass zwei Wochen zuvor das Kolloquium neu aufgeteilt worden war, es gab jetzt insgesamt vier Gruppen, die auch nicht mehr hochtrabend als `Kollquium´ bezeichnet wurden, sondern als Studiengruppen, zwei für Männer und zwei für Frauen, insofern hatte man sich an der klösterlichen Tradition orientiert, denn es macht schon einen Unterschied, ob man gemischte Gruppen hat oder nicht. Bewusst oder unbewusst ist das Verhalten der Mitglieder anders. In gemischten Gruppen versuchen sich die Menschen doch eher `in Szene zu setzen´ als in geschlechtlich homogenen Gruppen. Yuz leitete die Gruppe für die etwas fort­geschritteneren Männer und Amita die für die entsprechenden Frauen. Die Neulinge, wozu sowohl die neuen Siedler zählten, als auch die dem Hof Rajs zugehörigen Arbeiter (soweit sie überhaupt an Studiengruppen teilnahmen) unterrichtete Sunay, während die Anfängerinnen als Leiterin Yuva hatten. Die vier Gruppen­leiter/innen hatten das Recht, jede beliebige Gruppe zusätzlich zu besuchen, was dazu führte, dass Sunay regelmäßig in Yuz Gruppe ging, er wollte sich ja weiterbilden, und Yuva aus dem gleichen Grunde auch Amitas Gruppe besuchte. Yuz und Amita hielten sich mit den Besuchen anderer Gruppen zurück, machten dies meist nur, wenn es einen Grund dafür gab.

Inzwischen hatte Ditthimitta zu Ende gegessen. „Ich habe mitbekommen, dass ihr zwei Gruppen habt, eine für Männer und eine für Frauen. Das ist gut so.” Yuz erläuterte ihm jetzt das System mit den vier Gruppen. Zum Schluss sagte er „... und das bedeutet, dass wir heute die Gruppe für fortgeschrittene Männer haben, allerdings kann Amita auch dazu kommen, du kommst doch Amita?”

Na sicher, das lasse ich mir doch nicht entgehen, zur Abwechslung mal einem Ordinierten zuzuhören, und ich gehe eigentlich davon aus, dass auch Yuva kommt.”

Man konnte Ditthimitta ansehen, dass ihm das nicht wirklich recht war und er sagte: „Aber kommt nicht dadurch gerade so eine Spannung herein, wie man sie durch die geschlechtlich getrennten Gruppen vermeiden wollte.”

Amita schüttelte den Kopf: „Wir haben diese Geschlechter­trennung erst seit zwei Wochen, wenn dann heute einmal zwei Frauen zur Männergruppe kommen, wird es die schon nicht gleich umhauen, außerdem sind sie ja Besuche durch andere Kursleiterinnen gewohnt, da brauchst du dir gar keine Sorgen zu machen, Ditthimitta.”

Inzwischen meldete sich Taracitta. „Natürlich”, sagte Amita, „es ist ja auch höchste Zeit, dass du etwas zu trinken bekommst”, und nahm die Kleine aus dem Tragetuch, das immer noch Yuz trug.

Als Amita das entsetzte Gesicht des Mönchs sah, lächelte sie und sagte: „Vielleicht ziehe ich mich woanders hin zurück, wenn ich ihr die Brust gebe.”

Ditthimitta fiel ein Stein vom Herzen, obwohl er gleichzeitig die Verwendung der Bezeichnung für einen Körperteil in Amitas Satz als höchst ungehörig empfand.

Yuz wandte sich Micchaditthi zu: „Ich habe noch einiges zu erledigen, vielleicht willst du dich ja in der Zwischenzeit noch etwas umsehen, oder mit anderen Leuten sprechen?”

Ja, das ist eine gute Idee. Wer wohnt eigentlich hier in dem großen Haus?”

Das ist das ehemalige Herrenhaus. Früher gab es eine klare Trennung zwischen uns und der Herrschaft, aber seitdem Raj die Führung der weltlichen Geschäfte vor zwei Monaten übernommen hat, sind wir alle eine Gemeinschaft, eben die Metta-Sangha. - Da vorn ist Raj ja gerade, komm ich stell dich ihm vor.”

Er führte Ditthimitta zu Raj, der begrüßte ihn: „Der Friede sei mit dir, Bruder, schön einen Mönch hier begrüßen zu können!”

Ditthimitta fand es als reichlich anmaßend, dass ein Nichtordinierter ihn als `Bruder´ bezeichnete, andererseits, wenn das ein Kṣatriya war...

Guten Tag, mein Name ist Ditthimitta, ich habe Yuz gerade gefragt, was in diesem großen Haus ist, und er hat mir gesagt, dass ihr der Hausherr seid, was mich sehr verwundert, ihr seid mächtig jung für einen Herrn!”

Ja, das hat sich so ergeben, wollt ihr euch das Haus ansehen?”

Sehr gern!” Sie betraten das Haus. In der Küche war Hochbetrieb. Raj erläuterte: Ajala ist die Küchenchefin, sie bereitet mit ihrem Helferinnenteam das Essen zu, das in Kürze serviert wird.”

Ist das etwa eine Gemeinschaftsküche für das ganze Dorf?”

Nicht wirklich, die neuen Siedler essen alle hier, außerdem die Bewohner dieses Hauses und noch drei andere Familien. Die anderen Familien kochen noch selbst. Wir nennen das hier den `Gasthof´”.

Ich verstehe, dann sind die Leute, die hierher kommen, zahlende Gäste.”

Nein, Ditthimitta, mit Geld haben wir es hier nicht so. Ihr zahlt doch im Kloster auch nichts.”

Wir sind ja auch ein Kloster, eine spirituelle Gemeinschaft.”

Raj nickte: „Das ist der kleine Unterschied, wir sind zwar kein Kloster, aber auch eine spirituelle Gemeinschaft!” Dann setzte er die Führung fort. Neben der Küche gibt es hier unten einige Zimmer für die Hausbewohner, darf ich dir vielleicht meinen Vater vorstellen?”

Du hast noch einen Vater?”

Aber sicher, er ist gar nicht einmal so alt”, Raj klopfte an, dann öffnete er die Tür und Ditthimitta sah einen Mann, der etwas auf ein Brett malte. „Das ist Jagan, mein Vater, er experimentiert gerade mit der Malerei. - Vater, das ist Ditthimitta, ein wandernder Mönch, der heute unser Gast ist.”

Jagan stand auf: „Schön, dass ein Mönch uns besucht. Ja, ich male, das heißt: eigentlich übe ich noch, ich möchte mich künftig künstlerisch betätigen, und da wir niemanden haben, der malt, dachte ich, es wäre doch gut, wenn ich unsere Versammlungs­halle mit Bildern aus dem Leben des Buddha verschönern könnte, und jetzt übe ich dafür.”

Das ist eine ausgezeichnete Idee, guter Mann, und ihr habt die Leitung des Hofes deswegen an euren Sohn abgegeben?”

Nein, das war anders. Aber ich bin froh, dass Raj jetzt der Verwalter des weltlichen Teils unseres Ashrams ist.”

Raj erkannte, dass sein Vater nicht sagen wollte, dass er immer nur der eingeheiratete Ehemann der Herrin war, daher sei es wohl besser das Gespräch zu beenden: „Ja, Vater, wir gehen dann mal weiter, wir sehen uns ja alle drei nachher in der Studiengruppe.”

Ah, schön Ditthimitta, du bleibst, da freue ich mich drauf.”

Ditthimitta fand es nervig, dass er hier überall geduzt wurde, er war mehr Ehrerbietung gewöhnt, aber da er hier Gast war und sich außerdem über diesen merkwürdigen Ashram informieren wollte, verkniff er es sich, die anderen zurecht zu weisen.

Wir gehen dann gleich nach oben ins `Heim der himmlischen Betreuung´.”

Raj führte den Mönch zu Jeevan: „Hallo Jeevan, hier ist ein Besucher, ein Mönch namens Ditthimitta. Er besucht den Ashram und interessiert sich auch für das `Heim der himmlischen Betreuung´.

Ditthimitta betrachtete den im Bett Liegenden: „Was fehlt dir?”

Ich bin seit einem Unfall verkrüppelt. Meine Frau und ich, wir lebten seit dem Tod unserer Tochter allein. Nach meinem Unfall konnte ich unsere Felder nicht mehr bewirtschaften, und meine Frau musste sich um mich kümmern. Dann hat Ajala, also meine Frau, zum Buddha gebetet und der hat ihr sofort Yuz geschickt und auch noch eine Nonne, also Amita. Die haben hier Wunder gewirkt, einen schlimmen Dämon ausgetrieben, wir bekamen mit Karawanen Nahrung gebracht und seit zwei Monaten haben sie auch dieses `Heim der himmlischen Betreuung´ geschaffen, wo ich gepflegte werde.”

Raj erläuterte: „Jeevans Frau hast du ja schon kennen gelernt, das war die Küchenchefin des Gasthofs, sie hat ihn früher gepflegt. Aber seit Yuz und Amita da sind, ist alles anders. Aus der verzweifelten Frau ist eine Küchenchefin geworden, die den Gasthof leidet, aus mir, einem verängstigten Knaben ist der Herr geworden, und Jeevan hat jetzt eine eigene Pflegerin.”

Wozu braucht er die?”

Jetzt antwortete Jeevan: „Ich kann mich nicht allein herumdrehen, kann nicht zur Latrine und Reena muss mich auf auf einen Topf setzen, wenn ich mich erleichtern muss, das kann ich alles nicht allein, ich kann mich ja nicht mal waschen. Aber Amita hat mir diese junge Frau besorgt, die das jetzt alles für mich erledigt. Amita und Yuz können nämlich allerlei Wunder wirken.”

Ditthimitta wurde schwindlig. Hier war alles anders als in der normalen Welt! Aber es war auch alles anders als im Kloster. Es war, als wäre da jemand erschienen, der zu den normalen zwei Möglichkeiten, dem weltlichen von Gier geprägten Leben und dem klösterlich abgeschiedenen Leben ein drittes Modell gesetzt hätte. Er fragte sich, was der Buddha wohl dazu sagen würde. Aber Ditthimitta sagte nur: „Mir ist etwas schwindlig.” In diesem Moment betrat Sunay, der von Ditthimittas Besuch gehört hatte, den Raum: „Wenn dir schwindlig ist, dann komm in den Raum gegenüber, da kannst du dich setzen.” Er führte ihn in Sitas Raum.

Danke!” sagte er und setzte sich. Als er aufblickte erschrak er, denn er war offensichtlich im Schlafzimmer einer durchaus attraktiven Frau, die nur mit einer Art dünnen Nachthemd bekleidet auf einem Bett lag.

Verzeihung!” sagte er und stand erschrocken auf, um das Weite zu suchen. „Bleiben sie doch hier, ich bekomme so selten Besuch!” Sie hatte eine merkwürdig rauchige Stimme mit einem klaren Befehlston.

Ich wollte sie nicht kompromittieren”, versuchte er sich zu entschuldigen.

Im Gegenteil, ich bin ganz froh, dass meine Söhne sie hierher gebracht haben.”

Ditthimitta versuchte sich einen Reim darauf zu machen: „Wenn ich das richtig verstehe, dann ist der Maler dort unten Ihr Gemahl, und diese beiden hier sind Ihre Söhne. Aber warum leitet dann ihr jugendlicher Sohn den Betrieb...”

„...und der andere noch etwas jüngere Sohn ist mein Pfleger und Dharma-Lehrer.”

Ihr Pfleger und ihr Dharma-Lehrer?”

Ja, ich hatte leider vor einiger Zeit einen schweren Unfall und bin seitdem gelähmt. Mein zwölfjähriger Sohn hat die Freundlichkeit mich zu pflegen und er lehrt mich auch den Dharma. Er ist ein guter, einfühlsamer Dharma-Lehrer, er unterrichtet auch eine der vier Studiengruppen, die wir haben.”

Die Kindergruppe nehme ich an!”

Nein, nein, eine Gruppe von zehn oder zwölf erwachsenen Männern. Yuz hat ihn damit betraut.”

Jetzt schaltete sich Raj ein: „Weißt du Ditthimitta, in unserem Ashram läuft alles etwas anders als im Rest der Welt. Bis vor einem Jahr war es hier so wie überall. Meine Eltern waren die Chefs, wir hatten alle wenig Ahnung von spirituellen Dingen und lebten gemäß den üblichen Kasten-Regeln. Dann kamen Yuz aus dem Abendland und Amita aus der Richtung der aufgehenden Sonne, und von einen Tag auf den anderen war alles anders, sie haben alles auf den Kopf gestellt – halt nein – das stimmt so nicht: vorher hat – wie überall auf der Welt – alles auf dem Kopf gestanden und diese beiden kongenialen Wesen haben das auf dem Kopf Stehende auf die Füße gestellt.”

Aber, woher hatten die beiden die Macht dazu?”

Jetzt riss Sita, wieder das Gespräch an sich: „Ich kann Ihnen einiges erzählen, und ich habe auch die Zeit dazu. Wissen Sie, die beiden sind nämlich in Kontakt mit dem Buddha, mit Abba und der Grünen Tara, also dem Mitternachtsstern.”

Sita!” Das war die mahnende Stimme Rajs.

Doch Sita wollte sich die so lange vermisste Gelegenheit, mit jemandem zu reden, nicht nehmen lassen: „Wisst ihr, meine Söhne, ihr habt doch gewiss noch Wichtiges zu erledigen, ich unterhalte mich inzwischen mit dem netten Mönch.”

Der nickte, er wollte unbedingt mehr über diese merkwürdigen Wunder erfahren, die hier vor sich gingen.

Gut”, sagte Raj, „Ditthimitta, du findest den Weg allein raus? Wenn der große Gong schlägt, kommst du unverzüglich in den Versammlungsraum, da beginnt dann unsere heutige Studien­gruppe.

Ditthimitta blieb noch ungefähr eine Stunde bei Sita, dann entschuldigte er sich, weil ihm der Kopf schwirrte, er wollte sich unbedingt noch etwas vor der Gruppensitzung erholen. Daher verließ er das Haus und setzte sich mit verschränkten Beinen und geschlossenen Augen vors Haus, damit ein jeder glauben musste, er würde meditieren. In Wirklichkeit versuchte er seine Gedanken zu sortieren, was ihm allerdings nicht wirklich gut gelang.

Irgendwann ertönt der Gong. Ditthimitta stand auf. Endlich ging es zum Dharma-Studium, er hatte die Absicht, einiges klarzustellen, denn hier sprach man zwar von Dharma-Studium aber es lief doch so vieles anders, als der Buddha das gelehrt hatte. Zum Glück war dies eine Männergruppe, und er gedachte daran zu erinnern, dass es doch wohl immer noch die Männer sind, die die schwer verständlichen Lehren des Buddha besser verstehen konnten!

Er betrat den Versammlungsraum, der doch sehr viel anders war als bei ihnen im Kloster. Dort nämlich thronte der Abt auf einem Sessel, während die Mönche auf dem Boden saßen und die Novizen ganz hinten. Eigentlich hatte er erwartet, das Yuz ihm, dem Mönch, den Thron anbieten würde, aber hier gab es keinen Sessel, alles saßen auf dem Boden – und noch dazu im Kreis! Woran sollte man denn dann erkennen, wer hier das Sagen hat! Und dann waren da tatsächlich diese beiden Frauen anwesend, die sich anmaßten anderen Frauen den Dharma zu erklären.

Fein dass ihr alle da seid!”, sagte Yuz, „ich freue mich in unserer Männerstudiengruppe heute drei Gäste begrüßen zu dürfen, zwei davon kennt ihr, nämlich Amita und Yuva, der andere ist Ditthimitta, der sich euch gleich vorstellen wird. Da er euch auch nicht kennt, machen wir anschließend eine kleine Vorstellungsrunde, jeder sagt seinen Namen und zwei, drei Sätze, damit Ditthimitta euch so ein bischen einschätzen kann. Aber jetzt zuerst zu dir, Ditthimitta: wer bist du eigentlich?”

Ich bin Ditthimitta, und seit mehr als zehn Jahren ordiniert, gelte also als einer der Ehrwürdigen, geboren wurde ich als Brahmane...”

Ditthimitta sprach fast eine halbe Stunde, in denen er deutlich zu machen versuchte, wie wichtig er sei, bei welch berühmten Mönchen er schon „gehört” hatte, also bei einem Vortrag anwesend war. Außerdem unterstrich er bei jeder sich bietenden Gelegenheit die Wichtigkeit der Mönche und die Überlegenheit des Mannes gegenüber der Frau, mit letzterem Punkt hoffte er besonders bei den Männern punkten zu können, die – wie er glaubte – doch bestimmt darunter litten, dass Frauen hier völlig zu Unrecht praktisch gleichberechtigt waren. Sein letzte Satz war: „Das ist auch der Grund, warum sich der Buddha so sehr gegen die Ordination von Frauen gewehrt hat.”

Seltsamerweise gab es jetzt nicht, wie er das erwartet hatte einen deutlichen Applaus von den Männern, sondern eher betretenes Schweigen – aber vielleicht galt in dieser Sangha Applaus als unhöflich, das gibt es ja mitunter, sagte er sich.

Danke”, sagte Yuz kühl und wandte sich dann der Gruppe zu, „ich möche jetzt euch bitten, euch vorzustellen, aber bitte in nicht mehr als zwei oder drei Sätzen, wir wollen ja heute auch noch etwas anderes machen.”

Diesmal gab es beifällige Äußerungen. Tatsächlich stellten sich die anderen knapp vor.

Ich bin Jagan, Sitas Ehemann, ich wohne seit fünfzehn Jahren hier, von denen ich zehn unter Sitas Bessesenheit litt, und danke Amita und Yuz dafür, dass sie mich davon erlöst haben.”

Ich bin Raj, ich leite seid zwei Wochen den weltlichen Betrieb, zuvor litt ich unter der Situation hier, bis vor einem Jahr unsere Befreier erschienen: Yuz und Amita.”

Ich bin Sunay, der Sohn von Jagan und Sita, die ich jetzt pflege, und danke Amita und Yuz, dass sie Licht ins Dunkel brachten und mich auf den rechten Pfad führten.”

Ich bin Anup. Jagan hat mich hier vor zehn Jahren zum Vorarbeiter gemacht, die Verantwortung hat mir immer Freude gemacht, aber ich blühe erst auf, seitdem unser Befreierpaar da ist. Ich danke den beiden besonders, dass sie mir, einem einfachen Arbeiter, den Dharma zugänglich gemacht haben. Und ich freue mich, dass meine Tochter Yuva die Gelegenheit bekommen hat, genauso studieren zu können wie ich und dass sie inzwischen sogar eine Studiengruppe leitet, danke euch beiden.” Er stand auf und verbeugte sich tief vor Amita und Yuz. Das empfand Ditthimitta als ungehörig, schließlich war er der Mönch!

Ich bin Teja. Mein Vater leitet ein Handelsunternehmen in der Stadt und ist letztes Jahr hier dank dem heiligen Paar mit dem Dharma in Kontakt gekommen. Er hat überall so sehr davon geschwärmt, dass ich vor einem Vierteljahr mit vierzehn Freunden und vier Freundinnen hierhergezogen bin. Das war definitiv die beste Enscheidung meines Lebens!”

Ich bin Kalenian, ich gehöre zu den Freunden, die mit Teja hierhergekommen sind. Ich bin Musiker, und habe hier den Dharma gefunden und drei wunderbare Menschen: Yuz, Amita und meine geliebte Yuva!”

Ich bin Dhiren, und gehöre auch zu den Freunden Tejas. Ich bin zusammen mit meiner Frau Naina hier hergekommen und baue gerade unter Yuz Anleitung ein Haus für uns.”

Die Vorstellungsrunde war beendet und Yuz eröffnete das Gespräch: „Vielleicht habt ihr ja Anmerkungen oder Fragen zu Ditthimittas Vortrag.

Yuva meldete sich als erstes: „Ditthimitta, du hast gesagt, der Buddha habe sich, ich zitiere dich, `sehr gegen die Ordination von Frauen gewehrt´. Ich frage mich: wie kommst du darauf? Meines Wissens hat der Buddha die Ordination von Frauen eingeführt, also etwas, das bei den meisten anderen spirituellen Gemeinschaften weder damals noch heute üblich ist. Meines Wissens war der Buddha das alleinige Ordensoberhaupt. Er hat die Ordensregeln selbst festgelegt und damit auch die Regel, dass Frauen ordiniert werden dürfen. Er hatte sogar so großes Vertrauen in die ordinierten Frauen, dass der Frauenorden selbst entscheiden konnte, welche Frauen ordiniert werden, etwas, das es meines Wissens in keiner anderen vergleichbaren Organisation gab. Also: wie kommst du zu der irrigen Ansicht3, der Buddha habe sich gegen die Ordination von Frauen gewehrt.” Das war ausgesprochen scharfzüngig.

Ditthimitta war vor Wut rot angelaufen: Dieses junge Weib griff ihn an, den altgedienten Mönch! Aber er war bereit ihr – und allen anderen Anwesenden – unmissverständlich klarzumachen, dass Frauen Männern geistig unterlegen sind, und dass das selbstverständlich auch der Buddha wusste. Er sagte: „Das steht alles im Pāḷi-Kanon und im Kloster hören wir diesen und folgen ihm. Im Pāḷi-Kanon steht, dass Mahāpajāpatī Gotami, die frühere Amme des späteren Buddha, zusammen mit mehreren anderen Frauen den Buddha aufgesucht hatte und dass sie ihn um Ordination baten. Das hat der aber ganz klar und deutlich abgelehnt. Mehrfach! Und er hat sich in den Wald zurückgezogen, aber sein etwas einfältiger Diener Ānanda ging ihm nach und hat solange gebittet und bebettelt, bis der Buddha schließlich nachgab. Er hat aber gleich gesagt, dass dadurch der Dharma nur halb so lang in der Welt bliebe, wie wenn es nur Mönche gäbe. Und aus diesem Grunde sage ich völlig zu Recht und in Übereinstimmung mit dem Pāḷi-Kanon, dass sich der Buddha so sehr gegen die Ordination von Frauen gewehrt hat.”

Alle sahen jetzt zu Yuz und Amita. Sollte das wirklich so sein?

Amita antwortete: „Ich kenne diese Geschichte aus dem Pāḷi-Kanon auch, nur etwas anders. Bei einem seiner Besuche, es muss etwa acht Jahre nach Buddhas Erwachen gewesen sein, hatte der Buddha wieder Kapilavatthu, die Stadt, in der er aufgewachsen war, besucht. Immer, wenn er dort war, sind ihm hinterher aufrichtige junge Männer in die Hauslosigkeit gefolgt, so dass fast alle spirituell interessierte Männer weg waren. Übrig waren vor allem Frauen und bornierte Männer, die sich wie Paschas verhielten. Daraufhin hat Mahāpajāpatī Gotami, die keineswegs nur die Amme des späteren Buddha war, sondern die ihn aufgezogen hatte, nachdem seine Mutter unmittelbar nach seiner Geburt gestorben war, mit den weisen, spirituell interessierten Frauen gesprochen, und diese sind dem Buddha gefolgt, haben ihn angesprochen und er hat sie ordiniert. Ein Ānanda kommt in der ganzen Geschichte nicht vor.”

Es stand also Aussage gegen Aussage, was Anup auf den Punkt brachte: „Es scheint verschiedene Fassungen der Geschichte zu geben, diejenige die Ditthimitta gehört hat, und ich glaube ihm, dass er sie so gehört hat, und diejenige die Amita gehört hat und Amita ist die glaubwürdigste Person, die man sich vorstellen kann. Möglicherweise wird die Geschichte generell in den Mönchsklöstern anders erzählt als in den Nonnenklöstern, sodass wir vermutlich gar nicht herausfinden können, was die richtige Variante ist. Yuz, du warst doch auch Mönch, welche Geschichte hast du denn gehört?”

Das, was du sagst scheint völlig richtig zu sein, Anup, und ich glaube auch sowohl Amita als auch Ditthimitta, dass sie die Geschichte so gehört haben...

Und wie hast du sie gehört?” fragte nun Ditthimitta.

Ich habe sie nicht nur gehört, ich habe sie auch gelesen und ich habe sie sogar abgeschrieben. Im Kloster Weiße Wolke hatten wir eines der wenigen Exemplare des Pāḷi-Kanons, der erstmals vor wenigen Jahrzehnten in Sri Lanka aufgeschrieben wurde, und ich habe im Auftrag meines Abtes eine Abschrift erstellt. Die Geschichte, die ich abgeschrieben habe, ist diejenige, die Ditthimitta vorgertragen hat.”

Aha!” rief dieser aus.

In Yuvas Gesicht machte sich Enttäuschung breit. Doch Yuz fuhr fort: „Das ist allerdings noch lange kein Beweis, denn der Pāḷi-Kanon ist in Sri Lanka von Mönchen aufgeschrieben worden. Wenn es so sein sollte, dass in Mönchsköstern eine andere Version kursierte als in Frauenklöstern, dann stützt das nur diese Annahme, sagt aber nichts über den Wahrheitsgehalt der einen oder anderen Vairante aus.”

Aber dann werden wir nie die Wahrheit erfahren, das scheint ein unlösbares Problem zu sein!” wandte jetzt Kalenian ein.

Yuz schüttelte den Kopf: „Nicht so voreilig, Kalenian. Wir können ja noch einen Versuch machen. Ditthimitta, du scheinst dich doch recht gut im Pāḷi-Kanon auszukennen, hast ihn sogar teilweise wörtlich rezitiert. Kennst du die Geschichte, wie Ānanda zum Sekretär des Buddha berufen wurde?

Ja sicher, ich bin ein eifriger Hörer des Pāḷi-Kanon gewesen und habe mir alles gemerkt.”

Dann erzähle uns doch bitte den Anfang!”

Gerne. Der Buddha berief eine Mönchsversammlung ein, denn er hatte zuvor verschiedene Sekretäre gehabt, die alle nicht zu seiner Zufriedenheit arbeiteten, er machte den Mönchen klar, wie wichtig für ihn ein verlässlicher Sekretär sei, er sei schließlich nicht mehr der Jüngste, denn er sei jetzt 55 Jahre alt...”

Yuz unterbrach ihn: „Bist du sicher: 55 Jahre?”

Völlig sicher, 55 Jahre, das hat der Buddha damals selbst gesagt, glaubt ihr mir etwa nicht?”

Doch Ditthimitta, ich glaube dir, dass er damals 55 Jahre alt war, und ich kann mich auch genau daran erinnern, da steht wirklich im Pāḷi-Kanon, dass er 55 Jahre alt war. Und Amita, wie viele Jahre nach Buddhas Erwachen hast du gesagt, war es als Mahāpajāpatī Gotami ordiniert wurde.

Etwa acht Jahre, habe ich gesagt.”

Gut, dann rechen wir einmal aus: der spätere Buddha war 28 Jahre als er in die Hauslosigkeit ging. Es dauerte acht Jahre bis er sein Erwachen hatte, da war er also 36, nochmal acht Jahre später fand die Geschichte mit der Frauenordination statt, da war er also 44. Als er 55 Jahre alt war, wurde Ānanda zu seinem Sekretär, und zog von da an mit dem Buddha herum. Also kann die Geschichte nicht stimmen, dass Buddha von seinem Sekretär überredet wurde, die Frauen zu ordinieren, denn Ānanda war noch nicht sein Sekretär, als der Buddha Mitte 40 war.”

Jetzt gab es ein allgemein betretenes Schweigen. Schließlich meldete sich Sunay: „Auch auf die Gefahr hin, jetzt als Spielverderber dazu stehen: Nur Amita hat gesagt, dass sich diese Geschichte acht Jahre nach Buddhas Ordination abspielte, in Ditthimittas Variante fehlte sie. Es könnte doch auch so gewesen sein, dass in der Frauenvariante extra diese acht Jahre eingefügt wurden, damit die Männervariante als unglaubwürdig gilt.”

Jetzt war die Verunsicherung groß. Es schien ein unlösbares Problem zu sein.

Vielleicht kann ich die Sache entwirren”, sagte Yuz mit einem Lächeln, „mir kam die ganze Geschichte, wie sie im Pāḷi-Kanon steht, und wie sie Ditthimitta völlig richtig nacherzählt hat, schon immer merkwürdig vor. Buddha war ein Erwachter, ein Vollkommener. Wieso sollte sich ein Buddha von einem unerleuchteten Menschen überreden oder überzeugen lassen? Und auch noch in einer so wichtigen Frage, die angeblich dazu führen sollte, das seine Lehre nur halb so lange hält. Das macht doch keinen Sinn! Ich hielt die Ānanda-Episode in dieser Geschichte schon immer für unglaubwürdig. Und ich habe meinen Zweifel auch im Kloster Weiße Wolke angesprochen, einem Männer­kloster! Mein damaliger Abt, Aryamitta, hat darauhin einen Schriftgelehrten, den Mönch Viryakirti, beauftragt, anhand der Verweise, wer wann ordiniert wurde, die Geschichten des Pāḷi-Kanon zeitlich zu ordnen, was eine umfangreiche Arbeit war. Er kam zu dem Ergebnis, dass die Frauenordination vermutlich acht Jahre, spätestens aber zehn Jahre nach Buddhas Erleuchtung stattgefunden hat. Das bewies damals, dass mein Verdacht die Ānanda-Episode sei nachträglich aufgenommen worden, stimmt und es beweist heute, dass die von Amita vorgetregene Version die richtige ist.”4

Niemand widersprach, aber Jagan war dennoch unzufrieden: „Wieso wurde denn dann diese Geschichte überhaupt gefälscht?”

Amita und Yuz sahen sich an. „Sag du es!” forderte Amita ihren Partner auf.

Ganz einfach. Da sitzen in Männerklöstern Mönche zusammen, Männer, die alle in einer patriarchalischen Gesellschaft aufgewachsen sind. Diese glauben, Frauen wären von Natur aus dümmer. Und diese verblendeten Mönche fragen sich: Wie kam der Buddha eigentlich auf so eine blödsinnige Idee, Frauen zu ordinieren? Das kann doch eigentlich nur einem Idioten einfallen und keinem Buddha – so dachten sie in ihrer Verblendung! Und wer war der einzige Unerleuchtete, der jemals im Führungskreis von Buddhas Orden war? Eben: Ānanda! Also musste wohl Ānanda an allem schuld sein. Und völlig davon überzeugt, ihre chauvinistischen Überlegungen müssten der Wahrheit entsprechen, dichteten sie diese Geschichte um.”

Jetzt kam Yuz wieder in Fahrt, so wie damals, als er in Galiläa predigte: „Ich aber sage euch, Männer und Frauen! Glaubt niemals, wenn irgendwer sagt: `Es steht aber geschrieben!´ So werden Religionen zu Dogmen! Benutzt euren klaren Verstand – und sprecht mit anderen! Nicht nur mit denen, die eurer Meinung sind, hört auch den anderen zu! Und daher ist es auch so wichtig, dass auch in spirituellen Fragen Männer und Frauen miteinander im Gespräch bleiben. Hört einander offenen Herzens zu! Praktiziert Metta! Das ist unser Anliegen hier in der Metta-Sangha.”

Nun applaudierten alle! Und selbst Ditthimitta nickte anerkennend.

Am nächsten Morgen verabschiedete sich Ditthimitta von Yuz und Amita mit den Worten: „Vielen Dank! Ich habe hier eine Menge gelernt und werde noch einige Zeit brauchen, bis ich das alles verdaut habe. Vielleicht komme ich eines Tages wieder!

Dann nahm er seine Almosenschale unter den Arm und ging.


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Fußnoten

1 Ditthamitta heißt „Freund der Ansichten“. Der Buddha aber hatte immer vor Ansichten gewarnt, da jede Ansicht subjektiv sei. Es schien so, dass wer immer ihn ordiniert habe, ausdrücken wollte, dass er nicht sehr weit in seiner Dharmapraxis vorgedrungen sei.

2 Devamitta heißt „Freund der Götter“ oder auch „Freund Gottes“.

3 Yuva betonte das Wort Ansicht – in Prakrit, der Sprache, in der das Gespräch geführt wurde, heißt es wie wie in Pāḷi „ditthi“ – also ein Wort, das im Ordensnamen Ditthimitta enthalten ist. Der Buddha hatte immer vor Ansichten (ditthi) gewarnt, er hatte sogar gesagt jede Ansicht sei eine „falsche Ansicht (micchaditthi)“! Man könnte also auch sagen, dass der Buddha vor „Freunden falscher Ansicht“ („Ditthimitta“) gewarnt habe.

4 Tatsächlich findet sich im Pāḷi-Kanon die von Ditthimitta vorgetragene Version. Die moderne Textexegese hat inzwischen nachgewiesen, dass es tatsächlich so gewesen sein muss, wie es hier von Yuz dargestellt wird.


Erläuterungen

Abba Wenn Jesus Gott anbetete, verwendete er dieses aramäische Wort für „Vater. Er nahm nicht die Anrede JHWH, die im Judentum verwendet wurde. Während JHWH den alttestamen­tarischen strengen Gott, der ursprünglich der Kriegsgott der Juden war, bezeichnet, interpretiert Jesus das Göttliche neu und sieht darin eine milde, verständnisvolle und unterstützende Vaterfigur.

Ānanda – Freund, Gefährte, Neffe und Sekretär des Buddha

Arahat (Arahant) – Heiliger, vollkommen Erleuchteter

Ashram – bezeichnet ursprünglich die Einsiedelei eines indischen Asketen, heute jedoch ein klosterähnliches Meditationszentrum einer hinduistisch beeinflussten Sekte an dem Anhänger einer spirituellen Lehre leben und sich unterweisen lassen. Den spirituellen Leiter und Führer eines Ashrams nennt man Guru.

Bodh-Gaya – Stelle, an der der Buddha seine Erleuchtung erreichte. Das Wort ist zusammengesetzt aus bodh- (Erwachen, Erleuchtung) und Gaya (Name der nahegelegenen Stadt).

Brahmanen – eine der Kasten im Hinduismus, nur Brahmanen dürfen religiöse Rituale vollziehe

Dharma – hier gewöhnlich die Bezeichnung für die Lehren des Buddha. Das Wort bedeutet Wahrheit, (Natur-)Gesetz, Wissenschaft, Lehre.

Dharmamitta – in diesem Buch die Bezeichnung für eine Person der Metta-Sangha, die eine Zeremonie der Zufluchtnahme           gemacht hat

Erwachen – andere spirituelle Traditionen sprechen von Erleuchtung, im Buddhismus verwenden wir besser den Ausdruck „Erwachen“ für das, was der Buddha erreicht hat. Während unter „Erleuchtung“ jeder etwas anderes verstehen kann, beschreibt „Erwachen“ das spezifisch Buddhistische, die Tatsache, dass die erwachte Person die drei Wesensmerkmale Unvollkommenheit, Vergänglichkeit und Egolosigkeit völlig verwirklicht hat. Es ist für die erwachte Person so, als sei alles, was vorher war, so absurd und unlogisch wie ein Traum, daher der Ausdruck „Erwachen“.

Grüne Tārā – Bodhisattva, die für grenzenloses Mitgefühl zu allen Wesen steht. Sie wird immer sitzend dargestellt, im Begriff aufzustehen, um den leidenden Wesen aktiv zu helfen, ihre rechte Hand zeigt die Geste der Wunschgewährung. Sie hat grüne Haut, denn sie gehört zu einer Gruppe von grünen Wesen, genannt die Karmafamilie. Neben der Grünen Tārā gibt es noch 20 weitere Tārās, die Grüne Tārā ist aber die bekannteste davon. Ihr Bild ziert unseren Meditationsraum in Gelnhausen.

Hauslosigkeit – Lebensweise von (nicht nur) buddhistischen Mönchen und Nonnen, die als Obdachlose leben und keine Familie gründen; es wird bewusst in das besitzlose Leben der Sammler gegangen wie vor der Sesshaftwerdung des Menschen und der ursprünglichen Inbesitznahme (Privatisierung) von Grund und Boden.

Kapilavatthu – Hauptstadt von Shakya, hier lebte der spätere Buddha in seiner Jugend, die Stadt wurde Jahrhunderte später von einem Erdbeben zerstört und unweit der alten Siedlung neu errichtet. K. liegt an der Grenze zwischen Nepal und Indien.

Kaste – die indische Gesellschaft wird gemäß der hinduistischen Religion in streng voneinander abgetrennte Kasten eingeteilt, die wichtigsten Kasten sind die Brahmanen (Sanskrit: ब्राह्मण, brāhmaṇa = Priester), kṣatriya (Sanskrit: क्षत्रिय, Adel, Krieger, Beamte) und die vaiśya (Sanskrit: वैश्य = Kaufleute, Händler, Großgrundbesitzer) und śūdras (Sanskrit शूद्र, = Arbeiterklasse incl. Handwerker), darunter stehen die Dalits (Kastenlose, Unberührbare). Auf diese Art schuf der Hinduismus eine Apartheidsgesellschaft mit einer arischen Mittel- und Oberschicht, und einer indigenen Bevölkerung, die man nicht einmal berühren durfte; so sollte eine Rassenvermischung verhindern werden.

Katriya (Sanskrit: क्षत्रिय) höchste indische Kaste, umfasst Adel, Krieger, Beamte

Mahāpajāpatī Gotami – Nebenfrau des Königs Śuddhodana, Tante und Amme des späteren Buddha, die Schwester der leibliche Mutter des Buddha

Mettā-Sangha – Bezeichnung für die von Yuz und Amita gestiftete Spirituelle Gemeinschaft

Mitgefühl – (Karunā) ist das Gefühl, wenn Mettā auf ein leidendes Wesen trifft. Es ist etymologisch verwandt mit caritas (lat.: Barmherzigkeit) und mit to care (engl.: sich kümmern um).

PāḷiPāḷi ist eine Schriftsprache, in der in erster Linie buddhistische Texte niedergeschrieben sind, sie wurde vom 6. Jhd. v. u. Z. bis zum 10 Jhd. u. Z. verwendet (mittelindische Zeit), ältere Texte sind altindisch, die zuständige Schriftsprache ist Sanskrit. Es wird angenommen, dass Pāḷi aus dem Dialekt Magadhi abgeleitet wurde, dem Dialekt, der in Maghada, gesprochen wurde, einem der nordindischen Staaten, in dem sich der Buddha oft aufhielt. Das Wort Pāḷi bedeutet „Textzeile“, woraus schon deutlich wird, dass es sich um eine typische Schrift­sprache handelt.

Pāḷi-Kanon – älteste Schriftensammlung des Buddhismus, hier sind u.a. die Lehrreden des Buddha enthalten.

Sanghaspirituelle Gemeinschaft, meist für die Gemeinschaft der Schülerinnen und Schüler des Buddha. (Zur Sangha in engeren Sinn gehören nur Mönche und Nonnen, zur Sangha im engsten Sinn nur Erleuchtete.)

Uposatha – heißt wörtlich Fastentag. Alle sieben Tage ist Fastentag: bei Neumond, bei Vollond und bei Halbmond (es galt der Mondkalender). An diesen Tagen waren die Laienanhänger der Jains dazu aufgerufen zu leben wie die Mönche an den übrigen Tagen, die Mönche aber fasteten. Die Regeln bei den Buddhisten sind anders, dort sollen zwar die Laien auch enthaltsam leben und auf alle Unterhaltung (Musik, Gesang, Theater) verzichten. Die Mönche machen an diesem Tag das “Eingeständnis von Fehlern”, eine Art Beichte.


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