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Gunkel: Die Jesus-Trilogie - Band 1: Jesus - die erste Indienreise -
Kapitel 7
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7 - In Antioch1
Als Jesus ein Jahr zuvor Sekundus aufgesucht hatte, war er zunächst etwas verwirrt. Damals hatte er von Sekundus gehört, wenn er zu den Essenern nach En Gedi wollte, müsse er zunächst nach Antiochia: „Bist du sicher, Sekundus, Antioch liegt doch in Syrien?“
Doch Sekundus konnte das Missverständnis ausräumen: „Antiochia heißt ein Stadtteil Jerusalems, den Namen hat dieser Stadtteil vor 200 Jahren als Referenz an die Weltstadt und das gleichnamige Herrschergeschlecht im Seleukidenreich erhalten, als die Seleukiden unter König Antiochos IV. Epiphanes die Griechen aus Judäa vertrieben hatte und den Sabbat wieder zuließ, dessen Einhaltung die griechischen Herrscher zuvor bei Todesstrafe verboten hatten. Antioch aber ist die Hauptstadt der Provinz Syrien, allerdings liegt sie ganz am anderen Ende Syriens gegen Abend2 in der Mitte des Meeres, das die Römer Mare Nostrum3 nennen.“
Jetzt also war Jesus auf dem Weg dorthin. Er war morgens zeitig losgegangen, obwohl seine Mutter weinte, ihn nach zu kurzer Zeit wieder zu verlieren, Josef war ebenfalls sichtlich enttäuscht, dass sein früherer Lehrbub sich schon wieder abmachte.
Der junge Mann ging den ganzen Tag schnurstracks und erreichte am Abend das südliche Ende des Sees Genezareth. Er schlief im Freien unter einer Decke, die ihm seine Mutter mitgegeben hatte, und die er an kalten Abenden oder morgens als Umhang zu benutzen gedachte. Am nächsten Tag ging er den ganzen Tag am See Genezareth entlang, am späten Nachmittag erfrischte er sich mit einem Bade im See, dann füllte er Wasser in einen Schlauch4, den er sich umhängte, denn die nächsten Tage würde er nur selten an Wasserstellen vorbeikommen. Wie auch schon während seiner früheren Wanderungen führte er in Dörfern Gespräche mit Menschen, die er traf, und die neugierig waren, woher er kam und wohin er wollte. Dabei bemerkte er, wie sich die Aussprache des Aramäischen, das er sprach, allmählich veränderte. Es gab unterschiedliche Dialekte, aber wenn man zu Fuß unterwegs war und überall mit den Menschen sprach, konnte man die allmähliche Veränderung der Sprache gut in den Griff bekommen, allerdings bedeuteten diese Pausen zu Kommunikation mit den Menschen, dass es langsamer voranging als ohne diese. Andererseits führten die Gespräche auch mitunter dazu, dass er von den Menschen eingeladen wurde, ihr bescheidenes Mahl zu teilen. Auf diese Art brauchte er zehn Tage für die Strecke von Nazareth bis Damaskus, seinem Zwischenziel, wo er sich nach dem weiteren Weg Richtung Antioch erkundigte.
In Damaskus hielt er sich nicht länger auf. Je größer eine Stadt, so hatte er bemerkt, desto geschäftiger die Menschen. In den Städten suchten die Leute weniger das Gespräch mit Fremden, da man hier ständig unbekannte Menschen traf. In kleineren Orten waren die Menschen zugänglicher. Das Wandern zwischen Damaskus und Antioch war ebenso entspannt wie zuvor. Jesus unterhielt sich auch hier mit den Menschen in den Dörfern und freute sich, auf diese Weise Umgang mit den Änderung der Dialekte des Aramäischen zu bekommen. In seiner Heimat wurde neben dem Aramäischen natürlich auch hebräisch gesprochen, jetzt freute er sich jedoch, dass sie zuhause meist aramäisch gesprochen hatten, sodass es bislang nirgendwo Sprachprobleme gab. Die griechische Sprache und das lateinische beherrschte er nur sehr unvollständig, obwohl dies die Hochsprachen im Römischen Reich waren. (Das Griechische natürlich nur im Ostteil des Reiches.)
Nach drei Wochen der Wanderung seit Damaskus erreichte er die Weltstadt Antioch, Hauptstadt der Provinz Syrien und neben Rom, Athen, Alexandria und Karthago eine der Metropolen; in Antioch lebten damals etwa 500.000 Menschen.5
Jesus suchte zunächst eine Synagoge auf. Er stellte sich dem Rabbiner vor, erzählte, dass er aus Nazareth sei, einen Rabbiner aus Jerusalem als Freund habe und eine Zeitlang bei den Essenern gelebt habe. Es sei hier auf der Suche, nach Leuten, die einer Lehre eines Erwachten aus dem Morgenland folgen würden, es soll einen Botschafter von ihm hier gegeben haben. Leider erntete er nur Unverständnis bei dem Rabbiner und musste unverrichteter Dinge wieder gehen.
Als nächstes versuchte er sein Glück bei einem römischen Tempel, auch dort wusste man von alledem nichts. Jesus kam sich ziemlich verloren in der großen Stadt vor. Nachts schlief er, wie viele andere Menschen auch auf einem der größeren Plätze, möglichst dicht an einem großen Gebäude, das den ärgsten Wind abhielt. Auch die Nahrungssuche war hier viel schwieriger als auf den Land. Man fand keine wild wachsenden Früchte und keine Familien, die sich etwas von Fremden erzählen lassen wollten und dafür etwa zu essen boten. Mehrfach nahm er kleine Arbeiten an, um statt eines Lohnes dafür eine Mahlzeit zu erhalten.
Bei keiner der religiösen Kultstätten hatte er irgend etwas herausfinden können und er bereute schon, dass er hierher gegangen war und nicht zu den Therapeuten nach Ägypten. Doch eines Abends, er war wieder zu seinem Nachtlager am großen Stadttempel beim Marktplatz gegangen und hatte sich gerade zur Nachtruhe hingelegt, da kam ein alter Mann und berührte ihn mit einem Stock an der Seite. Jesus öffnete die Augen. „Bist du der Jüngling, der nach dem Erwachten aus dem Morgenland gefragt hat?“
Jesus war sofort hellwach: „Ja, der bin ich, weißt du etwas?
„Komm mit“, war die Antwort. Sie gingen durch einige Straßen, unterwegs sagt der Alte: „Ich habe schon seit ein paar Tagen nach dir gesucht. Man erzählt sich, du seist bei den Essenern gewesen seist und würdest jetzt nach der Botschaft des Königs aus dem Morgenland suchen, in der die Lehre des Erwachten verkündet wird, aber dafür bist du gut 100 Jahre zu spät, mein Freund. Auch ich habe diese Zeit nicht mehr miterlebt. Allerdings war mein Vater als junger Mann oft dorthin gegangen und hat die Lehre des Erwachten, sie nannten ihn den Buddha, studiert. Er hat zeitlebens danach gelebt und einiges habe ich auch davon mitbekommen, allerdings hielt meine Mutter gar nichts davon, sie hat den griechischen Göttern geopfert.“
Inzwischen waren sie beim Haus des alten Mannes angekommen. Er war wohl noch immer der Besitzer des Hauses, auch wenn sein ältester Sohn jetzt sein Geschäft, einen Obst- und Gemüseladen, übernommen hatte. Über dem Laden lebte die Familie, der Alte, er hieß Dimitros, sagte: „Hier in der Küche auf der Bank da links, schlafe ich, die andere Bank kannst du heute Nacht haben. Morgen sehen wir weiter. Du hast sicher Hunger?“ Jesus, der den ganzen Tag noch nichts gegessen hatte, nickte. Dimitros holte einen Laib Brot, etwas Schafskäse und Obst, das nicht ganz frisch aussah, vermutlich das Übrige aus dem Laden, was sich nicht mehr gut verkaufen ließ. Jesus aber war begeistert: „So ein tolles Abendmahl habe ich seit zehn Wochen nicht mehr gehabt, als ich mein Elternhaus in Nazareth verließ!“
Dimitros sah zu, wie Jesus, sich sättigte. Dann fragte er: „Warum suchst du eigentlich nach dieser Lehre?“
Jesus erzählte ihm von seiner Disputation im Tempel von Jerusalem mit den Rabbinern: „Sie sind so unwahrscheinlich schriftgläubig, und das obwohl unterschiedliche Schriften Gegenteiliges sagen. Ich war bei den Essenern, bei denen hat mir gut gefallen, dass sie nicht so selbstsüchtig sind, sie teilen den Besitz und gehen davon aus, dass sie sowieso nur Besitzer der Sachen sind, die ihnen JHWH geliehen hat. Ihre Heilkunst ist der der Nicht-Essener überlegen. Aber manche Dinge sind auch sehr merkwürdig und auch sie berufen sich wieder auf die Schrift, allerdings in der Auslegung eines Mannes, den sie Lehrer der Gerechtigkeit nennen. Überall diese Schriftgläubigkeit und diese Botschaft von einem, dem man alles glauben muss, selbst wenn es meines Erachtens der Logik widerspricht. Da gibt es diesen Gott JHWH, den Schöpfer des Himmels und der Erde. Er soll die Welt geschaffen haben und festgestellt haben: und es war gut so6. Und dann passt ihm doch alles wieder nicht und er schickt die Sintflut, weil die Menschen offensichtlich doch nicht so gut waren, wie er dachte. Und bis auf acht Menschen hat er alle vernichtet. Sollen die anderen denn wirklich alle so von Grund auf böse gewesen sein, dass man sie mit dem Tode bestrafen muss, selbst die Säuglinge? Und alle ersoffenen Tiere waren auch so böse? Aber das darf man alles nicht ansprechen, immer ist die Antwort: Es steht aber geschrieben!“
Dimitros lächelte, schloss die Augen und – wie in Trance – sagte er: „Recht hast du, dass du da im Unklaren bist und Zweifel hegst. In einer Sache, bei der man wirklich im Unklaren sein kann, ist dir Zweifel aufgestiegen. Geh, nicht nach Hörensagen, nicht nach Überlieferungen, nicht nach Tagesmeinungen, nicht nach der Autorität heiliger Schriften, nicht nach bloßen Vernunftsgründen und logischen Schlüssen, nicht nach erdachten Theorien und bevorzugten Meinungen, nicht nach dem Eindruck persönlicher Vorzüge, nicht nach der Autorität eines Meisters! Wenn du aber selbst erkennst: Diese Dinge sind unheilsam, sind verwerflich, werden von Verständigen getadelt, und, wenn ausgeführt und unternommen, führen sie zu Unheil und Leiden‘, dann mögest du sie aufgeben.7“
Jesus sah Dimitros mit verklärten Worten an: „Das ist großartig! Nie zuvor hörte ich etwas so Treffliches! Hast du das etwa jetzt aus dem Stegreif so formuliert?“
„Nein, mein Lieber, niemals könnte ich das. So wie du eben geredet hast, ist mir dieser Text wieder in den Kopf gekommen. Mein Vater hat ihn mehrfach so gesagt, dass er wohl tief in meinem Kopf verwurzelt sind. Mein Vater hat gesagt, da seien die Worte des Erwachten, dieses Buddha.“
Jesus war ganz begeistert und er wollte noch mehr wissen von Dimitros´ Vater und von diesem Erwachten. Sie saßen an diesem Abend nach lange beim Schein einer Öllampe zusammen. Und wenn es nur dies war: die Reise nach Antioch hatte sich gelohnt. Kurz bevor sie zu Bett gingen fragte Jesus noch: „Und die Gebote? Kennst du auch die Gebote dieses Erwachten? Wie soll man sich verhalten?“
Dimitros schüttelte den Kopf: „Nein, mein Lieber, Gebote gibt es keine, der Erwachte ist kein Gebieter, der dir irgendetwas sagt, was du dann unbedingt machen musst. Der Erhabene hat Verhaltensregeln vorgeschlagen und empfohlen sich danach zu richten. Es sollen Anregungen zu eigenverantwortlichem Handeln sein.“
„Kannst du mir diese Regeln nennen, Dimitros.“
„Ich glaube nicht, dass ich sie wörtlich wiederholen kann. Es sind ja auch keine Gebote, sondern Anregungen zum ethischen Verhalten. Aber ich kann sie dir sinngemäß wiedergeben. Der Erwachte hat, soweit ich mich erinnern kann, seinen gewöhnlichen Anhängerinnen und Anhängern, also nicht demjenigen die seinem Orden beigetreten sind, sondern nur den Laien, fünf Regeln gegeben:
Ich nehme mir vor kein fühlendes Wesen zu verletzten oder gar zu töten, stattdessen möchte ich allen fühlenden Wesen mit liebevoller Güte begegnen.
Ich nehme mir vor, nichts Nichtgegebenes zu nehmen, statt dessen möchte ich großzügig gegenüber jedermann sein.
Ich nehme mir vor, in sinnlichen Dingen nicht falsch zu handeln, statt dessen läutere ich meinen Körper mit Stille, Schlichtheit und Genügsamkeit.
Ich nehme mir vor aufzuhören, die Unwahrheit zu sprechen, stattdessen will ich nur Ehrliches, Freundliches, Hilfreiches und Wahrhaftiges sagen.
Ich nehme mir vor, keine bewusstseinstrübenden Mittel zu nehmen, stattdessen will ich mit hellwacher Achtsamkeit allem und allen begegnen.
So ungefähr lauten die fünf ethischen Verhaltensregeln. Ich bin zwar darin kein Experte, wie es mein Vater war, aber ich habe mich mein Leben lang darum bemüht, die Handlungsempfeh-lungen des Erwachten umzusetzen. Vor drei Tagen habe ich von dir gehört, Jesus, und da wusste ich: die Handlungsempfehlung, dass man großzügig gegenüber jedermann sein soll, bedeutet auch, dass ich dich suchen und dir das weitergeben soll, wovon ich weiß.“
Jesus stand auf, legte seine rechte Hand aufs Herz und erklärte feierlich: „Ich, Jesus von Nazareth, erkläre hiermit, dass ich in dieses Königreich im Morgenland ziehen und die Anhänger dieses Erwachten suchen werde. Ich werde in jenem fernen Land all das Erlernen, woran es in Judäa fehlt. Und ich werde zurückkehren nach Judäa, um auch meinem Volk zu helfen, gütig, großzügig, genügsam, wahrhaftig und achtsam zu werden.“
Dimitros hatte Tränen in den Augen: „Wäre ich noch zwanzig Jahre jünger, so würde ich mich erbieten, mit dir zu kommen, doch das geht nicht, ich bin zu alt. Manchmal habe ich mich gefragt, wozu mein Leben eigentlich gut war. Doch heute weiß ich es: dir einen knappen Einblick in die Lehre des Erwachten gegeben zu haben, war das Entscheidende in meinem Leben, es hat diesem Leben einen Sinn gegeben. Es wird nicht mehr lange dauern, dann sterbe ich. Aber ich habe die Gewissheit, dass dieses Leben nützlich war. Gott segne dich, Jesus!“
In dieser Nacht konnte Jesus kaum Schlaf finden, er war so aufgeregt! Endlich hatte er etwas gefunden! Ach, was heißt hier etwas: Er hatte den entscheidenden Hinweis gefunden! Dimitros hatte gesagt, dass sein Leben Sinn bekommen habe, Jesus den entscheidenden Hinweis auf den Erwachten gegeben zu haben, aber auch sein eigens Leben, das Leben Jesu, bekam damit Sinn. Er wollte die Lehre des Erwachten finden und nach Judäa bringen. Allerdings gab es ein Problem. Er wusste nur, dass er in ein „Königreich im Morgenland“ gehen sollte, aber in welches? Zumindest die Himmelsrichtung stand fest. Wer weiß, was er in diesem sagenhaften Reich noch alles entdecken würde? Dimitros hatte ihn u.a. darauf hingewiesen, dass das gesamte Wissen Pythagoras´ aus dem gleichen Land stammt, wie der Erwachte. Und Pythagoras´ war für Jesus kein Unbekannter, als er bei seinem Vater das Bauhandwerk lernte, wurde vielfach auf die Lehren, des großen griechischen Physikers zurückgegriffen.8 9
Am nächsten Morgen frühstückte Jesus mit der ganzen Familie, dann half er Dimitros´ Sohn, Obst und Gemüse von außerhalb der Stadt zu holen und in den Laden zu bringen. Am Abend unterhielt sich Jesus wieder mit Dimitros. Er berichtete, dass er sich Sorgen macht, die richtige Richtung einzuschlagen, er wusste schließlich nicht, um welches Reich es sich handelte.
Dimitros erklärte ihm: „Ich weiß, dass es ziemlich weit weg ist, es gehört nicht zum Römischen Reich. Dieser Teil des Römischen Reichs, Syrien, gehörte früher zum Seleukidenreich, Antioch war nur eine der große Städte des Seleukidenreichs. Der größte Teil des früheren Seleukidenreiches und noch mehr gehört jetzt zum Partherreich, das liegt gen Morgen. Du musst auf jeden Fall erst durch Mesopotamien10. Früher, als ich noch der Inhaber dieses Ladens war, habe ich auch Gewürze verkauft. Die Gewürzhändler kommen von ungefähr dort, wo der Erwachte lebte, sagte mir mein Vater. Wenn du möchtest, gehen wir morgen auf den Markt, an dem die Gewürzhändler ihre Waren anbieten. Du könntest dich einer Karawane anschließen und mit diesen reisen.“
„Herrlich,“ rief Jesus aus, „mein Plan nimmt Gestalt an. Ich werde durch Mesopotamien ziehen, durchs Partherreich und dann ins Land des Erwachten kommen, dort ein oder zwei Jahre bleiben, mir alles Wichtige aneignen und dann die gute Lehre nach Judäa bringen!“
„Du hast gewissermaßen besonderes Glück,“ erzählte Dimitros weiter, „als mein Vater noch ein junger Mann war, kamen kaum Güter aus dem Reich hinter dem Fluss Indus – dort müsste der Erwachte gelebt haben – weil wegen der jahrzehntelangen fortgesetzten Kriege zwischen dem Römischen Reich und dem Reich der Sassaniden die Transporte auf der Seidenstraße unterbrochen waren. Inzwischen ist der Handel viel intensiver, täglich ziehen dort Karawanen entlang; seitens der Truppen besteht fast gar keine Gefahr mehr, eine solche gibt es nur noch durch Wegelagerer und Räuberbanden, das ist auch der Grund warum die Kaufleute in Karawanen ziehen und sich von Bewaffneten schützen lassen."
Am nächsten Tage gingen sie zum Gewürzmarkt. Jesus stellte fest, das es dort nicht nur Gewürze zu kaufen gab, sondern fast alles, aber eben auch Gewürze. Auf diesem Markt fanden sich vor allem Händler, die die Seidenstraße entlang zogen. Hier hörte Jesus das erste Mal von so fernen Ländern wie China, Indien, Baktrien, Gallien, Britanien, Spanien aber eben auch vom Sassanidenreich. Er strich Stunde um Stunde herum, sprach mit den Händlern, sah sich alles an und hatte Dimitros fast schon vergessen. Er versuchte eine Karawane zu finden, der er sich anschießen konnte. Er stellte aber fest, dass diese Gebühren verlangten, die er sich nicht leisten konnte.
Da berührte ihn Dimitros an der Schulter: „Jesus, ich habe mich umgehört. Die Karawanen hier sind bestens ausgestattet, die brauchen keine Gehilfen. Aber einen langen Tagesmarsch von hier, in Seleukeia Pieria, das ist der nächste Hafen, dort kommen die Schiffe von Rom, Alexandria und Athen an, dort werden dann die Karawanen zusammengestellt. Und dort werden auch Gehilfen eingestellt, Kameltreiber und so. Dort müsstest du dich bewerben.“
„Das ist´s, Dimitros, du bist genial! Lass uns nach Hause gehen, ich werde morgen in aller Frühe losgehen, um am Abend in Seleukeia Pieria zu sein. Dort werde ich in den folgenden Tagen nach einer Beschäftigung als Gehilfe bei einer Karawane suchen.“ Sie gingen nach Hause und am nächsten morgen begleitete Dimitros Jesus noch bis zum Stadtrand, wo die Straße nach Seleukeia Pieria aus der Stadt führte. Sie verabschiedeten sich und Jesus machte sich auf den Weg. Am Abend kam er in Seleukeia Pieria an. Er aß das Brot auf, das Dimitros ihm mitgegeben hatte, dann suchte er sich einen Schlafplatz.
Am nächsten Tag fand sich nichts Passendes. Tags darauf aber kamen zwei Schiffe an, eins aus Athen und eins aus Rom. Das aus Rom kam zuerst an, es wurden Männer beim Ausladen gesucht, Jesus meldete sich und schleppte nun, wie andere auch, Körbe und Kisten vom Schiff aufs Land.
Dort sah er, wie Kaufleute mit Kamelen ankamen, um die Waren anzunehmen. Er ließ das Ausladen sein und sprach mit den Kameltreibern. Sie vermieteten die Kamele und ihre Dienste, suchten aber noch Gehilfen, manche von ihnen sprachen aramäisch, andere eine Sprache, die er nicht beherrschte, wie sich später herausstellte, war es baktrisch. In einer Karawane wurde sowohl aramäisch als auch baktrisch gesprochen. Das schien Jesus am interessantesten, denn hier konnte er sich auf aramäisch verständigen und allmählich diese andere Sprache erlernen, von der er schloss, sie müsse in etwa die Sprache seiner Zielregion sein, da er solche Worte noch nie gehört hatte. Er bot sich als Gehilfe an und wurde akzeptiert.
Zwei Tage dauerte das Aufstellen der Karawane, die aus über 60 Tieren bestand. Der Karawanenführer war Agathokles, ein wettergegerbter Mann von etwa 50 Jahren, der aus Baktrien stammte und - wie sich herausstellte - seit über 30 Jahren mit Karawanen die Seidenstraße entlangzog, wobei er von seinem Sohn, einem kräftigen Mann in seinen Zwanzigern namens Demetrios unterstützt wurde. Sie wurden außerdem begleitet von zwei bewaffneten Wächtern, die auf Pferden ritten und in erster Linie als Kundschafter eingesetzt wurden, so erfuhr Jesus.
Einer dieser Männer, Aischylos, war der Leibwächter von Alexander, des Kaufmanns, der die Karawane anheuerte. Die Kundschafter ritten meist in einer Entfernung von 1-3 Stunden voran, mitunter auch noch weiter, um Hindernisse zu entdecken: unpassierbare Stellen, wie z. B. durch Bergrutsche oder Überflutungen, aber auch um auszukundschaften, ob Räuberbanden oder marodierende Truppenteile Gefahr bedeuteten. Neben Jesus war noch ein zweiter Jüngling namens Ptolemäus in Seleukeia Pieria angeheuert worden.
Nach zwei Tagen zog die Karawane in einem Tag nach Antioch, um Proviant einzukaufen, wofür Aischylos zwei Tage einkalkulierte. Sie kamen gegen Abend an und lagerten am Karawanenplatz unweit des Gewürzmarktes. Am Abend gab es noch eine besondere Überraschung: Dimitros kam mit einem großen Beutel. Jesus war glücklich, seinen Freund wieder zu sehen.
„Jesus, wie gut dich zu sehen, ich habe mir schon Sorgen gemacht, du würdest auf die große Reise gehen, ohne richtig ausgerüstet zu sein.“ Dimitros gab ihm dem Beutel: „Mein Freund, du wirst durch Gegenden kommen, die so kalt sind, dass du dir das überhaupt nicht vorstellen kannst. Du wirst Tage und Wochen durch verschneite Berge und über vereiste Flüsse ziehen, in denen du in deiner Kleidung keine Chance hast zu überleben. Hier ist das Wichtigste drin, was du brauchst: ein Mantel aus Pelz, eine dicke Decke aus Kamelhaar und Füßlinge aus strapazierfähigem Leder mit Pelzfutter. Pass gut auf die Sachen auf, sie sind bei Räubern und Dieben begehrt. Und glaube nicht, du bräuchtest etwas davon nicht, weil es in den ersten zwei vielleicht drei oder vier Monaten noch warm ist. Du wirst über Passstraßen kommen, die so hoch sind, dass du glaubst, du seist im Himmel, aber sie sind so kalt, dass es dir vorkommt als wärest du gleichzeitig in einer Eis-Hölle.“
Jesus umarmte seinen Freund, denn damit hatte er nicht gerechnet. Er kannte bisher nur Palästina und Syrien, manche Nächte waren da kalt, vor allem im Winter, aber dass es so kalt werden könnte, wie Dimitros beschrieb, hätte er nie gedacht.
Die beiden verbrachten den Abend miteinander und Jesus erfuhr, dass Dimitros auch an den beiden vergangenen Abenden bereits den Karawanenplatz aufgesucht hatte, denn er wusste ja nicht, wann Jesus zurückkommt, andererseits war es klar, dass er kommen würde, denn alle Karawanen, die von oder nach Seleukeia Pieria zogen, mussten durch Antioch.
„Mir ist noch immer rätselhaft, wieso du das alles für mich tust. Die Gegenstände, die du mir gegeben hast, sind doch ein Vermögen wert!“ sagte Jesus zu seinem Freund.
Der lächelte: „Du, mein Freund, bist mir mehr wert, als alles andere. Ich habe dir gesagt, dass mein Leben jetzt, da ich dir bei deinem verwegenen Plan, die Lehre des Erwachten zu suchen und sie nach Palästina zu bringen, einen Sinn bekommen hat. Könntest du jedoch dein Vorhaben nicht umsetzen, so würde das mein Leben von jedem Sinn entleeren. Jesus, ich vertraue auf dich. Wenn es jemand schaffen kann, die Lehre des Erwachten ins Römische Reich zu bringen, dann du.“ Die beiden so unterschiedlichen Freunde umarmten sich zum Abschied. Jesus versprach: „Wenn ich zurückkomme, werde ich dich aufsuchen und dir berichten, dir will ich als erstem die Lehre des Erwachten verkünden!“ Dimitros lächelte: „Das ist nett von dir, aber du wirst länger weg sein, als du es dir vorstellen kannst. In zehn Jahren werde ich nicht mehr am Leben sein. Du aber, Jesus, hast eine große Verantwortung. Und dann werde ich eben die gute Lehre erst hören, wenn ich wiedergeboren bin.“ Jesus verstand nicht, was sein Freund damit meinte. Er schien doch sonst nicht so senil, dass er glauben konnte, ein Gestorbener könne wiedergeboren werden. Statt darauf zu antworten, umarmte er seinen Freund, dem bei der Umarmung die Tränen kamen. Dann küsste Dimitros Jesus auf die Wange, bevor er ging.
Fußnoten
1
Der indische buddhistische Kaiser Aśoka (er regierte 268-232
v.u.Z.) hat in seinem 13. Felsenedikt erkärt, wohin er buddhistische
Missionare entsandt habe, u.a. zu König Amtiyoka von Syrien (d.i. Antiochos
II. Theos 261-246 v.u.Z.), der residierte in Antioch.
2 d.h. im Norden
3 das Mittelmeer
4 Schläuche aus Tierdärmen waren damals die übliche Art, Trinkwasser auf Reisen zu transportieren.
5 Jesus hatte jetzt seit seiner Abreise in En Gedi mindestens 800 km zurückgelegt. (Das ist die kürzestmögliche Strecke; meiner Erfahrung nach muss man bei nicht ausgeschilderten Fernwanderungen 25-30% dazurechnen, um auf die tatsächlich zurückgelegte Entfernung zu kommen.) Seit seiner Abreise in En Gedi waren sechs Wochen vergangen.
6 Und Gott sah an alles, was er gemacht hatte, und siehe, es war sehr gut. (1.Mose1,3
7 Kalama Sutta (AN 3,66)
8 Der Indologe Leopold von Schroeder hat als erster auf die Tatsache, dass Pythagoras praktisch sein ganzes Wissen aus Indien hatte hingewiesen. (v. Schroeder: „Pythagoras und die Inder. Eine Untersuchung über die Herkunft und Abstammung der Pythagoreischen Lehren“, Leipzig 1884)
9 Bei Pythagoras tritt auch erstmals im europäischen Gedankengut die Idee von Wiedergeburt und Seelenwanderung auf (vgl. E. Gruber und H. Kersten: „Der Ur-Jesus, Die buddhistischen Quellen des Christentums“, München 1994 S. 79)
10 das Zweistromland, heute der Irak
Erläuterungen
Antioch – war eine der Hauptstädte des Seleukidenreiches, Neugründung im Jahre 300 v.u.Z. (nach einem Erdbeben). Die Stadt heißt heute Antakya und liegt im äußersten Süden der Türkei an der syrischen Grenze (nahe Aleppo). 64 v.Chr. verleibte sich das Römische Reich die Reste des Seleukidenreiches ein, Antioch wurde zur Hauptstadt der Provinz Syrien (neben Ägypten die reichste Provinz des Römischen Reiches). Zu Jesu Zeiten hatte Antioch 500.000 Einwohner und war damit eine der vier größten Städte des Reiches (neben Rom, Alexandria und Karthago).
Baktra – Hauptstadt von Baktrien
Baktrien - ist der historische Name einer Landschaft um die ehemalige Hauptstadt Baktra (das heutige Balch in Afghanistan), die nördlich des Hindukusch liegt. Baktrien, wurde zum Zentrum von Wissenschaft, buddhistisch-hinduistischer Theologie und Weltwirtschaft.
Buddha – wörtlich: Erwachte/r; eine Person, die das Ziel des Buddhismus erreicht hat und damit befreit ist von den Fesseln des Ichglaubens.
Erhabener – Anrede für den Buddha, wird nur von seinen Anhängern verwendet. In anderen östlichen Religionen teilweise auch Anrede für den Religionsstifter.
Erwachter – die deutsche Übersetzung von “Buddha”Essēner - eine religiöse Gruppe im antiken Judentum vor der Zerstörung des zweiten Tempels (70 n. Chr.) bezeichnet, deren wesentliche theologische Hauptmotive die „messianische Naherwartung“ und die „Kritik am unreinen Tempelkult“ in Jerusalem waren. Nach verschiedenen Angaben zeitgenössischer Autoren (Philon von Alexandria, Plinus d. Ä. und Flavius Josephus) befolgten sie strenge, zum Teil asketische Lebensregeln. Demnach war sie eine im 2. Hd. v. Chr. entstandene jüdische Ordensgemeinschaft in Palästina, die möglicherweise auch vom Zorastrismus, Pythagoreismus und vom Buddhismus beeinflusst worden war. (Wikipedia 10.1.24)
JHWH – ist der Eigenname des Gottes im Tanach. Da es in der hebräischen Schrift keine Vokale gibt enthält er keine Konsonanten. Ausgesprochen wird er Jahwe, oder auch Jehova.
Judäa – Name des Siedlungsgebietes der Juden zur Zeit Jesu´. Judäa ist seit 63 v.u.Z. Teil von Palästina, das wiederum Teil der Provinz Syrien des Römischen Reiches ist.
Rabbiner - das ist ein Funktionsträger in der Jüdischen Religion. Seine Hauptaufgabe ist es, die Tora (ein Teil des Tenach) zu lehren. Die Grundform des Rabbiners entwickelte sich, als sich gelehrte Lehrer versammelten, um die schriftlichen und mündlichen Gesetze des Judentums zu kodifizieren.
Seleukidenreich – Es gehörte zu den hellenistischen Diadochenstaaten, die sich nach dem Tod Alexanders des Großen bildeten. Während des 3. und 2. Jahrhunderts v. Chr. beherrschte das 312 v. Chr. begründete Reich den Vorderen und erstreckte sich in seiner größten Ausdehnung von Kleinasien (heute: Türkei) bis Baktrien.
Synagoge - Eine S. (von altgriechisch συναγωγή synagōgē, „Versammlung“) ist ein Gebäude, das der Versammlung, dem gemeinsamen Gottesdienst und oft auch als Lehrhaus einer jüdischen Gemeinde dient. Sie ist die wichtigste Institution im Judentum.
Tanach - oder Tenach (hebr. תנ״ך TNK) ist eine von mehreren Bezeichnungen für die Hebräische Bibel, die Sammlung der heiligen Schriften des Judentums er enthält unter anderem die Tora (Weisung). Das Christentum hat alle Bücher des Tanach - etwas anders geordnet – übernommen. Sie sind das Alte Testament.
Therapeuten - (altgr. Θεραπευταί)waren eine der Mystik zugewandte Gruppe jüdischer Einsiedler im Ägypten vom Anfang des 1. Jhd. v. u.Z. Die Quelle dessen, was wir über die Therapeuten wissen, ist Philon von Alexndria der in der ersten Hälfte des 1. Jhd. u.Z. lebte. Er beschreibt die Therapeuten in der Schrift De Vita contemplativa („Über das kontemplative Leben“). Die Therapeuten gelten mit den Essenern als Vorläufer des christlichen Mönchstums. Von einigen Historikern wird die Hypothese vertreten, dass die Bezeichnung Θεραπευταί für den vorchristlichen Mönchs- und Nonnenorden möglicherweise eine Verformung des Sanskrit-/Paliwortes „Theravada“ war, einer Form des Buddhismus. (nach: Wikipedia 10.1.2024)
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