Horst, der Mensch: Der verschlungene Pfad in Richtung eines Lebens zum Wohl aller Wesen – Geschichte eines europäischen Buddhisten - Stand 30.1.2020

Szene 095 – Das Himbomobil - 1959-1972



Es scheint merkwürdig, aber ich habe kein einziges Foto des Himbomobils gefunden, um diese Szene zu illustrieren. Allerdings habe ich unsere ganzen Urlaubsbilder aus den 60er Jahren, den Hochzeiten des Himbomobils nicht, die sind bei der Mutter meiner Kinder. Vielleicht werde ich eines Tages welche nachliefern können. Hier also eine Nur-Text-Erzählung.

Im Jahre 1956 hatte meine Mutter ihren Führerschein gemacht und zunächst einen gebrauchten Käfer gefahren. 1958 war mein Vater gestorben, ein Umstieg auf ein größeres Auto war daher nicht möglich. Eigentlich hätten wir den ersten Käfer sicher behalten, wenn meine Mutter nicht den Eindruck gehabt hätte, dass dies ein Unglücksauto sei. Bereits zweimal waren in den drei Jahren andere Autos dagegen gefahren und jetzt erfuhr meine Mutter noch, dass dieses Auto, bevor sie es gekauft hatte, bereits einen schweren Unfall verursacht hatte: es hatte einen Radfahrer totgefahren. Dieser erste Käfer musste weg! Sie bestellte also 1959 einen fabrikneuen – und damit nicht vorbelasteten Käfer. Das alte Auto wurde an unseren damaligen Untermieter verkauft. Meine Mutter hatte zu jener Zeit ein Zimmer unserer Wohnung vermietet, um etwas dazu zu verdienen (70 DM im Monat). Dort wohnte jetzt Dr. Beck, ein Ingenieur der Degussa, die damals gerade in Wolfgang das sog. „Atomdorf“ aufbaute, die späteren Hanauer Nuklearbetriebe, das Kernstück des deutschen Atomprogramms.

Das Auto wurde Anfang September 1959 geliefert, es gehörte dem neuen Modelljahrgang 1960 an. Am 29. August lieh sich meine Mutter anlässlich meines Kindergeburtstages den Tisch von Dr. Beck, in dem – wie sich später herausstellte - bereits der ganze Kaufpreis für den gebrauchten Käfer lag, den er meiner Mutter abkaufen wollte. Dr. Beck schien keine Angst zu haben, dass wir sein kleines Vermögen als Spielgeld auf dem Geburtstag benutzen könnten.

Barzahlung war damals auch bei größeren Beträgen üblich. Ich weiß noch genau, wie das Geld beim Kauf unseres neuen Käfers in der VW-Werkstatt Schnatz in Klein-Auheim unwahrscheinlich oft gezählt wurde. Es handelte sich immerhin um über 50 100-DM-Scheine, die ganz alten Noten, herausgegeben von der Bank Deutscher Länder, dem Vorläufer der Deutschen Bundesbank, Banknoten die in den 40er-Jahren zunächst in den USA gedruckt worden waren waren.

Dieses Auto begleitete uns durch die ganzen 60er Jahre. Als meine Mutter Anfang der 60er Jahre ein Haus baute, wurde es gar als Lastauto missbraucht. Dabei wurde es so stark beladen, dass es beim Rückwärtsfahren den Auspuff an einem ganze zwei Zentimeter hohen Stein anrammte, so tief lag das total überladene Auto. Es begleitete uns in alle Urlaube, immer in den Oster- und den Herbstferien, dann waren wir zu fünft darin unterwegs. Es war so eng, dass meine Schwester während der ganzen Fahrt stehen musste und ich neben einer Tasche auch noch das Fischaquarium zwischen den Beinen hatte. Es wurde nämlich damals nicht nur das übliche Urlaubsgepäck für fünf Leute mitgenommen, sondern auch ein Kocher, Kochgeschirr, normales Geschirr (unterwegs kochten wir am Waldrand ab, um Geld zu sparen), dazu alle Dosen und sonstige Utensilien, die wir brauchten, sowie einen Tisch, zwei Campingsessel (für die Omas) und drei Campinghocker für die anderen Leute. Unterwäsche und Strümpfe wurden u. a. im Ersatzreifen verstaut oder auch unter den Radkapppen...

All das wäre aber noch lange nicht Grund genug gewesen, dem Himbomobil eine eigene Szene zu widmen. Aber es war auch mein erstes Auto.

1969 wurde ich 18 Jahre alt. Allerdings interessierte ich mich nicht fürs Fahren und für Autos – einmal abgesehen vom Autoquartett, aber da mehr aus Unterhaltungs- und aus statistischen Gründen. Autos nannte ich damals abfällig „Knatterstinker“. Ich litt stark unter der eminenten Luftverschmutzung der 50er und 60er Jahre und wäre von mir aus nicht auf die Idee gekommen, dazu beizutragen, diese noch zu vermehren. Ich war vielmehr notorischer Rad- und Busfahrer.

Nachdem ich bereits seit einem Monat 18 Jahre alt war und bei meiner Mutter noch nicht einmal vorgefühlt hatte, wie sie denn dazu stand, wenn ich den Führerschein machen wollte, ergriff diese die Initiative. Ich zeigte mich wenig interessiert. Also machte mir Mutter einen Vorschlag: „Horst, ein Mann muss Auto fahren können. Wenn du noch in diesem Jahr deinen Führerschein machst, bezahle ich ihn dir voll und ganz.“ Das war ein Angebot, das ich nicht ausschlagen konnte. Den Führerschein zu machen kostete mindestens 400 DM. Also meldete ich mich in der Fahrschule Gote an. Die Zeit in dieser Einrichtung war definitiv keine gute Zeit für mich. Der Fahrlehrer; Herr Perch, hatte mich auf dem Kieker und mobbte mich. Aber ich hielt durch, und noch vor dem Jahresende hatte ich meinen Führerschein. Vor der Fahrprüfung hatte ich vorsichtshalber zwei doppelte Cognac getrunken, um nicht nervös zu sein. Es hat geholfen!

War ich noch drei Monate zuvor ein Gegner der „Knatterstinker“, so gefiel mir jetzt das Autofahren. Es ist schon recht erstaunlich, wie meine guten ökologischen Vorsätze („Öko“ war damals noch nicht Mode, ja noch nicht einmal im allgemeinen Sprachgebrauch) plötzlich wie weggepustet waren und für mehr als ein Jahrzehnt völlig aus meinem Bewusstsein verschwanden. Im Frühjahr blieb unser VW, der damals noch nicht Himbomobil hieß, sondern von meiner Mutter Blau-W genannt wurde, liegen. Meine Mutter fürchtete, in der Werkstatt würde das teuer und fragte einen befreundeten KFZ-Meister: „Nichts zu machen, der Motor ist hin!“, war die Antwort. Sie fragte einen anderen KFZ-Meister, der sah sich das Fahrzeug an: „Der braucht einen neuen Motor.“ Das Auto hatte damals etwa 100.000 km, was in etwa der Laufleistung eines damaligen VW-Motors entsprach. Das Fahrzeug war jetzt gut zehn Jahre alt, was damals schon als sehr betagt galt. Also überlegte sich meine Mutter, ob sie einen neuen Motor kaufen sollte oder einen alten von einem Unfallwagen oder ob sie sich ein neues Auto kaufen sollte, vielleicht den geräumigeren VW 1600 Variant.

Ich bestärkte sie in letzterem: „Kauf dir den Variant, dann können wir mit einem Zelt in den Urlaub fahren. Du hängst zwar an deinem Blau-W, aber den kannst du mir ja geben. Ich suche dann nach einem gebrauchten Austauschmotor und so bekomme ich auch günstig ein Auto.“

„Gut“, sagte meine Mutter, „ich bestelle mir einen Variant und du bekommst den Blau-W, den Motor und den Einbau musst du aber zahlen.“ So machten wir es. Sie bestellte das „große“ Auto zum stolzen Preis von 8.150 DM und ich bekam den Käfer. Wir schleppten ihn zum VW-Schnatz in die Werkstatt. Der hörte sich das Geräusch an und sagte: der Motor ist nicht kaputt, das liegt nur an einer Unterlegscheibe. Er tauschte die Scheibe aus und sagte: „Macht 5 Mark.“ Ich holte lächelnd das Geldstück aus der Tasche und zahlte. Dann fragte Herr Schnatz: „Wollen Sie jetzt die Bestellung von dem Variant stornieren, Frau Gunkel?“ Ich beeilte mich schnell zu intervenieren: „Mutter, das geht nicht, du hast ja jetzt kein Auto mehr. Mit der Bezahlung der 5 DM eben, habe ich es vereinbarungsgemäß gekauft.“ So kam ich zu meinem ersten Auto.

Und da ich in dieser Zeit eine enge Freundschaft zu meinem Meerschweinchen namens Himbi Moloch (vgl. Szene 005) hatte und selbst bald auch den Sptznamen HIMBI trug, lag es nahe, dass das Auto fortan „Himbomobil“ hieß.

Ich benutzte das Auto jetzt für den Weg in die Schule, was damals für Schüler noch nicht üblich war. Die Lehrer glaubten, die Parkplätze in der Nähe der Schule seien nur für sie, und so kam es zu manchen verbalen Auseinandersetzungen. Lediglich der Lateinlehrer, Herr Czwalina, bei dem wir einmal wöchentlich nachmittags Unterricht hatten, und der mit dem Zug aus Frankfurt kam, sah mein Auto mit Wohlgefallen: ich fuhr ihn nach dem Unterricht zum Hanauer Hauptbahnhof, der fast auf meinem Schulweg lag.

Man kann sagen, dass meine spirtuelle Frühphase, die gut fünf Jahre angedauert hatte und von ethischen, spirituellen, sozialen und ökologischen Vorsätzen geprägt war, in der zweiten Jahreshälfte des Jahres 1969 verschwand. Statt dessen rückten drei sehr mondäne Interessen ins Zentrum meines persönlichen Mandalas, meines Denkens, Fühlen und Handelns: Autos, Mädchen und Karriere. Diese drei Aspekte sollten die nächsten zehn Jahre meines Lebens, die 70er Jahre, bestimmen. Erst mit dem Beginn der achtziger Jahre kehrten die ökologischen und sozialen Ansätze meines Denkens wieder massiv zurück, die spirituellen ließen noch weitere zehn Jahre auf sich warten und meldeten sich erst in den 90ern - dafür um so vehementer - zurück.

Die Sache mit den Mädchen war unmittelbar mit dem Auto verknüpft. Als Autobesitzer hatte ich plötzlich bessere Karten bei den Mädels in meiner Klasse. Hinzu kam, dass ich etwas eingeführt hatte, das ich die „Rollwoche“ nannte. Die Rollwoche bestand darin, dass ich jede Woche an zwei anderen Tagen der Woche die Schule besuchte, also etwa am Montag und Dienstag, oder aber am Mittwoch und Freitag. Ich erschien an den anderen drei Wochentagen zwar morgens pünktlich um halb acht in der Schule, schaute aber dann, mit welcher meiner Mitschülerinnen ich an diesem Tag die Schule schwänzen würde. Brigitte und Bärbel waren meine Favoritinnen.

Zwar war man damals erst mit 21 Jahren volljährig und brauchte also noch Entschuldigungen der Eltern, aber unser Klassenlehrer war Alkoholiker und blickte nicht wirklich durch. Und wenn er mich dann tatsächlich ansprach: „Herr Gunkel, von Ihnen bekomme ich noch jede Menge Entschuldigungen!“, antwortete ich ihm schlagfertig: „Aber Herr Dr. Havekoss, die habe ich Ihnen doch vorgestern Abend alle gegeben, und sie haben sie sich oben in die Außentasche ihres Sakkos gesteckt.“ Und wenn er mich dann fragte, wieso das am Abend gewesen sei, verwieß ich ihn darauf, ich hätte ihn im „Frikadellchen“ getroffen. Ich wusste schließlich genau, in welcher Kneipe er sich hoffnungslos betrank, wenn er am Monatsanfang noch genug Geld hatte.

Nach dem Abi im Sommer 1971 verbrachte ich einen Sommer mit dem Himbomobil am Kahler See in einem Zelt und musste feststellen, dass abendliche Ausflüge mit dem Himbomobil und ein anschließendes Übernachten im VW-Käfer äußerst unbequem waren, und so entstand gegen Jahresende der Wunsch, auf einen VW-Campingbus (vgl. Szene 040 - Das Crstle) umzusteigen, was übrigens auch mädchentechnisch besser war.

Ein merkwürdiges Ereignis möchte ich noch beschreiben. Ich hatte das Himbomobil wieder einmal auf dem Hanauer Freiheitsplatz, damals ein zentraler Parkplatz in der Stadt, geparkt. Ich ging zum Auto zurück, schloss auf, setzte mich hinein, startete das Fahrzeug, drehte mich nach hinten, um auszuparken, und wunderte mich, dass ein Hut auf der Hutablage lag. Ehrlich gesagt, ich hatte damals nicht nur keinen Hut, das Himbomobil hatte eigentlich auch keine Hutablage. Ich saß offensichtlich im falschen blauen Käfer, für den allerdings mein Autoschlüssel gepasst hatte. Woran man erkannt, dass das schon verdammt lang her war, die Schließsysteme sind inzwischen etwas ausdrifferenzierter!

Im Frühjahr 1972 war es so weit, meine Zeit mit dem Himbomobil ging zu Ende. Links am Seitenfenster des Fahrzeugs war jetzt ein Zettel angeklebt: „Zu verkaufen – 300 DM“. Eines Tages hatte ich das Himbomobil in Hanau auf dem Freiheitsplatz geparkt. Unmittelbar daneben geschah ein Unfall: ein R4 fuhr einem VW-Käfer in die Seite. Der R4 war danach um 20 cm kürzer, während der VW nur Kratzer aufwies.

Der Mann, der während des Unfalls zufällig neben mir stand rief entsetzt aus: „Um Gottes Willen, meine Tochter studiert und wünscht sich einen R4 zum Geburtstag, ich wusste gar nicht, dass die so zerbrechlich sind.“ - „Kaufen Sie ihr lieber einen Käfer. Ich kann Ihnen einen für nur 600 DM besorgen“, wusste ich Rat. Wir gingen sofort zu meinem Auto – wohlweislich von rechts, denn links war das Schild mit dem Preis von 300 DM befestigt. Und so konnte ich das Himbomobil für das Doppelte des Preises, der eigentlich bereits an Fenster anstand, verkaufen.


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