Horst, der Mensch: Der verschlungene Pfad in Richtung eines Lebens zum Wohl aller Wesen – Geschichte eines europäischen Buddhisten - Stand 30.1.2020

Szene 087 – Das Hinayana ist geklaut! – 2013



Auszug aus meinem Pilgertagebuch während meiner Wanderung Richtung Indien, es war der 116. Tag meiner Wanderung, zwei Wochen zuvor war in mein Auto eingebrochen worden, seitdem fehlte die Seitenscheibe auf der Beifahrerseite (vgl. Szene 083 – Die Autoknacker von Bulgarien).

(...) tags zuvor das Hinayana in Konstantinovo abgestellt, wo ich es im Laufe des heutigen Tages wieder zu finden hoffte. Also stand ich wieder bei Dunkelheit um 5.15 h OEZ auf, verließ eine Stunde später das Hotel, begab mich zum gestern entdeckten Bahnhof, kaufte mir eine Fahrkarte nach Harmanli, Entfernung zwei Tagesetappen, Preis 2,70 lv., Abfahrt laut Anzeigetafel auf Gleis 7. Kaum hatte ich den Bahnhof verlassen, da staunte ich nicht schlecht: die Gleise waren geklaut! Dort wo üblicherweise in Bahnhöfen Gleise zu finden sind waren: Ausschachtungen, überall!

gAber wenn die doch Fahrkarten verkaufen, muss es irgendwo Züge geben und damit auch Gleise, weil die brauchen Züge ja wohl auch hier. Hinter fünf dieser gleislosen gähnend leeren Trassen aus Luft befand sich ein durchgehender Bauzaun, 100 m entfernt davon dessen Ende. Wenn ich vielleicht durch die gleislosen Schluchten und dann da hinten dran vorbei...? Also stieg ich vom Bahnsteig in die Schlucht, entstieg ihr an einem geeigneten Punkt wieder, dann durch die nächste Schlucht usw. bis zum Bauzaun, dann an diesem entlang, tatsächlich dahinter waren zwei Gleise, auf einem davon einer dieser moderne Züge, die - glaube ich - VT 628 heißen. Leute stehen davor, steigen nicht ein. Auf dem Zug steht „Svilengrad-Plovdiv“. Wenn die Reihenfolge stimmt, muss das der Gegenzug sein, und dass er nicht fährt, liegt daran, dass die nächsten 20 Bahnkilometer eingleisig sind, wie der achtsame Pilger in den letzten Tagen geistesgegenwärtig feststellte. Aber wenn die Anzeige, wie auch bei uns, häufig nicht umgestellt wurde, könnte das mein Zug sein. Ich frage eine wartende Frau, die mir wie üblich in fließendem Bulgarisch und mit dieser achterförmigen, mir noch immer unverständlichen Kopfbewegung antwortet, aber aus einer ihrer Gesten entnehme ich, dass der Zug nach Harmanli auf dem anderen Gleis abfährt. Und wenn nicht? Nun es gibt noch Taxis. In diesem Moment gehen bei dem Zug die roten Rückleuchten an, ein weiteres Zeichen, dass es der Zug in die Gegenrichtung ist. Inzwischen ist die planmäßige Abfahrzeit vorbei, aber .... warum sollte das auch hier anders sein?

Mit 15 Minuten Verspätung fährt tatsächlich ein Zug ein, die Fahrzeit nach Harmanli beträgt eine Stunde. Irgendwann passieren wir Konstantinovo, wo ich tags zuvor mit dem Hinayana die Suche nach dem Bahnhof aufgegeben hatte - zum Glück, diese Zufahrt hätte das Hinayana nie schaffen können, ich glaube nicht einmal, dass ein Bundeswehr-Panzer die Chance hätte, hierher zu fahren. Natürlich will auch niemand hier einsteigen, er hätte dazu auch eine Bergsteigerausrüstung gebraucht, zugegeben, nur die kleinere Variante, also ohne Atemmaske.

Ich erreiche Harmanli und finde den Ausgang aus dem Bahnhof nicht, erkundige mich bei der Bahnhofsvorsteherin - kein Problem, so interpretiere ich ihre akustisch unterstützten Handzeichen, immer nur den Gleisen nach. Und tatsächlich geht nach knapp einem Kilometer von dort ein Trampelpfad in die Stadt ab - ja von Pfaden verstehen wir etwas, die Bulgaren und ich.

In Harmanli gab es, obwohl Sonntagmorgen war, offene Läden, worauf ich spekuliert hatte, denn das Hotelfrühstück ist hier nichts für mich, nur für Langschläfer, „Früh“-stück gibt´s hier erst ab 7 h vormittags, alles was nach 5 h ist, ist doch nicht mehr früh! Frisch gestärkt begebe ich mich auf den Weg, der hier leider 10 km der Türkenrennstrecke folgt, denn vor Harmanli fehlt ein Stück Autobahn.

Wenn ich das richtig verstanden habe, ruhen derzeit die Bauarbeiten, die Arbeiter sind arbeitslos, die LKWs und Baumaschinen rosten vor sich hin und verursachen keine Erträge, sondern nur Abschreibungskosten, weil die EU zwar das nötige Geld bewilligt hat, aber nur wenn Bulgarien den Eigenanteil von - glaube ich - 55% zahlt, was aber daran scheitert, dass der bulgarische Staat das Geld nicht hat, weil so wenig Steuern anfallen, weil so viele Leute arbeitslos sind und die Unternehmen keine steuerpflichtigen Gewinne erwirtschaften, weil sie zwar hohe Abschreibungen aber keine Erträge haben, und der Staat sich das Geld natürlich nicht leihen kann, wegen der Schuldenbremse, an der nach bulgarische Lesart Angela Merkel schuld ist. So logisch kann Wirtschaftspolitik sein.

Auf jeden Fall hat es aber sehr viel Verkehr, darunter vor allem türkische Arbeitnehmer aus Deutschland, Frankreich, Holland, Österreich und Belgien (in dieser Häufigkeitsreihenfolge). Was mich besonders beunruhigt, dass die türkischen Kraftfahrer (toller Ausdruck!) deutlich häufiger als die anderen ungehalten ob des Pilgers auf "ihrer" Straße reagieren. Das lässt mich für die Türkei, in der ich häufig die D 100, die wichtigste Hauptverkehrsstraße der Türkei, die keine Autobahn ist, folgen muss, einiges erwarten! Da die Autobahnen in der Türkei gebührenpflichtig sind, befürchte ich ein hohes Aufkommen von Windschutzscheibenperspektiven-Türken dort. Aber vielleicht überstrapaziere ich nur immer meine Neigung zu Bedenken. Vielleicht aber ist Vorsicht auch prospektive Weisheit - das habe ich jetzt aber wieder schön gesagt, was?

Ich war froh, als ich die N 8 verlassen konnte und auf eine nicht ganz staubfreie Straße abbiegen konnte, die eigentlich im Ende des Jahres auslaufenden Siebenjahresplan der EU als grenzüberschreitende Straße nach Griechenland hätte ausgebaut werden sollen, aber dann ... ach, ihr könnt es euch schon denken?

Vielleicht im nächsten Siebenjahresplan, obwohl, der ist ja deutlich niedriger ausgefallen, wegen der Schuldenbremse, wisst ihr, und ob da für so ein Projekt noch etwas abfallen kann... Die Bulgaren sind durchgängig der Meinung, dass die früheren 5-Jahrespläne effizienter waren als die 7-Jahrespläne der EU. Zwar muss die Begeisterung für die EU (Sojus genannt!) anfangs groß gewesen sein, denn an allen öffentlichen Gebäuden prangt neben der bulgarischen Flagge auch die europäische, auch wenn das Blau inzwischen verwaschen aussieht und die zwölf Sterne deutlich von ihrem Glanz verloren haben. Enttäuschte Liebe - wie weh tut das. Vielleicht würden sie jetzt auch nicht mehr als Symbol der neuen Zeit eine Art große Freiheitsstatue errichten mit einem Europasymbol in der Hand, wie ich es heute Morgen in Harmanli fotografieren konnte.


In Poljanovo, der einzigen Gemeinde auf meinem heutigen Weg, freute ich mich einmal mehr über die pilgertechnische äußerst günstige Infrastruktur des östlichen Bulgarien, in der Tat ist das die Region der Welt, in der als einziger die Biergartenhäufigkeit höher ist als in Bayern. Dafür ist hier auch als einzigem mir bekannten europäischen Landstrich die Abfalleimer- und Fegehäufigkeit größer als in den Niederlande, nicht vom Effekt her, aber vom Bemühen.

Und dann die letzten Kilometer nach Konstaninovo! Wie immer sagte ich mir auf: um die und die Zeit (auf die Viertelstunde genau) werde ich mein liebes, treues Hinayana wiedersehen - wenn es denn so freundlich war, auf mich zu warten. Und so war auch heute die Vorfreude auf die schönste Begegnung des Tages groß: dort ist die Kreuzung, wo die Straße abgeht, in der das Hinayana steht. Ich sehe, den Anfang der Straße, in der das Hinayana - hoffentlich - steht! Das ist das Haus mit dem Baum, unter dem das Hinayana stehen sollte. Und das ist der Baum...

Und kein Hinayana!!! Kann ich mich getäuscht haben? >Die Täuschungswahrscheinlichkeit liegt bei 0,0001%<, antwortet mein fieberhaft arbeitendes Elektronenhirn! Hinayana geklaut? Blöde Jungs, die schnell durch die Gegend sausen wollten! Ist das Hinayana jetzt kaputt? Sind sie verunglückt, womöglich umgekommen, Ort einer neuen der vielen Leichentafeln? Abwehr des Gedankens an "gerechtes Karma", statt dessen Mitgefühl mit verblendeten Wesen? Will sich auch nicht wirklich einstellen.

Neuer Hoffnungsschimmer, die Straße ist nach hinten leicht abschüssig, haben sich vielleicht kleine Blödmänner reingesetzt, an Handbremse und Gangschaltung gespielt und das Hinayana ist dann nach hinten? Ich gehe die Straße ab, dann müsste es, so wie das Lenkrad stand, an einem der beiden Bäume... Es steht natürlich nicht da, ich inspiziere trotzdem diese Stelle, nein, keine Trümmerteile.

SCHEISSE!!! Das Hinayana ist wirklich geklaut. Was jetzt? Polizei! Das Haus dort drüben hat eine breite Einfahrt, da ist auch einer im Schuppen, das Haus frisch renoviert, bessere Mittelklasse, ich gehe hinein, frage den Arbeiter im Schuppen, der holt die Eigentümer, ein Paar in den Dreißigern, natürlich will man mir helfen, telefoniert mit der Polizei, bietet mir Kaffee, Bier und Früchte an. Nach 20 Minuten ist die Polizei da, spricht natürlich nur Bulgarisch, über Handy wird die Polizeiübersetzerin geholt, stellt Fragen: Marke? Daihatsu. Farbe Silber? Ja. Hatte das Auto Vorschäden? Ja, eine Seitenscheibe kaputt, nach einem Einbruch. Und weiter:

And why was the broken window not replaced?“

– “Because there is no Daihatsu Service in Bulgaria.”

But why did you park your car in Konstantinovo?”

– „Well, it has to park somewhere.”

But what did you do after parking your car?”

– „I went to Dimitrovgrad.”

To Domitrovgrad? 25 km? Went??? Why?“

– „There is my hotel, I went to sleep there.”

To Dimirovgrad? Sleep? Without your car?“

- „I DON`T SLEEP WITH MY CAR!”

Hein, but the next morning, what did you do then?”

- „I went by train to Harmanli.”

To Harmanli? 20 km in the other direction? Why?“

– „To walk back to Konstantinovo, where I hoped to find my car?“

Why?”

Sie möchte den Polizisten sprechen. Ich soll für ein Protokoll zur Polizeidienststelle. Wir brausen los, für Polizeiautos scheinen hier keine Verkehrsregeln zu gelten, ggfs. wird die Sirene eingeschaltet. Dann die Polzeidienststelle Simenovgrad und davor: das Hinayana - es sieht unversehrt aus. Himmel, bin ich glücklich!

Was war geschehen? Aufmerksame Dorfbewohner hatten ein im Dorf völlig unbekanntes ausländisches Fahrzeug gesehen. Die Seitenscheibe war eingeschlagen. Nein, niemand im Dorf wusste etwas, bei keinem war ein Deutscher zu Gast. Das Auto musste gestohlen sein, ganz klar, und dann hier abgestellt. Anruf bei der Polizei. Nein, es lag noch keine Diebstahlsanzeige vor. Aber der Fall war ja klar, Abschleppdienst angerufen, Fahrzeug sichergestellt.


Mir war jetzt alles egal, sollten sie mir doch 100 Euro fürs Abschleppen berechnen, vielleicht noch in Strafe aufbrummen, für nicht ordnungsgemäß-gesichertes Abstellen eines Automobils, Hauptsache, das Hinyana war wieder da - und heil!

Das Protokoll ging hier viel rascher als in Elin Pelin. Ergebnis des Protokolls: niemandem kann ein Fehlverhalten vorgeworfen werden, alle Beteiligten hätten sich mustergültig verhalten. Die Kosten trägt die Staatskasse. Wenn Sie jetzt bitte noch quittieren wollen, dass nichts fehlt? Sind sie auch ganz sicher? Dann weiterhin gute Fahrt! Ich musste nicht einmal die übliche Protokollgebühr von 2,50 lv. zahlen.

Himmel, ist da Leben schön! So glücklich bin ich noch nie mit meinem süßen kleinen Auto gefahren wie heute, als wir nach Dimitrovgrad zurückkehrten. Am Abend feierte ich das Wiedererscheinen des Hinyana in einem der zahlreichen Dimitrovgrader Biergärten mit einer Pizza für 2,80 lv und einem frisch gezapften Bier für 1,20 lv... ... in der städtischen wlan-Internet- Zone der Stadt Dimitrovgrad in einem der schönen Parks. Das Leben ist schön!


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