Horst, der Mensch: Der verschlungene Pfad in Richtung eines Lebens zum wohl aller Wesen – Geschichte eines europäischen Buddhisten - Stand 22.1.2020

Szene 070 – Die Bodhisattvas von Spanien - 1977


Es war im August 1977: unsere erste Reise nach Spanien. Spanien, insbesondere Mallorca, war seit 15 Jahren ein Traumziel der Deutschen, nicht so für mich.

Denn Spanien war seit 40 Jahren eine Diktatur. Die faschistische Falange-Bewegung hatte 1936 gegen die Francogewählte Regierung Spaniens geputscht und in einem äußerst grausamen Bürgerkrieg dank der Luftunterstützung von Hitler, der hier seine Luftwaffe für den kommenden Weltkrieg testen konnte, die Verteidiger der Republik besiegt. Anders als die faschistischen Regierungen in Italien und Deutschland fegte der 2. Weltkrieg aber die rechtsradikale Diktatur in Spanien nicht hinweg. Der Generalissimus der Putschisten, Franco (Bild), blieb Diktator bis zu seinem Tode 1975. Für danach hatte Franco diejc Rückkehr zur Monarchie vorgesehen, wohl in der Hoffnung, der Thronfolger des Hauses der Bourbonen würde in seinem Sinne die Regierungsgeschäfte weiterführen. Doch unter dem neuen Monarchen Juan Carlos (rechts, neben Franco, 1975) kehrte Spanien zur Demokratie zurück. Das geschah 1975. Also war es soweit: 1977 konnte ich meinen Boykott der iberischen Halbinsel beenden.

wyDas Carstle, mein VW-Campingbus (hier mit Steffi auf der Hinfahrt in Piney, Frankreich), brachte uns nach Spanien. Ich hatte gerade meine Refrendarzeit an den Beruflichen Schulen in Hanau abgeschlossen und sollte nach den Sommerferien eine Stelle an den Beruflichen Schulen in Gelnhausen antreten, der erste Schultag war der 6. September. Ich war inzwischen mit Eleonore verheiratet, und wir hatten zwei kleine Töchter, Kohlrübchen, die in diesem Urlaub ihren zweiten Geburtstag feierte, und Steffi, die während des Urlaubs ihr erstes Lebensjahr vollendete. Wir fuhren mit dem Carstle quer durch Frankreich und dann über die Pyrenäen – durch Andorra – nach Spanien.

Wir hatten ein kleines Iglu-Zelt dabei, in dem im Normalfall ich mit dem Baby schlafen sollte, während Eli und Kohlrübchen im Carstle übernachten sollten. Doch schon in den Pyrenäen stieß das Konzept an seine Grenzen. Am Tag war es sehr heiß, und dann hatten wir in der Nacht ein heftiges Gewitter. Ich erwachte und stellte fest, dass das Baby, Steffi, mit dem Kopf zwischen die Luftmatratzen gerutscht war. Ich bemerkte, dass das Kind (wie ich annahm) infolge der Schwüle klatschnass geschwitzt war, sein Kopf war tropfnass.

Als ich am Morgen wieder erwachte, sah ich, dass sich das Baby nach oben und unten bewegte, obwohl es schlief – merkwürdig! Ich richtete mich auf und ging der Sache auf den Grund. Nicht nur das Baby bewegte sich auf und ab, sondern mit ihm die ganze Luftmatratze! Jetzt verstand ich: infolge des Regens stand das Wasser 5 cm hoch im Zelt, und die Luftmatratze, auf der das Baby schlief, schwamm hin und her. Meine eigene Luftmatatze hingegen nicht, da ich sehr viel schwerer war als das Baby. Und das bedeutete, dass das Kind in der Nacht nicht nassgeschwitzt war, sondern dass es mit dem Kopf zwischen den Luftmatratzen im Wasser lag. Es hätte glatt ertrinken können!

Damit war der Versuch mit dem Zelt beendet. Den Rest des Urlaubs schliefen wir zusammen im Carstle – auf einer gerade einmal 120 cm breiten Fläche. Aber es ging, die meisten Familien hatten die meiste Zeit in den vergangenen 10.000 Jahren auch nicht mehr Platz.

Die erste Großstadt, die wir erreichten, war Zaragoza. Hier wechselten wir Geld. Das klingt heute sehr normal, aber so war es damals, weit ab von touristischen Gefilden, keineswegs. Zunächst einmal: Es wurde wirklich Geld gewechselt. Man legte ausländische Banknoten (in diesem Falle Deutsche Mark) hin und erhielt inländische, hier also spanische Peseten. Für eine Mark bekam man etwa 40 Peseten. Ich betrat also die Bank, äußerte meine Wunsch – Eli, die gut französisch und etwas kastillisch sprach, übersetzte. Dann reichte ich dem Bankbeamten eine Banknote – nur eine, es war eine 500-DM-Note. Er holte seine Tabelle hervor, und rechnete – dann stutzte er, rechnete erneut, sah diese fremdländische Banknote mit völligem Befremden an. Er griff zum Telefon, um sich bei der Zentralbank zu erkundigen. Die telefonische Bestätigung: ja, tatsächlich, das gäbe es, es gäbe 500-Mark-Scheine. Es war für einen einfachen Bankangestellten in einer mittleren spanischen Großstadt damals einfach völlig unverständlich, dass es irgendwo Banknoten von so hohem Wert geben könnte. Damals zahlte man in einer Gaststätte im Landesineren – also nicht in Touristissinien, sondern im wirklichen Spanien – 20 Pfennig für ein Bier oder eine Cola. Und dazu bekam man noch kostenlose Tapas, kleine Leckerbissen, zum Dank für den Auftrag. Andererseits erscheint es uns heute für die Echtheitsprüfung von Banknoten doch sehr befremdlich, einfach einmal bei der vorgesetzten Behörde nachzufragen, ob es diese Stückelung gäbe – und das, ohne zu wissen, wie sie denn möglicherweise aussehen könnte. - Übrigens, so:

500




Wir waren die meiste Zeit auf dieser Reise im Landesinneren. Wir kamen durch Dörfer ohne fließend Wasser und ohne Strom, begegneten Eselskarawanen und sahen Berge, in denen die Menschen noch in Höhlen lebten. Der größte Teil des Landes war jedoch sehr trocken. Früher gab es hier reiche Landwirtschaft, überall waren terrassierte Berge, dort wurde früher Ackerbau betrieben. Jedoch waren für die spanische Armada alle Wälder abgeholzt worden, also sank die Verdunstung, dadurch gingen die Niederschläge zurück, infolge dessen rentierte sich die Landwirtschaft nicht mehr, und die Spanier mussten, nachdem sie auf diese Art ihr eigenes Land ruiniert hatten, nach Lateinamerika auswandern. Dort versucht man jetzt auszuprobieren, ob durch die Abholzung der Urwäldern der gleiche Effekt wieder eintritt – oder ob das Gesetz von Ursache und Wirkung vielleicht nicht mehr gültig ist. Ich halte den Ausgang dieses Versuchs für absehbar.

Eigentlich wollte ich jedoch mit diesem Artikel auf ein ganz anderes Thema heraus, und das spielte sich am Ende unserer Reise ab. Diese Sommertour war nämlich etwas anders angelegt, als unsere üblichen Reisen mit Campingbus und Wohnmobil. Normalerweise fuhren wir sechs Wochen durch eine europäische Region – z. B. die iberische Halb-insel – um diese zu erkunden. Diesmal jedoch hatten wir uns mit anderen Leuten verabredet, die letzten zwei Wochen gemeinsam einen recht konventionellen Urlaub zu machen. Daher hatten wir unser Rundfahrtprogramm gekürzt – Portugal wurde gestrichen – und zum Schluss hatten wir uns mit Elis ernestineSchwester Ernestine (Bild, in Begleitung von deren Sohn, der so alt war wie Kohlrübchen), ihrer Freundin Regine und deren Mann Berthold verabredet. Wir hatten zusammen ein Bungalow 100 km südlich von Barcelona an der Küste gemietet.

Das war eine recht konventionelle Urlaubszeit von jungen Familien am Strand. Allerdings wurde die Idylle von zwei Ereignissen überschattet, die unsere Familie – aber nicht die unserer Bekannten - direkt betrafen. Steffi, das Baby, das gerade ein Jahr alt geworden war, wurde sehr krank, sie hatte heftigen Durchfall. Nun ist Durchfall normalerweise nichts Tragisches, er kommt, er geht - und er ist ärgerlich. Diesmal war es aber anders, offensichtlich war das Magen–Darm-Systemrüben des Babys heftig angegriffen: wenn Steffi (auf dem Bild links, neben Kohlrübchen) den Boden entlang krabbelte, blutete sie aus dem After und eine feine Blutspur folgte ihr. Ich war entsetzt. Wir überlegten, was zu tun sei. Spanien war damals auf einem Entwicklungsstandard wie heute afrikanische Länder. Hier eine kompetente medizinische Versorgung zu erwarten, schien höchst vermessen. Andererseits: wo dann? In Südfrankreich? Ich war skeptisch. Wir entschlossen uns, einen Versuch hier vor Ort zu starten, um medizinische Hilfe zu bekommen. Gleichzeitig bereiteten wir unseren Aufbruch vor – fast konnte man schon sagen: unsere Flucht. Wir wollten so schnell wie möglich zurück in die Zivilisation kommen. Nach den damaligen Verhältnissen – und unseren Ansichten – war die nächste verlässliche Gegend die Schweiz. Die war (auf Landstraßen) in 16 Stunden erreichbar.

Aber zunächst unternahmen wir einen Versuch im nahem Städtchen Calpe. Eli fragt auf der Straße Leute nach einem Arzt. Man empfiehlt ihr einen. Sie erkundigt sich: „Kinderarzt?“ Die Antwort: „Nix Kinderarzt – guter Arzt.“ Die Einrichtung eines speziellen Kinderarztes schien hier noch unbekannt zu sein. Die Praxis des Arztes war in einem Obergeschoss eines Wohnsblockes. Wir gehen dorthin, klingeln. Niemand öffnet. Andererseits: es ist noch Mittagszeit. Siesta. Wir warten. Irgendwann kommt noch jemand. Er riecht nach Bier und Tabak, unrassiert, trägt trotz des Sommers einen alten, fleckiger Mantel. Aha, ein Penner. Was will der hier? Dieser Arzt wird doch wohl nicht so eine Kundschaft haben?!

Nein, hat er nicht. Er ist der Arzt. Wir versuchen uns zu verständigen. Das ist nicht einfach. Der Arzt spricht kein Englisch, kein Französisch, natürlich nicht Deutsch, aber leider auch kein Kastillisch (Spanisch), sondern nur Catalan. Ich versuche es mit Latein. Leider auch Fehlanzeige. Inzwischen habe ich die beiden einzigen medizinische Bücher, die in einem Regal standen, inspiziert. Der Umschlag des einen ist so ausgebleicht, dass nichts mehr zu entziffern ist. Das andere ist eine Einführung in die Humanmedizin, erschienen 1917. Aha. Mein Vertrauen in den Arzt ist dadurch nicht gerade gewachsen. Er geht zu einer Untersuchungsliege, darauf liegt ein auseinander genommener Radioapparat. Er räumt ihn zur Seite, wischt mit dem Ellbogen einen Ölfleck ab. Die Kunstlederhülle der Auflage ist an zwei Stellen zerfetzt, fleckiges Schaumgummi quillt heraus. Steffi wird darauf gelegt. Er berührt ihren Bauch auf der rechten Seite und sagt etwas, das mit einer sichtbaren Verneinung endet. Ich verstehe: er hat gerade die Diagnose eines akuten oder geplatzten Blinddarms ausgeschlossen. Das beruhigt mich etwas; er scheint logisch vorzugehen.

Ernestine im Carstle mit Steffi und Kohlrübcheneks

Er untersucht weiter. Dann erzählt er einiges, was wir nicht verstehen, stellt ein Rezept aus. Und dann sucht er einige Sachen zusammen, einen Kalender, eine Uhr, findet in seinem Schreibtisch einige Reiskörner. Mit Gebärdensprache macht er uns klar, wann das Kind die Arznei einnehmen muss, wie sie verabreicht werden muss, macht deutlich, dass sich das Kind dagegen wehren wird, weil die Medizin wohl scheußlich schmeckt, zeigt, wie man das Kind halten muss, auch dass man ihm hinterher den Mund zuhalten muss, bis es geschluckt hat. Erläutert, alle wie viele Stunden die Medizin zu verabreichen ist und wann mit einer Besserung zu rechnen ist, auch dass die Medizin für volle fünf Tage zu verabreichen ist, also auch nach dem Ende der Beschwerden. Es ist ihm inzwischen gelungen, uns von seiner Kompetenz zu überzeugen, jedoch: ein Rest Skepsis bleibt.

Wir holen das Medikament. Überraschender Weise ist es nichts von anno dazumal, sondern es handelt sich um Ampullen mit bestimmten Bakterien. In jeder Ampulle sind 2 Mio. dieser Bakterien. Tatsächlich, Steffi wehrt sich, mag sie nicht nehmen. Ich werde dazu auserkoren, sie dem Kind einzuflößen, muss Steffi hinterher Mund und Nase zuhalten, bis sie aus Verzweiflung schluckt. Insgesamt 20 Mal in 5 Tagen geschieht das. Es hat einen doppelten Effekt: einerseits sind die heftigsten Syptome bereits nach 6 Stunden verschwunden. Andererseits ist mir ziemlich klar, dass ich mit dieser Art, dem Baby die Medizin zu verabreichen, erhebliche Ressentiments gegen meine Person in Steffi aufsteigen lasse, ich fürchte, das wird auf unsere späteren Beziehungen Auswirkungen haben. Aber es ist wohl nötig. Leider.

Ich versuche die anderen zu überzeugen, dass es nicht angeht, dass wir essen, während das arme Kind, ausgehungert wie es ist, tagelang nur Reis zu essen bekommt und sieht, wie wir leckere Sachen konsumieren und sie davon nichts abbekommt. Leider gelingt es mir nicht, mich damit durchzusetzen. Man stimmt mir zwar zunächst verbal zu, dann jedoch wird anders gehandelt. Ein Muster, das sich wie einen roten Faden durch meine Ehe zog. 

Wir mussten nicht vorzeitig aus Spanien zurück. Noch nicht. Doch dann kam die zweite Schwierigkeit. Am 29. August, an meinem Geburtstag, geschah es. Für diesen Tag, so war es mit meiner Mutter verabredet, würden wir sie anrufen. Das war hier, in der touristisch besetzten Zone Spaniens, wesentlich leichter als im Rest des Landes.

Schon einmal, drei Wochen vorher, hatte Eli ihren Eltern einen Anruf versprochen. Wir hatten es von Madrid aus versucht. Von dort, so dachten wir, müsste doch ein Anruf möglich sein. Weit gefehlt. Weder im Hauptpostamt von Madrid noch im Postministerium war es möglich, nach Deutschland anzurufen. Drei Tage später hatte Eli dies in einer kleinen Gaststätte in einem Dorf ohne fließend Wasser oder gepflasterter Straßekaff erzählt. Die Wirtin wusste, dass es im Ort ein Telefon gab. Die Besitzerin dieses Gerätes ließ von dort alle Einwohner des Ortes telefonieren, d. h. sie vermittelte es, Durchwahl gab es dort damals noch nicht, und diese Frau hatte wohl eine Marktlücke entdeckt. Als wir ihr unser Problem erläuterten, war sie begeistert. Ein Anruf nach Deutschland, welch eine Herausforderung! Wie das geht, würde sie herausfinden! Wir sollten zurück in die Wirtschaft gehen, sie würde uns informieren, wenn es möglich sei. Nicht einmal zwei Stunden später schickte sie uns eines ihrer Kinder vorbei: wir könnte jetzt kommen, sie hätte die Freigabe einer Leitung für in 15 Minuten über die nationale Postzentrale durchsetzen können. Das Foto zeigt das Dorf der Telefonistin.

Aber jetzt hier, im touristisch besetzen Teil Iberiens, war das ganz anders. Hier gab es bereits Telefonzellen mit der Möglichkeit zur Durchwahl! Wir hatten auch lange genug Münzen gesammelt, dass das jetzt möglich war. Also riefen wir meine Mutter zu meinem Geburtstag an, am Abend des 29. August. Und wir bekamen eine wichtige Information. Ich musste nicht etwa am 6. September zu Schuljahresbeginn in der Schule antreten, sondern mein Arbeitsvertrag lief ab dem 1. September. An diesem Tage müsse ich in der Schule erscheinen, um den Diensteid abzulegen.

Also mussten wir doch vorzeitig zurück. Eigentlich nur meine Familie und ich, aber die anderen waren entschlossen, dann auch mit zurück zu fahren. Also wurde für den nächsten Tag, den 30.8.77 ein Putz- und Packtag angesetzt. Am 31.8. morgens um 5 h sollte die Abfahrt sein, damit ich am 1. Sept. um 8 h in der Schule sein konnte.

Ich wusste gar nicht, was alles an Aufräum-, Putz- und Packarbeiten zu erledigen sein müsste, jedenfalls wenn drei Hausfrauen unterwegs sind. Wir waren alle den ganzen 30. August über damit beschäftigt. Auf dem Heimweg sollte ich dann – wie üblich - das Carstle fahren, während die anderen sich am Steuer des Käfers ablösten. Da mindestens ein Tag und eine Nacht Fahrt vor mir lagen – für Pausen war keine Zeit – entschloss ich mich am 30.8. früh ins Bett zu gehen. Alllerdings war an Schlaf nicht zu denken, im ganzen Haus wurde geräumt und gewerkelt.

Um 5 h sollte es losgehen, für 4.30 h war Wecken angesagt, um 1.30 h floh ich aus dem Haus ins Carstle. Wie soll ich mehr als 24 Std. hinterm Lenkrad sitzen, wenn ich nicht wenigstens ein paar Stunden geschlafen hatte? Ich wälzte mich hin und her. Der Ärger übers Nichtschlafenkönnen machte die Sache auch nicht besser. Es wurde 2 h, es wurde 3 h, mein Ärger, meine Verzweiflung, aber auch meine Angst, einen Unfall zu bauen, wuchs minütlich.

Um 4.08 h kam mir eine Idee. Wenn ich nur noch 20 Min. Zeit habe, dann bleibt nur eine einzige Möglichkeit. Ich weiß nicht an welche Erfahrung ich dabei anknüpfte. Aber ich weiß, dass es keine Erfahrung aus diesem Leben war. Ich setzte mich im Carstle aufrecht hin, schob mir ein Kissen unters Gesäß, verschränkte meine Beine, legte meine Hände auf die Knie, Daumen und Zeigefinger berührten sich. Ich konzentrierte mich auf meinen Atem, nur zwei Atemzüge lang, dann…

es war ein herrlicher Raum, wunderbar, ein unbegrenzter Raum. Himmlische Sphärenmusik erklang. Vor mir eine Treppe: die 10 Stufen zur Vollendung. Oben ein Thron, darauf eine Figur, die Vollkommenheit symbolisierte. Sie sah aus wie eine Mischung zwischen dem Gottesbild, das in der St.-Pauls-Kirche in Großauheim über dem Altar prangte (ich hatte dort meine Erstkommunion), und einer Buddhafigur. Jede der 10 Treppenstufen war flankiert von einem wunderbaren, reich mit Edelsteinen ausgestatteten Wesen. Engel? Möglicherweise, aber keine geflügelten. Bodhisattvas? Das Wort kannte ich damals nicht, aber es trifft es wohl am besten.

ksDer Bodhisattva auf der linken Seite der untersten Stufe zwinkerte mir zu, ermutigte mich. Es ging um den ersten Schritt, den ersten Schritt auf der Leiter zur Vollkommenheit. Ich konzentrierte mich, wusste, dass ich nicht durch die Kraft meiner Muskeln, sondern einzig durch die meines Geistes weiter kommen würde. Und tatsächlich: meine Füße standen still, aber durch die Kraft der meditativen Konzentration wurde ich wie von Geisterhand – von der Hand meines konzentrierten Geistes – dort hochgehoben. Ein beifälliges Raunen ging durch die Versammlung der Bodhisattvas.

Ich hatte den ersten Schritt geschafft, hatte Anerkennung bekommen. Diebs Bodhisattvas raunten, ob ich denn auch den zweiten Schritt schaffen würde…

Erneute Konzentration - und erstaunlich, ich bewegte mich aufwärts, erreichte die zweite Stufe, hielt die Konzentration, ich staunte selbst am meisten über das, was mir da gelang, musste aber die Konzentration halten, nur jetzt nicht nachlassen, die dritte Stufe, beifälliges Raunen, leise Rufe des Erstaunens, die mich nur noch mehr anfeuerten und ich stand auf der vierten Stufe des Bodhisattva-Pfades. Gleichzeitig mit meinem Vorrücken, leuchteten die Stufen, die ich erreicht hatte, hell auf und auch die Illumination des Raumes wurde noch heller, strahlendes Licht erhellte den Weltraum, und um mich auf den Stufen rechts und links strahlten alle diese wunderbaren Bodhisattvas in den faszinierendsten Farben. Sie schienen mich für meine Erfolge auf dem Pfad zu schätzen, zu bewundern, sie, die doch viel voll-kommener waren als ich wohl jemals sein werde.

Sie sahen mich an, erwartungsvoll, gespannt. Ich konzentrierte mich, nahm alle meine Kraft zusammen, richtete meine Augen auf den Buddha, der auf dem Thron der 10. Ebene stand, und siehe da, es gelang mir weiter zu kommen erneut hellere Lichter, das musste die fünfte Stufe sein. Ich bemerkte, wie mir der Schweiß der höchsten Konzentration aus den Poren trat, als ich die sechste Stufe erreichte. Ich war verwundert, ob dessen, was ich erreicht hatte, und all diese Bodhisattvas frohlockten und riefen mir Worte der Erreichung, der Unterstützung, der Freude und der Kraft zu. Ob ich jetzt ein Bodhisattva der sechsten Erreichung war?

Aller Augen waren auf mich gerichtet. Ich hatte viel erreicht, aber ich hatte auch gemerkt, wie es von Stufe zu Stufe schwerer wurde, wie quasi übermenschliche Fähigkeiten nötig wurden. Doch nun schwiegen alle Bodhisattvas, nur die himmlische Musik erklang weiter, aller Augen waren auf mich gerichtet. Ich fasste alle meinem Mut zusammen, konzentrierte mich. Nur ganz allmählich ging es vorwärts, zentimeterweise. Ich setzte all mein Vertrauen auf die Bodhisattvas und auf den Höchsten. Da spürte ich es unter meine Füßen. Ich hatte Level 7 erreicht. Diesmal gab es keinen Applaus, kein Frohlocken, nur diese Blicke, diese gespannten Blicke. Mir wurde klar, ich kann jetzt nicht einfach aufhören und nach Hause gehen. Man wollte wissen, wer ich bin, ob ich womöglich auch noch die achte Erreichung schaffe.

Höchste Konzentration ich merke wie ich langsam vorankomme, eher milllimeterweise als zentimeterweise, Tausende Augen sind auf mich gerichtet, nicht nur die der Bodhisattvas der Stufen, sondern auch die von unzähligen Devas in den Weiten des Universums. Und in diesem Moment erreiche ich die achte Stufe. Freudiges Wohlgefallen, himmlische Spärenmusik, Licht, das mir heller als 1000 Sonnen erscheint. Und doch das Wissen: ich kann mich jetzt nicht einfach hinsetzen. Man erwartet von mir, dass ich mich so lange bemühe, mein Äußerstes gebe, bis ich meine Grenzen total ausgelotet habe. Also noch einmal, ich bemühe mich so, wie ich mich noch nie in meinem Leben bemüht habe – und ich merke ein Vorankommen, habe ein Viertel des Weges zur neunten Stufe erreicht, jetzt die Hälfte. Es ist ungemein schwer die Konzentration zu halten, es geht ein wenig weiter, dann bemerke ich Stagnation, bemühe mich nach besten Kräften. Aber da empfinde ich es ganz deutlich: es geht langsam abwärts. Ich komme wieder auf Stufe 8 zu stehen. - Aber es fühlt sich nicht wie ein Misserfolg an. Das Schweigen ist zu Ende, die Bodhisattvas reden, beglückwünschen mich, kaum ein Mensch würde es so weit bringen. Ich bin überglücklich.dic

Mein Gesicht strahlt, während die Bodhisattva-Welt verblasst. Ich sitze im Carstle, hellwach und überglücklich. In diesem Moment der Wecker, es ist 4.30 h. Eine halbe Stunde später bin ich unterwegs, fahre das übervoll beladene Carstle. Auf den 100 km bis Barcelona habe ich (Bild) auf der kurvenreichen, bergigen Küstenstraße bereits über 100 Autos überholt, wie Berthold, der den Käfer hinter mir fährt,  hinterher fluchend erzählt. Ohne Stopp geht es nach Hause, 25 Stunden Fahrt. Ich habe sogar noch Zeit zum Duschen, bevor ich in der Schule meine neue Stelle antrete.


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