Horst, der Mensch: Der verschlungene Pfad in Richtung eines Lebens zum wohl aller Wesen – Geschichte eines europäischen Buddhisten - Stand 20.1.2020

Szene 060 - EnergieWende ab 1986



EnergieWende ist ein Wort, das heute in aller Munde ist. Ich muss zugeben, ich habe das Wort im Spätsommer oder Herbst 1986 zum ersten Mal gehört. Im April 1986 war der Super-GAU in Tschernobyl und seitdem war Atomkraft das Thema. Bei einer Delegiertenversammlung von ROBIN WOOD begenete mir dann das Wort zum ersten Mal. Bei diesen Delegiertenversammlungen von RoWo, wie wir ROBIN WOOD abkürzten, treffen sich Delegierte aus allen Regionalgruppen. In Hessen gab es damals zwei Regionalgruppen, Darmstadt und Hanau; Eleonore und ich waren die Vertreter von RoWo Hanau.

Natürlich war die Atompolitik dort das Thema, und als Referenten waren Vertreter des Öko-Instituts anwesend. Die hatten gerade ein Buch mit dem Titel EnergieWende geschrieben und stellten es dort vor. Die EnergieWende, wie sie dort beschrieben war, sollte weg von der Atomkraft gehen, hin zu regenerativen Energieträgern und zwar dezentral und demokratisch kontrolliert sein. Das ÖkoInstitut regte an, überall sog. EnergieWende-Komitees zu gründen.

Ich war im Jahr zuvor in den Kreistag des Main-Kinzig-Kreises für die Grünen eingezogen und war dort unser Mann für die Bereiche Wirtschaft, Regionalplanung, Verkehr und Energie. Für Wirtschaft und Regionalplanung war ich prädestiniert, da ich Wirtschaft und Wirtschaftsgeografie studiert habe, und war dementsprechend auch der grüne Vertreter in Regionalversammlung Südhessen. Dem Bereich Verkehr hatte ich in meinem ersten Jahr im Kreistag Priorität eingeräumt und unter anderem eine rund 40-seitige Broschüre erstellt, die einen Verkehrsverbund vorschlug. Verkehrverbünde wie heute, z. B. den RMV, den Rhein-Main- Verkehrsverbund, gab es damals noch nicht. Ich brachte das Thema damals gerade erst in die politische Diskussion im Rhein-Main-Gebiet ein.

Im Bereich Enbergiepolitik hatte ich bis dahin noch keine Aktivitäten entfaltet, denn dem Kampf um die Hanauer Nuklearbetriebe hatten sich vor allem zwei andere Fraktionsmitglieder verschrieben, unser damaliger Fraktionsvorsitzender Hartmut Barth-Engelbart und Matthias Seipel, der als Rechtsanwalt vor allem die juristische Perspektive im Auge hatte, er war auch Mitglied der Hanauer AKW-Gruppe. Nach Tschernobyl war es klar, dass wir unsere „Weg vom Atom“-Position dadurch ergänzen mussten, dass wir eine glaubhafte Alternative aufzeigen konnten und die Fraktion hatte mich beauftragt, in dieser Richtung tätig zu werden. Da kam die Idee von der EnergieWende „umweltfreundlich, atomfrei, dezentral und demokratisch kontrolliert“ genau richtig. Ich war Feuer und Flamme. Sofort kaufte ich mir das bereits vorgestellte Buch „EnergieWende“ und ein zweites Buch, ebenfalls vom ÖkoInsitut: „Die EnergieWende ist möglich“, und schuf ein Konzept, das ich in meiner Fraktion vorstellte und das dort für gut befunden wurde.

Zunächst sollte ein „EnergieWende-Komitee Main-Kinzig“ auf der Ebene des Main-Kinzig-Kreises gegründet werden. Dieses Komitee sollte dann als Lobby-Organisation die neue rechnerische rot-grüne Mehrheit im Kreistag nutzen, um auf dieser Ebene dezentrale und demokratisch kontrollierte Projekte zur EnergieWende umzusetzen. Die Hoffnung war, auf diese Art eine breite Basis zu gewinnen. Ich schrieb diesbezüglich nicht nur Vertreter des öffentlichen Lebens an, sondern auch alle Betriebe, die im Main-Kinzig-Kreis mit dieser Thematik zu tun haben könnten (außer den Nuklearbetrieben), das waren u. a. alle Firmen, die im Bereich Heizungsbau und Elektroinstallation tätig waren, aber natürlich auch andere gesellschaftlich relevanten Gruppen.

Außerdem durchforstete ich die Bücher des ÖkoInstituts und entwarf eine Broschüre, die alle dort vorgeschlagenen Maßnahmen auf die Ebene des Main-Kinzig-Kreises übertrug. Es waren dies Maßnahmen zur Wärmedämmung, zur Wind- und Solarenergie-Nutzung, zum Hausbau, zur Kraft-Wärme-Kopplung und vieles mehr. Laut meiner Berechnung würden dadurch 4000 Arbeitsplätze im Main-Kinzig-Kreis neu entstehen. Das war ziemlich genau die Anzahl an Arbeitsplätzen, die derzeit in der Nuklearindustrie im Main-Kinzig-Kreis besetzt waren. Da aber auch beim Atom-Ausstieg ein Teil der Beschäftigten der Nuklearbetriebe (zum Beispiel für den Rückbau der AKWs) weiter benötigt würden, ergaben sich per Saldo insgesamt mehr Arbeitsplätze als ohne die EnergieWende.

Leider war der Rücklauf auf meine Initiative relativ bescheiden. Wenn man sich ansieht, wie viele Betriebe heute gutes Geld mit Solarenergie, Pelletheizungen, Wärmedämmung usw. verdienen, finde ich es noch heute erschreckend, dass sich aus dem ganzen Unternehmensbereich nur eine einzige Person fand, die sich aktiv einbrachte: Roland Kolb, der damals einen kleinen Heizungsbau-Betrieb in Schlüchtern-Elm hatte.

rokoBei einem Treffen in unserem Haus, genauer: in der Mansarde, wo damals Eleonore und ich jeder ein Arbeitszimmer hatten, kam der Kern der künftigen EnergieWende Main-Kinzig zusammen. Da unser Treppenhaus mit Wahlplakaten der Grünen tapeziert war, hatte ich schon Bedenken, dass unser einziger Unternehmer (Roland Kolb, Bild) gleich wieder die Flucht ergreifen würde. Doch weit gefehlt. Es stellte sich heraus, dass er selbst inzwischen von der FDP zu den Grünen übergetreten war.

In der Folge führten wir zwei Versammlungen in der Gelnhäuser Zehntscheune durch, einem kommunalen Versammlungshaus. Zu diesen Versammlungen waren jeweils etwa 40 Personen anwesend. Beim ersten dieser Treffen im Februar 1987 wurde die von mir erstellte Broschüre vorgestellt und das Konzept, einew Vernetzung aller an der EnergieWende interessierten Organisationen, erläutert. Man beschloss dazu einen Verein zu gründen. Bei der zweiten Versammlung an gleicher Stelle wurde dann der Verein gegründet und das EnergieWende-Komitee gewählt. Politisch war der Laden allerdings ziemlich einseitig. Von CDU und FDP war niemand anwesend, zwei Sozialdemokraten gehörten dem Verein an, viele Unabhängige, einige Grüne und ein Neuberger Stadtverordneter von der DKP, Werner Funk (1944-2012 - Bild).

pIn der Folgezeit traf sich das EnergieWende-Komitee regelmäßig, die Besetzung variierte, allerdings nicht sehr stark. Durchgängig Mitglied des EnergieWende-Komitees waren außer Roland und mir noch Peter Stahl (Bild), ein technischer Betriebswirt und Horst, ein Elektrotechniklehrer aus Schlüchtern.

Das EnergieWende-Komitee führte Besichtigungen von Energieanlagen durch, so fuhren wir unter anderem zu Windrädern in den Vogelsberg, zu den Stadtwerken Saarbrücken und Rottweil, nach Weihenstefan und an viele andere Stellen. Wir beteiligten uns an Ausstellungen und führten Workshops durch, so bauten wir unter anderem eine Regenwassernutzungsanlage fürs ÖkoBüro Hanau. Unsere lokalen Mandatsträger wurden in Aufsichtsräte endsendet: Dieter zur ÜWAG, Eleonore in die Stadtwerke Hanau und ich in die Kreiswerke Hanau sowie in die Kreiswerke Gelnhausen. Wir nahmen an Anhörungsverfahren für Kraftwerks- standorte teil. Peter konnte dort u. a. einmal den Nuklearbetrieben nachweisen, dass sie sich massiv zu ihren Gunsten „verrechnet“ hatten: um den Faktor 1000!

Eine erste Aktion, damals noch unter der „Marke“ ROBIN WOOD, führten wir imew Januar 1987 durch, als wir das Hanauer Blockheizkraftwerk besetzten und dort mehr solcher KWK-Anlagen forderten; erstmals lobte ROBIN WOOD und prangerte nicht an. Hier wurde auch erstmals unser EnergieWende-Logo (Bild) eingesetzt, das dann auf Autoaufklebern und auf unserem Briefpapier prangte. Ich hatte es für das 40 qm große Plakat entworfen und mit Plaka-Farben gemalt (vgl. dazu auch Szene 056: Ratnasambhava erscheint).

Unsere zentrale Arbeit war aber die Lobby-Arbeit auf Kreisebene. So gelang es uns, den Bau zweier Blockheizkraftwerke durchzusetzen, im Altenzentrum Roden-bach und in der Gesamtschule Freigericht.

Die vielleicht wichtigste Erungenschaft war die Durchsetzung einer Stabsstelle im Landratsamt, die die EnergieWende umsetzen sollte: das Energie-Referat (vgl. dazu auch Szene 048 - Wie ich...). Dieses Energiereferat wurde in der Folge von Roland Kolb eine zeitlang sehr erfolgreich geleitet, allerdings erwiesen sich der Landrat und der SPD-Kreisvorsitzende immer wieder als Bremser. Im Jahr 1990 wurde zwischen SPD und Grünen lange über die Gründung einer kreiseigenen GmbH diskutiert, die die EnergieWende umsetzen sollte, ich hatte dazu ein Konzept vorgelegt. Zunächst leugnete die SPD-Führung die wirtschaftliche Durchführ- barkeit. Nachdem ein unabhängiger Gutachter das Konzept untersucht und für wirtschaftlich tragfähig befunden hatte, verweigerte der SPD-Kreisvorsitzende Erich Pipa die Übertragung der kreiseigenen Heizungsanlagen auf die neu zu gründende Firma. Ohne diese wäre der Betrieb jedoch nicht wirtschaftlich zu betreiben. Die Verhandlungen scheiterten, alsbald auch die Koalition zwischen SPD und Grünen.

Als dann eine GroKo auf Kreisebene installiert wurde, wurde das Energiereferat aufgelöst. Roland und sein Stellvertreter Kurt bekamen einen Auflösungsvertrag und gründeten dann die Firma Kolb + Müller GmbH in Schlüchtern.fra

Das EnergieWende-Komitee traf sich in der Folge seltener. Der Verein „Koordination EnergieWende Main-Kinzig e. V.“ war seit 1994 auch Träger des ÖkoBüro Hanau. Unter seinem Dach wurde später auch das BuddhaNetz-Info herausgegeben und die FWBO Frankfurt eingerichtet, dazu wurde der Verein in „Koordination e. V.“ umbenannt und die Satzung entsprechend angepasst. Heute ist die Koordination e. V. Träger der Buddhis- tischen Gemeinschaft Gelnhausen, statt eines EnergieWende-Komitees hat der Verein jetzt ein „Sangha-Team“.

Die „Veteranen“ des Komitees, Roland (hier mit seiner Frau Marita), Horst, Dieter, Peter und ich treffen sich noch dreimal jährlich, unter anderem zu einem gemeinsamen Wander-Wochenende (Bild aus 2009).


Zurück zu  Der verschlungene Pfad in Richtung eines Lebens zum Wohl aller Wesen.
Zurück zur Heimatseite