Horst, der Mensch: Der verschlungene Pfad in Richtung eines Lebens zum wohl aller Wesen – Geschichte eines europäischen Buddhisten - Stand 19.1.2020

Szene 48 – Wie ich ganz allein die US-Army besiegte – 1987



Seit 1985 war ich im Kreistag des Main-Kinzig-Kreises. Damals gab es rechnerisch eine rot-grüne Mehrheit, der Landrat, der Chef des Main-Kinzig-Kreises, war zu dieser Zeit allerdings noch von der CDU, aber 1987 wurde ein SPD-Mann mit den Stimmen der Grünen zum Landrat gewählt, denn für die ersten beiden Jahren hatten wir, die Grünen, mit der SPD eine sog. punktuelle Zusammenarbeit vereinbart, d. h. es wurde über jedes Vorhaben gemeinsam verhandelt, ob wir – SPD und Grüne - uns auf etwas einigen konnten, auch über den Haushaltsplan. Das war mühsam, daher wollte die SPD künftig eine feste Zusammenarbeit, vulgo: eine Koalition. Die grüne Kreismitgliederversammlung hatte zugesagt, dass die Grünen in Verhandlungen mit der SPD über eine dauerhafte Zusammenarbeit eintreten sollten.

Also kam es zu Verhandlungen. Die SPD trat in die Verhandlungen anfangs mit voller Besetzung an: ca. 50 Sozialdemokraten saßen etwa zehn Hanseln (und Greteln) der Grünen gegenüber. Zermürbungstaktik. Das größere Sitzfleisch hatten die Sozis. Von uns kamen allmählich immer weniger Leute. Zum Schluss saß ich mitunter allein 40 gegnerischen Sozis in den Verhandlungen gegenüber.

Die SPD-Führung wollte das Scheitern der Gespräche. Das würde so kommen, wenn sich die Grünen entnervt zurückzögen, kalkulierte der SPD-Chef. Die Mehrheit der sozialdemokratischen Basis wollte aber die Zusammenarbeit, also kam es zu diesem Verhandlungsmarathon. Und natürlich bestimmte, wer verhandelt, auch die entscheidenden Punkte der Verhandlung – also immer weniger meine Partei- freundInnen, sondern auf grüner Seite: nur mehr ich. Mir war am wichigsten dieRoko Energiepolitik. Kurz nach Tschernobyl war es gerade im Main-Kinzig-Kreis, damals mit den Hanauer Nuklearbetrieben das Zentrum der deutschen Atom-wirtschaft, ganz entscheidend, die EnergieWende zu schaffen, welche die CDU damals noch vehement ablehnte und die Sozis nur halbherzig unterstützten. Also war mein entscheidender Punkt die Errichtung eines Energiewirtschaftsamtes im Main-Kinzig-Kreis – und die Tatsache, dass dort wir von der EnergieWende das Sagen hätten. (Bild: Roland Kolb, Mitglied des EnergieWende-Komitees, leitete in der Folge das Energiereferat des Main-Kinzig-Kreises)

Während der Verhandlungen aber geschah etwas Unerwartetes, und zwar in genau dem Hanauer Ortsteil, in dem ich wohnte, in Großauheim.

Dort, wo ich wohnte, war ich eingekesselt zwischen dem Großkraftwerk Staudinger,p das war damals das größte Kohlekraftwerk Europas, zwischen den Hanauer Nuklearbetrieben und zwischen einem Truppenübungsplatz der US-Army, dort waren auch Patriotraketen (Bild: Patriot-Raketen auf Selbstfahr-Lafetten) stationiert und dort lagerten – dem Vernehmen nach – auch Atomwaffen.

Diese drei unmittelbaren Nachbarn waren meine Gegner, waren die Gründe, warum ich in die Politik gegangen war. Und ich war nicht bereit, eher zu ruhen, als bis der Schadstoffausstoß im Kraftwerk Staudinger zu 80 % reduziert war, bis die US-Army abgerückt sei und die Hanauer Atombetriebe geschlossen.

Zwischen dem Standort der Raketen im Normalzustand und dem Abschussort auf dem Großauheimer „Exerzierplatz“ war eine Verbindungsstraße, und die war eine Kreisstraße, was bedeutet, dass der Main-Kinzig-Kreis für ihre Erhaltung zuständig war. Bei Manövern wurden diese Raketen also immer über die Kreisstraße auf den Exerzierplatz und hinterher wieder zurück gebracht. Selbstverständlich hatte der Landkreis nicht das Recht, diese Straße einfach zu schließen, schließlich diente sie dem innerörtlichen Verkehr. Und just zu dem Zeitpunkt, um den es hier geht, wurde die Straße, genauer gesagt, der Viadukt, auf dem die Straße über die Bahnlinie zum Kraftwerk Staudinger führte, beschädigt. Steine des Viaduktes waren auf das Gleisbett gefallen, als ein US-Transporter die Brücke passierte. Die Straße musste bis nach der Sanierung gesperrt werden.

Natürlich sollte die Straße schnellstmöglich wieder repariert werden, denn dann könnten die Bewohner Großauheims die Brücke wieder passieren – und die amerikanischen mobilen Raketenabschussrampen auch. Also gab ich eine Presseerklärung heraus, dass es mit den Grünen nicht machbar wäre, die Straßenbrücke – ich gebrauchte das Wort „die Panzerstraße“ - zu sanieren und wieder in Betrieb zu nehmen. Eine Sanierung sei mit uns nur machbar, wenn sicher gestellt werden könne, dass die US-Army die Brücke nicht wieder benutze. Dies sei eine friedenspolitische Notwendigkeit. Natürlich war die SPD zu so etwas nicht bereit.

Vielmehr drängte die US-Army auf eine rasche Reparatur der Brücke. Der Landratpow hatte zugesagt, alles in seiner Macht stehende zu tun, um das zu erreichen. Er stand beim Standortkommandanten im Wort. Und dazu muss man wissen, das unsere Region damals – zu Zeiten von US-Präsident Ronald Reagan – das Aufmarschgebiet für den Ernstfall war. Laut einem Planspiel der US-Army würde der 3. Weltkrieg mutmaßlich hier beginnen, im Fulda-Gap. Daher hatte das Pentagon hier seinen fähigsten Soldaten eingesetzt, am Standort des Fulda-Gap (Sitz Gelnhausen) war Collin Powell (Bild) eingesetzt, späterer Oberbefehlshaber im 1. Irak-Krieg (unter Georg Bush d. Ä.) und amerikanischer Außenminister unter George W. Bush.

Ich war also gerade dabei, mich mit dem Oberkommando der amerikanischen Streitkräfte anzulegen. Das kann man nun vielleicht friedenspolitisch als heldenhaft ansehen, allerdings würde es die realpolitischen Machtverhältnisse bei weitem verkennen, wenn ich geglaubt hätte, ich könne hier wirklich etwas ausrichten.

Mein Plan war ein anderer. Wenn ich das Energiewirtschaftsamt im Main- Kinzig-Kreis wirklich durchsetzen wollte, wenn ich die EnergieWende bei uns im Kreis wirklich voranbringen wollte, musste ich ein Druckmittel aufbauen, musste ich etwas von hohem Symbolwert aufbauen, das ich zum Schluss im Gegenzug für die Einführung des Energiewirtschaftsamtes aufgeben könnte - und das sollte die „Panzerstraße“ sein. Wohl wissend, dass ich deren dauerhafte Sperrung nicht durchbekommen konnte, hängte ich dieses Symbol so hoch, dass die Sozis sich als Sieger fühlen konnten, wenn ich ganz zum Schluss die Behinderung der Panzerstraße für das Energiewirtschaftamt aufgeben würde.

Selbstverständlich taten die Sozis alles, um mich von meiner Panzerstraßenposition abzubringen. Es gab sogar eine Bürgerinitiative von Anwohnern (Pendlern), für den Bau der Straße. (Übrigens geleitet von einem Mann, der hinterher für die Grüne Liste in den Großauheimer Ortsbeirat einzog.) Täglich berichtete die Presse. Die SPD prophezeite mir, ich würde meine Anhänger deswegen verlieren, ich würde in meiner eigenen Heimat, in Großauheim, einen tiefen Einbruch erleben, die Großauheimer würden sich von mir abwenden. Dem war allerdings keineswegs so. Genau hier, im Umfeld der von mir behinderten Panzerstraße, erzielten die Grünen bei den folgenden Wahlen 1989 ihr bestes Ergebnis von Hanau und eines der besten im ganzen Kreis.

Aber noch war es nicht so weit. Es war der letzte Abend der rot-grünen Verhandlungen. Der Abend, an dem der Kompromiss erfolgen musste. Wieder wurde hoch gepokert. Mein Kalkül: kurz vor dem Ende, gegen Mitternacht, würde es eine Unterbrechung geben müssen. Kurze Verhandlungen im kleinen Kreis, dann der Kompromiss: die Grünen bekommen ihr Energiewirtschaftsamt, die Sozis dürfen die Panzerstraße bauen. So geht Politik, ein Spiel mit Muskeln und Bluffs, alles andere als angenehm, aber so waren nun einmal die Usancen.

klemmGegen halb zwölf abends meldete sich Lothar Klemm zu Wort, der Hessische Wirtschaftsminister. Ich war froh darüber, vermutlich würde er ein Gespräch mit mir unter vier Augen vorschlagen und darin als letzte Möglichkeit den Kompromiss, EnergieWende-Amt ja, aber im Gegenzug Sanierung der Panzerstraße, verlangen. Klemm (Bild) stand auf und sagte: „Was soll das Ganze, liebe Genossinnen und Genossen? Ihr habt gehört, diese beiden Punkten sind für die Grünen nicht verhandelbar. Dann stellt sich doch nur noch die Frage: wollen wir rot-grün - ja oder nein. Und ich meine: Ja! Lassen wir denen diese beiden Positionen, das ist zwar für uns nicht schön, aber wir haben dann eine feste Zusammenarbeit auf Jahre hinaus und können viele, sehr viele, sozialdemokratischen Positionen durchsetzen. Also Schluss der Debatte, fordere ich, und: Abstimmung!“

Es gab keine weiteren Wortmeldungen. Alle waren müde und wollten heim. Die feste Zusammenarbeit war beschlossen. Und erstaunlicherweise hatte ich nicht nur das EnergieWende-Amt durchgesetzt, sondern auch noch die Panzerstraße geschlossen, etwas, das ich selbst nicht für möglich gehalten hätte – und das niemals in den Verhandlungsrunden einen solchen Stellenwert bekommen hätte, wenn ich nicht einige Male völlig allein in den Verhandlungsrunden mit der SPD gesessen hätte.


Es dauerte bis 1991, bis das Thema Neubau der Brücke wieder auf die Tagesordnung des Kreistages kam. Die FDP hatte den Bau der Brücke beantragt. Inzwischen gab es nicht nur eine feste Zusammenarbeit, sondern auch eine rot-grüne Koalition. SPD und CDU hatten im Vorfeld ihre Zustimmung zu dem FDP-Antrag zugesagt.

Für die Grünen ging ich ans Mikrofon:

Sehr geehrte Damen und Herren, im Jahr 1987 haben wir mit rot-grüner Mehrheit den Nichtbau der neuen Brücke beantragt. Zwar war uns bewusst, dass dadurch einige Nachteile auf die Großauheimer Bürgerinnen und Bürger zukamen. Wichtiger war uns jedoch das friedenspolitische Signal: Osthessen darf nicht zum Aufmarschfeld für den Dritten Weltkrieg werden!

Meine sehr geehrten Damen und Herren, mit großer Freude habe wir den Beschluss der US-Regierung für einen Teilabzug ihrer Truppen aus Deutschland vor einem halben Jahr zur Kenntnis genommen.

Wie sie vielleicht wissen, ist unter den allerersten Standorten, die geschlossen werden, der Patriot-Raketen-Abschussplatz Großauheim. Und, liebe Kolleginnen und Kollegen, sie können sich ruhig einmal fragen, warum das so ist, warum die Amis sich hier als erstes entnervt zurückziehen. Die Raketen wurden bereits vor zwei Monaten in den Nahen Osten verlegt, derzeit ist die US-Army mit dem Abzug aus Großauheim beschäftigt. Unser Ziel, das wir mit der Behinderung der Panzerbrücke erreichen wollten, haben wir erreicht. Die Patriotraketen sind weg. Als Friedensbewegung sind wir dem obersten Ziel verpflichtet: Es darf nie wieder Krieg von deutschen Boden ausgehen. Meine Damen und Herren, wir haben unser Möglichstes dazu getan und wir hatten Erfolg!

Und nun müssen wir zusehen, dass die Großauheimer endlich ihre neue Brücke bekommen. Aber im Unterschied zur alten Brücke werden keine Panzer und Raketen mehr dort fahren. Im Unterschied zur alten Brücke soll dort jetzt zusätzlich ein Radweg gebaut werden. Fahrrädern gehört die Zukunft, nicht Panzern und Raketen!

Ich bitte sie, dem FDP-Antrag auf Bau der neuen Brücke zuzustimmen.“

Der Kreistag entsprach meiner Bitte einstimmig.

Einer der drei oben genannten Punkte, warum ich in die Politik gegangen war, war damit erfüllt. Das Kraftwerk Staudinger hatte außerdem die besonders schädlichen Schwefelemissionen in der Zeit, in der ich in der Kreispolitik war, um über 90 % reduziert. Und als auch die Hanauer Nuklearbetriebe geschlossen waren, waren meine wichtigsten Ziele vor Ort erreicht.

So konnte ich mich seit Mitte der 90er Jahre einem noch wichtigeren Ziel zuwenden, der Entwicklung meines Geistes:

Gier löse ich auf in Stille und läutere so meinen Geist.

Hass kehre ich um in Mitgefühl und läutere so meinen Geist.

Unwissenheit verwandle ich in Weisheit und läutere so meinen Geist.


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