Horst, der Mensch: Der verschlungene Pfad in Richtung eines Lebens zum wohl aller Wesen – Geschichte eines europäischen Buddhisten - Stand 19.1.2020

Szene 46 – Kühhude - 1996-2000



Im Januar 1996 war ich erstmals bei einer Veranstaltung der Buddhistischen Gemeinschaft Triratna (damals: FWBO) in Essen. Ich war begeistert vom Klima bei Triratna und insbesondere von zwei Ordensmitgliedern: Jayacita und Shantipada (vgl. Szene 036). Und da ich an diesem Tag auch feststellte, dass diese beiden gemeinsam ein verlängertes Retreat-Wochenende über Ostern leiten, habe ich mich sofort dafür angemeldet.

1913

Am Gründonnerstag ging es dann zu diesem sonderbaren Ort im Sauerland nahe Bad Berleburg. Das Haus war von Triratna gemietet, es gehörte dem Bauern Althaus, dessen Bauernhof (im Bild links) direkt daneben war. Kühhude war früher eine Jugendherberge gewesen. Da sie in den 60er Jahren nicht mehr dem gestiegenen Jugendherbergsstandard angemessen war, vemietete sie der Bauer zunächst an alle möglichen Gruppen, zuletzt aber ganz an Triratna. Allerdings investierte er nicht in eine Modernisierung, und auch Triratna tat das nicht, weil man nicht wusste, wie lange wir hier zur zu Miete bleiben konnten. Daher war der Standard weit von dem entfernt, was bei vergleichbaren Retreathäusern üblich war – ich aber fand es himmlisch. Es erinnerte an meine Zeit in besetzten Häusern während des Häuserkampfes im Frankfurter Westend (vgl. Szene 032). Die Möbel waren vom Sperrmüll und die Etagenbetten hoffnungslos durchgelegen. Aber da die meisten Leute ihre Matratzen sowieso aus den Betten nahmen und sie auf den Boden legten, machte das nichts - auch wenn die Matratzen und Bettdecken deutliche Spuren von jugendlicher Nutzung aus vielen Jahrzehnten trugen. Heute habe wir ein viel schöneres Reteatzentrum, Vimaladhatu im Sauerland, aber ich denke immer noch voller Wehmut an Kühhude zurück. Vimaladhatu heißt „Vollendeter Ort“ - Kühhude war das hoffnungslose Gegenteil davon, aber ein Ort mit einem ganz besonderen Charme (das Bild oben entstand um 1913).

khAuf diesem Bild befindet sich links das kleinere Bauernhaus, rechts unser Retreathaus.

Wir waren etwa 40 TeilnehmerInnen. Wir verwalteten alles selbst, es gab keine Angestellten, wir hatten Küchendienst, kochten das Essen, deckten die Tische (der große Raum unterhalb des Fachwerks war unser Speiseraum). Morgens um 6.30 h war Wecken, von 7.00 h bis 8.45 h Meditation, dann Frühstück, anschließend Joga, wieder Meditation, Mittagsimbiss, Mittagspause, dann wieder Meditation und Kommunikationsübungen, eine Gesprächsgruppe, um 18.00 h die Hauptmahlzeit und um 20.00 h Puja (Ritual) und wieder Meditation.

Sehr gewöhnungsbedürftig waren die Kommunikationsübungen, in denen es um empathische, nonverbale Kommunikation ging, was allerdings so nicht gesagt wurde. dkStatt dessen wussten wir nur, dass wir mit schönster Redundanz immer wieder ein und denselben Satz unserem Gesprächspartner sagen sollten. Mein Satz war: „Wasser ist nass“, und mein Gesprächspartner erwiderte mit Engelsgeduld: „Fliegen die Vögel?“d8dk Mein Kommunikationspartner war ein sehr beeindruckender Mann. Erst hatte ich noch gedacht er sei irgend so etwas wie ein alter Hausmeister, da er so einfach und zurückhaltend wirkte. Später bekam ich mit, dass er früher Benediktinermönch war, Theologie studiert hatte, bis er die Nichtexistenz Gottes erkannte, dann marxistische Wirtschaftslehre studierte, später im Finanzministerium in Brüssel arbeitete, dann Mitbegründer der flämischen Grünen war (er ist Belgier), zehn Jahre dem belgischen Parlament angehörte, seit einem Jahr ordiniert war und nun Dhammaketu hieß und derzeit Triratna in Gent aufbaute.

dpYogaunterricht gab Dharmapiya (rechts), ein Kanadier, der Triratna in den 80ern in Deutschland (zusammen mit Dhammaloka) aufbaute und der Yogalehrer in spganz Europa und in Lateinamerika aufbildete, die Meditationen leitetej Shantipada (links). Am Abend in der Puja wurden unter anderem Mantras rezitiert, was ganz wunderbar klang, vor allem wenn Jayacitta sie einleitete, die eine engelsgleiche Stimme hat. Außerdem erinnere ich mich mit großer Freude an buddhistische Geschichten, die sie erzählte. Mich brachte dies später auf die Idee auch in meinen Veranstaltungen Geschichten zu erzählen, viele davon finden sich auch auf meiner Internetseite.

Dennoch störte mich einiges. Die Puja fand ich von einigen ihrer Inhalte her ziemlich schräg, sie machte mich sogar relativ wütend. Danach hatte ich starken Gesprächsbedarf. Doch ausgerechnet nach der Puja war ein zwölfstündiges Schweigen vorgeschrieben. Ich setzte mich also in den Aufenthaltsraum auf ein Sperrmüllsofa und schrieb mir meine Wut vom Leibe.

Auch morgens saß ich schon recht früh in diesem Aufenthaltsraum. Das war die Zeit, als eines der Mädels mit der Glocke herumging, um die Leute zu wecken. Sie tat das in knapper Unterwäsche, was ich ganz reizend fand. Dies war sicher nicht der entscheidende Grund, dass ich mich hinterher sofort für eine längeres Retreat anmeldete, aber mag wohl bei den entsprechenden Überlegungen auch mitgespielt haben. Es hat sich allerdings dann herausgestellt, dass dies eine eher untypische Bekleidungssitte war. (Irgendwie schade.)

Im Sommer war ich wieder in Kühhude, diesmal für zwei volle Wochen. Und in dieser Zeit hatte ich richtig tolle Meditationen. Unter anderem hatte ich hier die Meditation, die ich in Szene 002 beschrieb („Wie ich einmal starb?“). Tatsächlich habe ich in dieser Zeit auch merkwürdige Träume gehabt, wie denjenigen, dass ich die Zeitung aufschlug und mit Interesse meine eigene Todesanzeige las.

Besonders ergreifend war eine Meditation, in der ich mich selbst wie einen Fremden betrachtete, nämlich aus den Augen meiner Familienmitglieder, und mir so aus ihrer Perspektive alle diejenigen Verhaltensweisen ansah, die für diese problematisch waren. Ich nahm mir fest vor, dies zu ändern und die gewonnenen Erkenntnisse in die Praxis umzusetzen. Zumindest hinsichtlich meiner Beziehung zur Mutter meiner Kinder war das allerdings nicht vom erwünschten Resultat gekrönt. So wie ich mich veränderte, veränderte sich auch ihre Beziehung zu mir – sie wies mich zurück. Es stand plötzlich kein Teller mehr für mich auf dem Tisch. Und die ehelichen Beziehungen beendete sie auch, ohne jede Erklärung. So hatte mein Kühhude-Aufenthalt einschneidende Veränderungen. Andererseits erstarb da etwas, das wohl wirklich am Ende war.

mDas Bild zeigt unseren Schrein- und Meditationsraum, der in einem extra Gebäude war, in einer Holzbaracke. Wir saßen damals auf Schaumstoff- blöcken, die etwas bröcklig waren (heute haben sie schicke Überzüge). Die Decken, die man um sich legen konnte, hatten keinen ein- heitlichen, auf die Überzüge von Kissen und Matten abgestimmten Farbton, wie heute, sondern waren aus chaotisch bunter Vielfalt, so wie sie eben gespendet worden waren. Das Holz der Baracke war teilweise durchgemodert und von zahlreichen Mäusen durchgenagt. Im Winter versuchten wir mit einem Elektroradiator und einem Gasofen etwas Wärme in den Raum zu bringen, dennoch waren die Temperaturen nicht sehr weit über dem Gefrierpunkt, unseren Atem konnte man deutlich sehen – aber unter zwei Decken ließ es sich ganz gemütlich meditieren. Alles war sehr improvisiert, aber ich fand es herrlich. Ich denke auch der Buddha legte nicht besonderen Wert darauf, dass das Grün von Gras, Büschen und Bäumen in den Wäldern, in denen er meditierte, farblich aufeinander abgestimmt war. Meines Wissen hatte er auch kein Ästhetik-Team eingesetzt, wie das heute bei Triratna üblich ist. Und ich glaube nicht, dass seine Meditationen und die seiner Sangha dadurch wirklich schlechter waren, als das heute bei Triratna der Fall ist.

Wie man unschwer erkennen kann, trauere ich etwas vergangenen Zeiten nach. Doch diese Zeiten mussten vergehen. Bauer Althaus heiratete, und die Miete für das Haus wurde daraufhin um 100 % erhöht, gleichzeitig gab es noch immer keine Sicherheit für die Zukunft und keine Investitionen ins Gebäude. Daher wurde ein anderes Objekt gesucht, eines, das Triratna kaufen und renovieren konnte. Es wurde im Jahr 2000 gefunden. Damals zogen wir mit einem Ritual von Kühhude nach Vimaladhatu („Ort der Perfektion“) um. Auch dieses Gebäude war damals heruntergekommen, aber es kopfwurde von Ordensmitgliedern und Freunden unter Leitung von Bodhimitra (Bild) umgebaut, und ist jetzt ein adrettes Gebäude, ästhetisch schön, zweckmäßig. Leider hatte ich dort niemals so erfolgreiche Meditationen wie in Kühhude. Während ich in Kühhude fünfmal jährlich war, bis zu zwei Wochen am Stück, ging ich danach höchstens dreimal im Jahr nach Vimaladhatu, maximal für eine Woche. Zuhause - und insbesondere im Meditationsraum in Gelnhausen - sind die Meditationen für mich erfolgreicher, gelingt es mir besser, an meinem Geist zu arbeiten. Das muss nicht am Ort liegen, das kann einfach an mir liegen.

Aber mitunter denke ich wehmütig zurück an die Zeiten, in denen wir zum Beispiel das Sangha-Fest in Kühhude feierten; erinnere mich an Zeiten, in denen nicht alles vom Ordensteam vorgegeben wurde, sondern als einfache Freundinnen und Freunde Übungen verschlugen und wir diese ausprobierten, Spaß hatten und uns selbst besser verstanden.

Höchsten Genuss bereiteten mir die Gehmeditationen barfuß im Freien, auf der Weideg hinter dem Retreathaus. Frischer Tau unter den Füßen, ein dichter Nebel ließ nichts anderes sichtbar werden als das, was im Umkreis von 5 m um uns war. Einfaches achtsames Gehen in der unendlichen Leerheit des Nebels, ein Mantra auf den Lippen, die kühle Frische des Bodens unter den Füßen, der Blick in ein bis zwei Meter Entfernung auf den Boden gerichtet oder auf die Füße der Person vor einem.


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