Horst, der Mensch: Der verschlungene Pfad in Richtung eines Lebens zum wohl aller Wesen – Geschichte eines europäischen Buddhisten - Stand 8.1.2020

Szene 27 – Der DBU-Kongress 1995 in München



Im Jahre 1995 war mir mehr und mehr bewusst geworden, wie wichtig es ist, einer Sangha, einer Gemeinschaft buddhistisch praktizierender Menschen, anzugehören. Hugo, mein Computer, hatte mich vorher drei Monate lang alle zwei Stunden dazu aufgefordert: Suche den Sangha! (vgl. Szene 025) Ende des Jahres war es soweit, ich hatte mich zum jährlichen Kongress der DBU angemeldet. Die DBU ist die Deutsche Buddhistische Union, die Dachorganisation aller größeren buddhistischen Vereinigungen in Deutschland. In diesem Jahr fand der Kongress in München statt.

Mein Ziel war es, mich hier tiefergehend über das buddhistische Angebot in Deutschland zu orientieren, um herauszufinden, welcher Sangha für mich in Frage käme. Drei Personen sind mir auf dieser Veranstaltung begegnet, die mich – auf sehr unterschiedliche Weise – stark beeindruckt haben.

Die erste Person war Ayya Khema, die bislang bedeutendste deutsche buddhistische Nonne. Was mir an ihr besonders gefiel, war ihre Ruhe und Gelassenheit. Statt eines Vortrages leitete sie eine Meditation, eine Variante der metta bhavana, der Meditation zur Entfaltung liebender Güte. Sie tat das mit solch einer Ruhe, dass ich es äußerst inspirierend fand. Noch interessanter fand ich das, was ein Tag später geschah. Irgendein buddhistischer Lehrer hielt irgendeinen ziemlich langweiligen Vortrag. Es fiel mir schwer, aufmerksam zu bleiben. Doch dann drang etwas an mein Ohr, was mich zunächst verwunderte, alsdann erheiterte: ein Schnarchen. Ich drehte mich um - und sah Ayya Khema, sie machte das einzig Vernünftige während dieses Vortrages: sie gönnte sich etwas erholsamen Schlaf.

Am nächsten Tag war ich in einem Workshop, in dem es um unsere Verbindung mit der Erde und unserer Geschichte als Menschen, als Säugetiere ging. Wir nahmen tatsächlich Kontakt mit dem Boden auf, fühlten das Erdelement und verbanden uns mit denen, die vor uns da waren und jenen, die nach uns kommen werden. Es war etwas, was man als ökologischen Buddhismus bezeichnen könnte. Die Übungen wurden geleitet von Alfred Weil, dem damaligen Vorsitzenden der DBU. Hier habe ich erste Inspirationen für das bekommen, was ich 20 Jahre später in meinem Projekt ErDa, das man unter www.kommundsieh.de findet, umgesetzt habe.

Und dann gab es da eine Person, deren Auftreten in mir heftige Widerstände auslöste: Claude Anshin Thomas. Er war im gleichen Jahr geboren wie ich. Aber während ich mich Ende der 60er Jahre in der Bewegung gegen den Vietnam-Krieg engagierte, ging er 17-jährig als GI nach Vietnam, wo er nach eigener Auskunft den Tod von etwa 300 Menschen zu verantworten hatte, bevor er 20 wurde. Hier trat er jetzt als buddhistischer Mönch und Friedensapostel auf. Ich spürte ganz heftigen Widerstand in mir. Erst viel später, als ich seine Lebensgeschichte aus seiner eigenen Feder geschrieben, gelesen hatte, verstand ich, wie man in solche Verblendung kommen konnte. Viel erinnerte mich an die Nazi-Vergangenheit einiger meiner Familienmitglieder. Erst, wenn man gesehen hat, wie Leute aufwachsen, welchen Einflüssen sie ausgesetzt sind, kann man ermessen, warum sich manche Wesen auf so unvorteilhafte Art verhalten. Es ist dies die grundlegende Lehre des Buddha: Entstehen in Abhängigkeit von Bedingungen, von denen wir einige, aber bei weitem nicht alle, beeinflussen können.

Und oft, wenn ich im Begriff bin, mich über irgend jemanden aufzuregen, einen IS-Kämpfer beispielsweise oder auch einen Diktator, erinnere ich mich daran, dass diese unter völlig anderen Bedingungen aufwuchsen als ich. Um es ganz klar zu sagen: das entschuldigt nichts! Aber es erklärt vieles. Zu sehen, wie sich die Wesen in Abhängigkeit von Bedingungen entwickeln und verhalten, ist eine der Voraussetzungen, Gleichmut zu entfalten. Gleichmut ist nicht Gleichgültigkeit. Gleichmut ist von ganz starker Empathie getragen. Von Empathie mit allen Beteiligten. Dem GI, dem Vietcong, dem Anti-Vietnamkriegs-Aktivisten. Dem NS-Mitläufer, dem KZ-Insassen und dem SS-Mann. Erst wenn wir in den Taten der Verblendeten auch unsere eigene Verblendung wieder erkennen können, erst dann beginnen wir zu verstehen, erst dann sind wir auf dem Weg, uns spirituell zu entwickeln.

Ich hatte auf dieser DBU-Tagung auch meinen ersten Kontakt mit der einzigen Gruppierung aus dem Main-Kinzig-Kreis, in dem ich damals wohnte, zum Wat Puttabenjapon, das dort allerdings keinen besonders berauschenden Eindruck bei mir hinterließ, es war deutlich von asiatischer Kultur geprägt.

Mich interessierte die Richtung von Ayya Khema, die mir ein deutscher, ein europäischer, ein westlicher Theravada-Ansatz zu sein schien. Da ich mich damals in Richtung der buddhistischen Theravada-Schule orientierte, war das interessant. Es gab auch ein entsprechendes Retreathaus im Allgäu, vielleicht sollte ich dort ein Retreat machen? Dazu kam, dass ich bereits Bücher von Ayya Khema gelesen hatte, Bücher die den Geist und mehr noch das Herz ansprechen.

Als zweite Richtung kam für mich die Richtung des vietnamesichen Dharma-Lehrers Thich Nhat Hanh in Frage, das war die Schulrichtung, die Claude Anshin Thomas „bekehrt“ hatte. Für Thich Nhat Hanhs Bücher galt ähnliches wie für die von Ayya Khema, allerdings gaben mir seine Meditationen, die einen ökologisch- ganzheitlichen und sozialen Ansatz hatten, noch mehr als die von Ayya Khema. Sein großes Retreat-Zentrum war allerdings in Frankreich, aber seine Anhänger führten auch Retreats in Deutschland durch.

Als Drittes interessierte ich mich für das Internationale Netzwerk Engagierter Buddhisten. Dort so, hoffte ich, könnte ich unter buddhistischen Vorzeichen das weiter betreiben und weiter entwickeln, was ich im ÖkoBüro Hanau getan hatte.

Und eine vierte Gruppierung war mir noch aufgefallen, allerdings schien von denen niemand da zu sein, besonders fand ich deren Namen inspirierend: Freunde des Westlichen Buddhistischen Ordens, FWBO. Ich suchte den Dharma, nicht das Exotische. Eine Bach-Kantate spricht mich mehr an als tibetischen „Katzenmusik“. Ein barockes Vanitas-Gemälde (Bild unten) vermittelt mir mehr das Gefühl von Vergänglichkeit als ein asiatischer Thangka. Daher: ein westlicher Buddhismus, das erschien mir höchst attraktiv.

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Am liebsten wäre mir jedoch eine Gruppe aus dem Rhein-Main-Gebiet gewesen. Ich beschloss daher, verschiedene Gruppen im Rhein-Main-Gebiet zu besuchen und nach Möglichkeit eine längere Veranstaltung, ein Retreat oder einen Workshop einer der vier genannten Gruppierungen, die mir besonders gefallen hatten, zu besuchen. Und ich war ziemlich sicher, dass ich ein Jahr später – Ende 1996 – wissen würde, wohin ich gehörte.

Quod erat demonstrandum.


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