Horst, der Mensch: Der verschlungene Pfad in Richtung eines Lebens zum wohl aller Wesen – Geschichte eines europäischen Buddhisten - Stand 5.1.2020

Szene 24 – … und wie man Schulleiter wird! - 1979



Ich habe an dieser Stelle inzwischen berichtet, auf welche Art ich in den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts Englischlehrer wurde (Szene 022), und auch wie mich ich als Deutschlehrer qualifizierte (Szene 023). Nun will ich auch noch erläutern, auf welche Art man Schulleiter werden konnte. Wir erinnern uns: ich hatte mein Refrendariat in Hanau als Wirtschaftspädagoge absolviert. Zuvor hatte ich an der Universität in Frankfurt studiert und dort den Abschluss als Diplom-Handelslehrer mit der Note 2 erhalten. Mein zweites Staatsexamen, der Abschluss der Refrendariatsausbildung, war jedoch nur mit der Note 3 bewertet worden, da meine Vorstellungen und die des damaligen Zeitgeistes, wie Schule zu sein hätte, leider nur sehr mäßig kompatibel waren. Dies gab nach der damals im Hessischen Kultusministerium herrschenden Mittelwertberechnung die Einstellungsnote 2,6.

Ich hatte zunächst einen Einjahres-Vertrag vom Land Hessen bekommen und war den Beruflichen Schulen in Gelnhausen zugeteilt worden. Dort konnte ich den Eindruck erwecken, ich sei Englischlehrer, und so wurde ich in Gelnhausen auch tatsächlich angestellt. Aufgrund einer etwas ungeschickten Prüfungsordnung und eines umso geschickteren Verhaltens meinerseits war es mir gelungen, im Laufe dieses einen Vertragsjahres zum Schein-Germanisten aufzusteigen. Meine Einstellungsnote hatte sich dadurch auf 2,2 verbessert, die entsprechende Berechnungsgrundlage kannte vermutlich nur der Hessische Kultusminister persönlich. Und auf dieser Grundlage wurde im Jahre 1978 mein Jahres-Vertrag in einen Dreijahres-Vertrag umgewandelt. Andererseits war es mir inzwischen gelungen, mich beim damaligen Schulleiter derartig unbeliebt zu machen, dass ich eigentlich keine Zukunft mehr an dieser Anstalt für mich sah. Ich hatte also noch genau zwei Jahre, in denen ich in Lohn- und Brot war - und in dieser Zeit, so sagte ich mir, müsse ich mir eine andere Existenz aufbauen.

Mein Versuch mit der Gunkel & Co KG und der Rationellen Stenografie ein tragfähiges Geschäftsmodell aufzubauen, war inzwischen gescheitert (vgl. Szene 013). Was könnte ich also tun? Irgend etwas Praktisches hatte ich eigentlich nicht gelernt. Ich war vielmehr nur Lehrer, hatte etwas Ahnung von Wirtschaftswissenschaften und konnte leidlich gut tricksen. Was blieb mir also übrig? Nun, wenn mich keine Schulleitung haben will, so sagte ich mir, müsse ich eben selbst Schulleiter werden, ist doch logisch, oder?

Es gab staatliche und private Schulen. Eine staatliche Schule schied aus, dafür hätte ich vermutlich erst einen Staat gründen müssen, was mir als etwas zu umständlich erschien. Also eruierte ich, welche Möglichkeiten bestanden, eine Privatschule zu gründen und aufzubauen. Die Schwierigkeit dafür bestand natürlich darin, dass ich ja noch im Staatsdienst war. An Räume zu kommen erwies sich hingegen als etwas einfacher. Meine Mutter war gerade gestorben, und die Wohnung im Erdgeschoss frei geworden – bis auf die liebe Großmutter, aber die benötigte nicht viel Platz. Für eine Übergangszeit musste das gehen, sagte ich mir.

Wenn ich auf meinen eigenen Namen eine Schule gründen wollte, brauchte ich dazu eine Genehmigung für einen Nebenerwerb, zu beantragen bei meinem Arbeitgeber. Das konnte ich vergessen. Gab es andere Personen, auf die ich ein solches Unternehmen anmelden könnte? Meine Töchter kamen dafür leider noch nicht ganz in Frage: zwei bzw. drei Jahre alt – geschäftsunfähig im Sinne des Rechts. Die liebe Großmutter? Die gute Frau war 95 und seit dem Tod ihres einzigen Kindes in diesem Jahr weigerte sie sich, irgendetwas zur Kenntnis zu nehmen, wollte nur noch sterben. Also auch Fehlanzeige. Blieb noch Elonore, die Mutter meiner Kinder. Die hatte ich bereits vor Jahren zur Stiefolehrerin ausgebildet, und sie war außerdem stellvertretende Vorsitzende der „Vereinigung Rationelle Stenografie e. V.“, die wir vor einiger Zeit gegründet hatten. Weiterhin hatte sie auch eine Stenografieprüfung bei der IHK in Hanau absolviert. Das wäre eine Idee.

Also schaute ich in den einschlägigen Gesetzen und Verordnungen nach, welche Qualifikationen eigentlich eine Schulleiterin einer „privaten Ergänzungsschule“, so hieß dies im juristischen Fachjargon, haben müsse. Und ich stellte fest: eigentlich keine besondere. Eine Schulleiterin ist keine Lehrerin, sondern Managerin – und das ist kein anerkanntes Berufsbild. Zwar wurde im Normalfall davon ausgegangen, dass ein Schulleiter Fachkenntnisse und eine staatlich anerkannte Lehrbefähigung haben solle. Hätte er diese nicht, so muss es zumindest eine andere Person in diesem Unternehmen haben, der/die darüber verfügte. Könnte ich das sein? Wäre das nicht eine genehmigungspflichtige Nebentätigkeit?

Ich recherchierte weiter und stellte fest, dass eine genehmigungspflichtige Nebentätigkeit nur vorläge, wenn ein Arbeitsvertrag oder ein entlohnter Dienstvertrag abgeschlossenen worden sei. Beamte und staatliche Angestellte dürfen aber als mithelfende Familienangehörige ihre Ehegatten in deren Betrieb unterstützen, wenn dies nicht entlohnt wird, wenn kein Arbeitsvertrag vorliegt und wenn die Tätigkeit nach Art und Umfang der dienstlichen Tätigkeit nicht entgegensteht.

Wow, das war doch etwas! Eleonore wird Schulleiterin, ich werde mithelfender Familienangehöriger, wir haben in der ersten Zeit eine Schule im eigenen Haus! Was muss noch her? Tafel, OHP, Schultische und Stühle, Schreibmaschinen für den Unterricht in Maschinenschrift, ein Schulungsprogramm, also gewissermaßen ein Lehrplan – das ist bei der Schulgenehigungsbehörde einzureichen – eine Werbekampagne, Kontakte mit der IHK. Nichts leichter als das!

Als erstes schrieb ich einen Lehrplan und arbeitete ein Kursprogramm aus. Mittels Tafelfolie wurde eine Wand des früheren Wohnzimmers meiner Mutter zum Klassenraum umgewandelt, Stühle und Tische bekam ich von der Großauheimer Lindenauschule, mein Cousin Walter – der mit dem Kasten Bier (vgl. Szene 009 ihr erinnert euch?) - war dort inzwischen Förderstufenleiter und war froh einiges, was dort auf dem Speicher den Raum verstopfte, loszuwerden. Zehn Schreibmaschinen wurden gekauft (PCs gab es noch nicht), einen Fotokopierer hatte die Vereinigung Rationelle Stenografie bereits – die waren damals noch richtig teuer: 8000 DM, dafür bekam man schon einen kleinen Neuwagen!

Also ab mit den Genehigungsunterlagen zur Genehmigungsbehörde, das war der Regierungspräsident in Darmstadt. Was ich jedoch nicht wusste: derjenige Beamte, der im Regierungspräsidium für die Anmeldung von privaten Ergänzungsschulen zuständig war, war der gleiche, der auch die Zuständigkeit für meine Anstellung an den Beruflichen Schulen inne hatte.

Drei Tage später kam Post von Regierungspräsidium, das war schnell gegangen! Überraschenderweise sogar zwei Briefe. Der eine bestätigte die ordnungsgemäße Gründung der privaten Ergänzungsschule. Das war logisch, denn alle Voraussetzungen hatten vorgelegen, einschließlich derjenigen, den fachkundigen Lehrer zu benennen, der die fachunkundige Schulleiterin unterstützt – das war ich, der „mithelfende Familienangehörige ohne eigene finanzielle Bezüge“. Eine Ergänzugsschule war – im Gegensatz zur Ersatzschule – nicht genemigungspflichtig, sondern nur anmeldepflichtig. Und da alle Voraussetzungen vorlagen, war dies nur eine Formsache. Das Projekt konnte laufen!

Aber da war noch dieser zweite Brief. Er war von der gleichen Person unterschrieben, die auch die ordnungsgemäße Gründung der Privatschule bestätigte – und dieser Brief war die eigentliche Überraschung: es war die Umwandlung meines befristeten Arbeitsvertrages in einen unbefristeten – und der Hinweis, dass, wenn ich nicht in gravierender Weise gegen meine Dienstpflichten verstieße, eine Verbeamtung innerhalb der nächsten beiden Jahren automatisch erfolgen würde.

Ich war selig: ich brauchte die ganze Sache mit der Privatschule nicht mehr! Freudig teilte ich Eleonore die neueste Entwicklung mit.

Da habe ich aber auch noch ein Wörtchen mitzureden!“ war ihre – für mich damals völlig überraschende - Erklärung. „Schließlich bin ich die Schulleiterin. Als ich letztes Jahr mein Studium als Grundschullehrerin aufgegeben habe, weil dort keine Lehrkräfte gebraucht werden, hatte ich zunächst keine Perspektive. Jetzt habe ich eine. Seit heute bin ich Leiterin einer anerkannte Ergänzungsschule!“

Das war tatsächlich ein Aspekt, den ich gar nicht beachtet hatte. Also blieb die Privatschule. Ich zog mich zwar weitgehend aus der Planung zurück, aber zunächst waren da ja noch die Kurse, die wir bereits angekündigt hatten. Also unterrichtete ich morgens an den Beruflichen Schulen in Gelnhausen, und abends Kurzschrift, bisweilen Maschinenschreiben und selbstverständlich Buchführung am „vfs-Institut“ in Großauheim. Den Namen vfs-Institut (vfs = „Vereinigung freier Schulen“) hatte ich der Einrichtung eher zufällig gegeben, denn an unserem Haus prangte noch das Schild „vfs“. Dieses Kürzel stand einmal für „Verein für Stiefografie“, der war jedoch inzwischen in „Vereinigung Rationelle Stenografie e.V.“ umbenannt. Da ich ein sparsamer Mensch bin, wollte ich eigentlich nur das bisherige Schild weiter nutzen, es hatte schließlich einmal über 40 DM gekostet...

Aber möglicherweise war es gerade dieses Schild, das eine völlig neue Entwicklung einleitete – oder besser: es war wohl der Anspruch, eine „Vereinigung freier Schulen“ zu sein, der die Konkurrenz auf unseren Laden aufmerkam machte. Eine internationale Kette von Privatschulen, die unter zwei renommierten Bezeichnungen in verschiedenen Ländern Europas vertreten war, wurde auf den neuen Konkurrenten in Hanau mit dem vermeintlich großen Anspruch „Vereinigung freier Schulen“ aufmerksam. Jedenfalls überraschte mich Eleonore 1979 mit der Neuigkeit, sie würde unser „vfs-Institut“ mit dieser anderen Institution fusionieren. Ein Vorvertrag wäre bereits abgeschlossen. Der Name der renomierten Schule, würde auch hier in Hanau übernommen und sie sei ab dem nächsten Monat Schulleiterin dieser Schule. Die Räumlichkeiten bei uns im Hause würden dann nicht mehr benötigt.

Dies verschlug mir nun wirklich die Sprache. Umso mehr, als Eleonore mir in der kommenden Woche die neuen Räumlichkeiten zeigte. Nicht mehr im Großauheimer Auwanneweg, sondern in der Hanauer Innenstadt, in der Haupteinkaufsstraße, der Nürnberger Straße. Die Räumlichkeiten waren zwei Etagen des früheren Kaufhauses „Kaufhof“, sehr repräsentativ, u. a. mit Kaminzimmer. Eleonore hatte ein tolles Aufgabenfeld für sich gefunden!

In den nächsten zwei, drei Jahren war sie in erster Linie mit „ihrer Schule“ verheiratet, sie verließ unser Haus morgens bereits um halb sieben und kehrte gegen 20 oder 21 h zurück. Die Kinder waren jetzt bei mir. Meine Tätigkeit für diese Schule bestand in erster Linie im Kopieren; am teuren Fotokopierer der VRSt e. V. wurden die Kopierarbeiten für Elis Schule erledigt, nur ein, zweimal gab ich dort einen Kurs, Buchführung.

Die Privatschule ließ sich gut an. Neben der kaufmännsichen Abteilung in der Hanauer Innenstadt gab es bald eine sprachliche Abteilung, in erster Linie für Aussiedler aus Polen, und zwar im Flüchtlingsaufnahmelager Gondsroth und eine gewerbliche Abteilung in den Werkstätten der ehemaligen Marienhütte in Großauheim. Eleonore hatte schließlich 40 Lehrkräfte unter sich – alles ausgebildete Lehrer, die meistern mit Einser-Abschluss, nur die Schulleiterin hatte keine Abschluss. Das war auch nicht nötig. Denn als Schulleiter braucht man entweder einen fachkompetenten Kollegen in der Leitung oder, so steht es in der Verordnung über das Schulwesen in Hessen, „Erfahrung als Schulleiterin“ - und die hatte Eli, sie war ja zuvor Leiterin unseres „vfs-Insituts“ gewesen.

Ich war allerdings bald nicht mehr allzu glücklich mit dieser Entwicklung. Eli schien nur noch mit ihrer Schule verheiratet. Der Haushalt wurde vernachlässigt (ich auch). Wann immer ich im Haushalt versuchte, etwas Ordnung herein zu bringen, wurde das – so schien mir – von ihr systematisch torpediert. Klar, sie hatte wenig Zeit, aber wie konnte sie nur in dieser kurzen verbleibenden Zeit derart viel Chaos anrichten? Ich halte es für besser, mir hier eine plastische Schilderung der Einzelheiten zu ersparen. Ich war auf jeden Fall äußerst frustriert. Für die nächsten Jahre wohnte ich praktisch im Alt-Auheim, dem Gasthaus eine Straße weiter. Darüber habe ich bereits in einer anderen Szene berichtet (Szene 015 – Wohnen im Alt-Auheim).


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