Horst, der Mensch: Der verschlungene Pfad in Richtung eines Lebens zum wohl aller Wesen – Geschichte eines europäischen Buddhisten - Stand 7.1.2020

Szene 23 – ...und wie man Deutschlehrer wird - 1978



Richtig müsste es allerdings heißen: Wie ich einmal Deutschlehrer wurde.

Ich war nun inzwischen an den Beruflichen Schulen in Gelnhausen, jedoch nur mit einem Vertrag für ein einziges Jahr. Für einen längeren Vertrag oder gar für eine unbefristete Übernahme hätte ich die Einstellungsnote 2,4 benötigt, leider hatte ich aber nur eine Bewertung von 2,6. Allerdings wurden damals Deutschlehrer gesucht, und wenn man eine Fakultas, eine Lehrbefähigung für Deutsch hatte, bekam man einen Notenbonus von 0,2 gut geschrieben, das hätte in meinem Fall also 2,4 gegeben.

Ich informierte mich daher, wie man zu einer solchen Lehrbefähigung kommt. Dazu, so musste man sich zu einer Diplomergänzungsprüfung in der Fakultät anmelden, in der man sein Diplom gemacht hatte. In meinem Fall also am Fachbereich Wirtschaftswissenschaften der Frankfurter Uni. Ich las also die Bedingungen des Prüfungsamtes dieses Fachbereiches durch, und dort stand, dass man für eine Diplomergänzungsprüfung alle für ein Diplom nötigen Scheine vorlegen müsse. Es stand allerdings nichts von Scheinen in Germanistik drin! Und die Scheine für ein Diplom in Wirtschaftswissenschaften hatte ich, denn ich hatte ja dort bereits mein Diplom gemacht. Es kam mir zwar höchst merkwürdig vor, dass man sich zu einer Deutschprüfung anmelden könne, ohne auch nur einen einzigen Leistungsnachweis in Deutsch erbracht zu haben, aber ich konnte es ja versuchen. - Und in der Tat: meine Anmeldung zur Prüfung wurde angenommen!

Ich ging zur Vorbesprechung beim Professor, der natürlich wissen wollte, womit ich mich in meinem Deutschstudium beschäftigt hatte. Ich erklärte, mein Schwerpunkt läge auf den Novellisten des 19. Jahrhunderts und auf der Literatur des frühen 20. Jahrhunderts, also der Literatur bis zum 2. Weltkrieg. Das waren schließlich die Dinge, die ich während meiner höchst mysteriösen Krankheit (vg. Szene 012) fleißig „studiert“ hatte.

Außer zu dieser Vorbesprechung war ich nur noch zwei Mal in der Uni, einmal zur schriftlichen Prüfung (Note 1 – ich hatte mich beim Schreiben in eine Euphorie hinein gesteigert, buddhistisch ausgedrückt: der Vertiefungsfaktor „piti“ stieg auf) und einmal zur mündlichen Prüfung. Dort wurden immer drei Prüflinge zusammen geprüft. Es ging um die „Judenbuche“, eine Novelle von Annette von Droste-Hülshoff, das ist die Frau, die früher auf dem grünen 20-DM-Schein war.

Der Professor wollte u. a. wissen, warum sich die Hauptfigur des Buches an einer Stelle in so rabiater Weise an dem Blumenbeet zu schaffen machte. Meine Mitprüflinge ergingen sich in literaturwissenschaftlichen Zitaten. Kandidat A erläuterte, was ein bestimmte Kommentator in einem Kommentar zur „Judenbuche“ dazu geschrieben habe. Kandidat B verwies darauf, dass das in der Literaturgeschichte keineswegs unumstritten sei, und gibt die Meinung zweier anderer Literaturwissenschaftler zu dieser Tatsache zum Besten.

Nun sollte ich Stellung nehmen. Ich hatte natürlich keinerlei Sekundärliteratur gelesen, aber während meine Mitprüflinge so gelehrt daherredeten, hatte ich mir die Stelle im Buch angesehen und auch zwei Seiten zurück geblättert. Dort stand, dass sie kurz zuvor eine erschütternde Nachricht bekommen hatte. Also verwies ich darauf, dass alle diese Theorien der Literaturwissenschaftler doch sehr weit hergeholt seien. Besser wäre es „ad fontes“ zu gehen, im Text selbst zu suchen, und da habe diese Person nun einmal die erschütternde Nachricht bekommen...

Der Professor war begeistert! Endlich ein Student, der nicht nur die Sichtweise der Literaturwissenschaftler referierte, sondern tatsächlich mit einer Novelle als Gesamtkunstwerk umzugehen verstünde, der seinen gesunden Menschenverstand bemühte! Und so kam es, dass ich Deutschlehrer mit Note 1 wurde, ohne jemals irgend eine Veranstaltung im Fachbereich Germanistik besucht zu haben. „Glaube nichts, was irgendein Lehrer oder ein Fachmann, eine wissenschaftliche Autorität, von sich gibt“, riet der Buddha einst den Bürger von Kalama. Statt dessen empfahl der Buddha zu „sehen, wie die Dinge wirklich sind“. Und dem Buddha zu folgen, ist eigentlich immer eine gute Idee.

Einige – wenige - Jahre lang gab ich dann auch Deutschunterricht, was leider mit umfangreichen Korrekturen verbunden ist. Ich suchte also, wie ich das wieder abgeben konnte. Zum Glück war gerade die ganze Verwaltung auf EDV umgestellt worden und kurz darauf war das System abgestürzt – natürlich waren inzwischen alle Papierunterlagen vernichtet, man wollte ja das „papierlose Büro“ schaffen. Also mussten alle Lehrer unserer Schule nochmals einen Personalfragebogen ausfüllen. Dort sollten wir auch unsere Lehrbefähigungen eintragen. Natürlich ließ ich die für „Deutsch“ weg. Ich musste nie wieder Deutsch unterrichten, nie wieder eine Deutscharbeit korrigieren!

Sag´nur einer, EDV sei keine praktische Erfindung!


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