Horst, der Mensch: Der verschlungene Pfad in Richtung eines Lebens zum wohl aller Wesen – Geschichte eines europäischen Buddhisten - Stand 5.1.2020

Szene 18 – Der Großauheimer Tempel - 1995



Es war zu der Zeit als ich mein Leben umorientierte. Ich hatte mich entschlosen, auf Teilzeitarbeit zu gehen, hatte meine Mandat im Kreisausschuss des Main-Kinzig-Kreises und in der Regionalversammlung Südhessen niedergelegt und war dabei der grünen Partei den Rücken zu kehren. Außer meiner Arbeit im ÖkoBüro Hanau hatte ich nicht mehr so viel zu tun, daher begann ich in Haus und Garten etwas zu werkeln. Zum Beispiel baute ich auf unserer Terrasse eine Pergola. Es machte Freude in der freien Natur zu arbeiten, etwas mit den Händen zu schaffen und der Werkstoff Holz schien meinem Naturell zu entsprechen. Und was besonders schön war: mein Sohn, den ich „mein Freund Zorilla“ nannte, half dabei. Es machte Freude etwas zusammen mit seinen Kinder oder – wie in diesem Fall – zumindest mit seinem Sohn zu unternehmen, insbesondere etwas Praktisches.

Bestimmt wäre es auch schön, im Garten eine Gartenlaube zu bauen: das wäre doch etwas für die ganze Familie, dachte ich bei mir. Ich plante also, was alles dazu benötigt würde und kam auf eine Summe von rund 2500 DM, die das Projekt kosten würde. Da ich aber seit kurzem auf einer 2/3-Stelle war, also erheblich weniger Geld verdiente, hatte ich eine Haushaltsbuchführung eingeführt. Jedem Familienmitglied stand z. B. ein altersabhängiges Taschengeld zur Verfügung, was zwischen 25 und 100 DM monatlich lag, weitere 30 DM Kleidergeld pro Monat und Familienmitglied. Wenn also beispielsweise meine Tochter sich Schuhe für - sagen wir - 70 DM kaufen wollte, so musste sie eben drei Monate dafür ansparen und bekam dann – gegen Vorlage des Kaufbelegs die 70 DM ausgezahlt. So gab es insgesamt 40 verschiedene Konten für alles Mögliche, einschließlich einer Position „Jux & Dollerei“, die für gemeinsame Familienunternehmungen zur Verfügung standen, z. B. für Kinobesuche Wochenendausflüge, Urlaub.

Für „Jux & Dollerei“ eines einzelnen Familienmitglieds war kein Etat vorhanden, das musste dann über das Taschengeld laufen. Aus dem Etatposten „Jux & Dollerei“ hätte auch die Gartenlaube finanziert werden müssen. Ich stellte also meine Pläne der Familienkonferenz vor. Leider hielt sich die Begeisterung sehr in Grenzen. Andererseits hatte ich vor, meine gerade entdeckten – allerdings deutlich beschränkten – holzhand-werklichen Fähigkeiten doch noch etwas einzusetzen. Mir kam eine neue Idee: in der oberen Etage des Schuppens, dessen unterer Teil eine Garage für zwei Autos und weitere Sachen war, könnte ich im vorderen Bereich einen 20 qm großen Tempel bauen!

Also stellte ich fest, dass ich dann eben, wenn mein Wunsch nach einer Gartenlaube nicht geteilt würde, statt dessen einen Tempel errichten würde. Eleonore verwies darauf, dass dieser mit Sicherheit nicht über „Jux & Dollerei“ finanziert werden könne, ich könne aber vielleicht zwei Jahre lang mein Taschengeld ansparen, oder Lotto spielen, oder darauf warten, dass ich 2500 DM geschenkt bekäme...

Mit anderen Worten, es schien nicht ungeteilte Freude darüber zu geben, dass ich jetzt auf Teilzeit war und dass dadurch das Geld deutlich knapper war – und man zeigte mir dies. Zugegebenermaßen hatte ich die Teilzeitstelle auch deswegen angenommen, damit das Geld wirklich knapper würde. Ich hatte bei meinen Schülern aus reichem Hause gesehen, dass diese sich alles Mögliche auf Kosten der Eltern leisten konnten, dies als selbstverständlich ansahen und die eigene Leistungsbereitschaft, z. B. einen ordentlichen Schulabschluss zu machen, oder sich um eine gute Lehrstelle zu kümmern, sehr unterentwickelt war. Meine Hoffung war, meinen Kindern klar zu machen, dass, wer konsumieren will, dafür auch eine Leistung erbringen muss. Für mich gehörte das zum Lernziel, Eigenverantwortung für sein Leben zu übernehmen. Klar, dass dies bei meiner Familie nicht nur auf Begeisterung stieß.

Wegen irgendeiner Sache, ich glaube es ging um eine Abrechnung meiner politischen Tätigkeiten für das Land Hessen, hatte ich im Vorjahr übrigens einen Antrag gestellt, der von der zuständigen Stelle im Regierungspräsidium allerdings abgelehnt worden war, es ging um 2624 DM. Genau einen Tag, nachdem die Familienkonferenz meinen Antrag hinsichtlich Gartenlaube und Tempel abgelehnt hatte, bekam ich dann – trotz des ablehnenden Bescheids – meine beantragten 2624 DM überwiesen. Eleonore staunte nicht schlecht, als ich mit dem Bankauszug heimkam. „Du hast doch gesagt, Eli, ich müsse darauf warten, dass mir einer 2500 DM schenkt, bevor ich meinen Tempel errichten kann. Das ist gerade geschehen.“

Am nächsten Tag besorgte ich das Holz, um den Raum über der Garage zu teilen und eine Holzverschalung für den vorderen Teil, den zukünftigen „Großauheimer Tempel“ zu bauen. Mein Freund Zorilla half mir dabei, und wir waren auf diese Art gut eine Woche mit Bauen und Streichen beschäftigt.

Jetzt im Sommerhalbjahr meditierte ich im Tempel. Am Wochenende zog ich mich meist ganz dorthin zurück, schlief auch dort auf einer Matratze. Es gab einen kleinen Schrein dort, allerdings 1995 noch ohne eine Buddhafigur. Diese wunderschöne Holzstatue, die inzwischen die „Gelnhäuser Rupa“ heißt, kam erst ein Jahr später dazu. Damals verzichtete ich noch – wie im frühen Buddhismus üblich – auf eine Darstellung des Buddha. Statt dessen schmückte die Wand über dem Schrein das Dharma-Cakra, das achtspeichige Rad der Lehre, das den Edlen Achtfältigen Pfad sysmbolisiert, den der Buddha aufgezeigt hat.

fjlIm Jahr 1996 pflegte ich jeden Sonntag in meinem Tempel eine Puja, eine buddhistische Ritualfeier, zu feiern, meist allein. Einmal jedoch, im Herbst 1996, damals war die „Gelnhäuser Rupa“ schon im Großauheimer Tempel, traf sich jedoch der Öko-Bereich des deutschsprachigen Netzwerkes Engagierter Buddhisten (Bild links: mit dabei dessen Initiator Franz-Johannes Litsch) im ÖkoBüro Hanau, und an diesem Tag feierten wir die Puja gemeinsam. Es war das erste Mal, dass ich eine Puja für andere Personen leitete. An diesem Wochenende hatte der Großauheimer Tempel auch einen prominenten Bewohner: Lama Yeshe (Udo Regel, Bild unten rechts), der damals in der Karma-Kagyü-Tradition des tibetischen Buddhismus ordiniert war, nächtigte hier. Er war am Freitag angereist und wollte sich zunächst zur Meditation in den Tempel zurück ziehen.yeshe

Allerdings kamen zu diesem Zeitpunkt meine Kinder gerade auf die Idee, Tischtennis zu spielen, wovon ich nichts wusste. Ich war gerade im ÖkoBüro, als merkwürdige Geräusche an mein Ohr drangen. Es dauerte einen Augenblick, bis ich sie als das typische Ping-Pong erkannte und erschrocken rannte ich heraus.

Tatsächlich oben im Tempel, eine offene Klappe diente als Fenster, befand sich Yeshe und unten hatten die Kinder die Ping-Pong-Platte aufgestellt, spielten laut lachend und hatten dazu noch ein lärmendes Kofferradio angestellt. „Um Himmels Willen, Kinder, hört auf, Lama Yeshe will im Tempel meditieren!“ -

„Lass nur, Horst“, hörte man eine sonore Stimme aus dem Tempel, „das ist in Ordnung, hört und fühlt sich an wie beim Meditieren in Nepal, fühle mich ganz heimisch.“

Im Herbst des Jahres 1996 unternahm ich in den Herbstferien meine erste Einzelklausur im Großauheimer Tempel. Ich hatte mir ein anspruchsvolles Programm, täglich von morgens um 5 Uhr bis abends um 24 Uhr, ausgedacht. Puja, Meditation, Geh-Meditation, einfache Yoga-Übungen und mitunter ein kurzer buddhistischer Text über Meditation. Auch die Essens- und Körperpflegezeiten waren klar festgelegt, es herrschte klösterliche Disziplin. Am Freitag ging das Retreat los und am Dienstag hatte ich erste Jhana-Erfahrung, Erfahrung tiefer integrierter Einheit mit heftigen Glücksgefühlen. Mit Gänsehaut und Freudentränen saß ich lange in Verzückung, ein Gefühl, das sich nur an diesem und am nächsten Tag so stark, so phänomenal einstellte und indem mir der objektiv wirklich nicht sonderlich attraktive Tempel wie die schönste himmlische Späre erschien.

018Dann lag ein Zettel vor dem ÖkoBüro, wo ich des nachts die Toilette besuchte: „Ben ist tot, Beerdigung morgen 14 h.“ Eleonore hatte mich dankenswerter Weise darüber informiert, dass mein Onkel, der früher bei uns im Haus wohnte und der die Zahnarztpraxis seines Vaters Franz übernommen hatte, gestorben war. (Das Bild oben zeigt Frieda und Ben im Dezember 1954.) Am Abend hatte ich noch eine gute Meditation über Vergänglichkeit, ich sandte liebevolle Güte an Ben, Ruth, Heinz und Frieda, verstorbene Angehörige, die alle früher, wo jetzt der Großauheimer Tempel war, ihr Brennholz gelagert hatten, im Vorraum des Tempels lag noch die 8 m lange Fahnenstange, die vor langer Zeit die Hakenkreuzfahne getragen hatte. Hier hatte später Himbi Moloch gewohnt. Tempora mutantur. Vergänglichkeit.

Am nächsten Tag ging ich zu Bens Beerdigung. Eigentlich wollte ich danach meine Klausur fortsetzen, aber es ging nicht mehr. Der Einbruch der Realität, die Menschen auf der Beerdigung, hatten die Stimmung verändert. Aber ich nahm mir vor, regelmäßig Einzelklausuren zu machen, eine Praxis die ich seitdem durchschnittlich einmal jährlich ausübe.

Im Jahr 1998 verbrachte ich meine letzte Nacht im Tempel. Es war schon seit Tagen Dauerfrost, die Nachttemperaturen lagen bei -100 C. Der Tempel hat an der Vorderseite nur eine große Holzklappe, kein Fenster, er ist auf dieser Seite praktisch offen. Eine einzige Kerze in einem offenen Raum bei klirrender Kälte macht nicht wirklich warm. Ich lag im Schlafsack auf meiner Matratze und fror wie ein Schneider – trotz der Wärmflasche, die ich mir mit in den Schlafsack genommen hatte.

Am Morgen hatte ich eiskalte Füße – und es fühlte sich im Fußraum so klumpig an. Was war geschehen? Nun, die Wärmflasche war undicht und ausgelaufen. Das Wasser war daraufhin gefroren und hatte Schlafsack und Matratze teilweise zu einem Eisklumpen erstarren lassen, lediglich ein kleiner Raum bei meinen Füßen war noch frostfrei.

Ich verzichtete künftig auf Übernachtungen im Großauheimer Tempel.


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