ROBIN WOOD Magazin 65 / 2.2000


Europäisches Überraschungs-Ei

Ein Zehnmarkschein sorgt in den Legebatterien für Aufregung: Am 15.Juni 1999 beschloss der Agrarministerrat der Europäischen Union eine neue EU-Richtlinie zur Haltung von Legehennen, nach der ab dem l. Januar 2003 die Grundfläche der Hühnerkäfige von derzeit 450 auf 550 cm2 erweitert werden muss. Das heißt, dass sich die Nutzfläche von einer drei Viertel DIN-A4-Seite um die Fläche eines Zehnmarkscheins erhöht! Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) zog nach und erklärte in seinem Urteil vom 6. Juli 1999 die deutsche Hennenhaltungsverordnung (HHVO) vom 10. Dezember 1987 für nichtig, da sie nicht mit dem Tierschutzgesetz vereinbar sei.

90 Prozent der 270 Millionen europäischen Legehennen werden in Käfigen gehalten. Die bestehenden Anlagen, die auf unanfechtbaren Genehmigungen beruhen, genießen weiterhin Bestandsschutz, auch wenn sie de facto einen Strafbestand darstellen. Grundlegende Veränderungen in der Legehennenhaltung sind ab dem Jähr 2012 zu erwarten. Von da an dürfen nur noch „ausgestaltete" Käfige mit einer Grundfläche von 750 cm2, Nest, Sitzstange und Scharrfläche eingesetzt werden.

Kritik schon im Vorlauf

Doch in Deutschland stieß bereits der Referentenentwurf zur vorläufigen neuen Hennenhaltungsverordnung des Bundeslandwirtschaftsministeriums auf heftige Kritik. Bis 2003 der erste Schritt der EU-Norm in Kraft tritt, sieht das Bundesministerium 600 cm2 pro Tier und ausgestaltete Käfige vor. Der Deutsche Bauernverband (DBV) verfolgt „mit Sorge die aktuelle politische Diskussion über die Legehennenhaltung in Deutschland".
Haltung Kennzeichnung auf Verpackung Auslaufflache Anteil deutscher Haltungsplätze (1998)
Artgerech Freilandhaltung 10 qm/Tier 3,7 %
Artgerecht Intensive Auslaufhaltung 10 qm/Tier 0,4 %
Bedingt artgerecht Bodenhaltung Keine 6,3 %
Bedingt artgerecht Volierenhaltung Keine 0,3 %
Nicht artgerecht Käfig-Batteriehaltung Keine 89,2 %
Die Bayerische Landesanstalt für Tierzucht errechnet für die Eierproduktion einen Kostenaufschlag von 14% in der ersten Reformstufe (550 cm2/Tier) und 33% (ausgestaltete Käfige) bis 72% (alternative Systeme Wie Freilandhaltung) in der zweiten Stufe. Sie warnt vor der Wettbewerbsverzerrung und dem Verlust an Marktanteilen angesichts der Käfig-Eier aus den USA mit lediglich 350 cm2/Tier.

Nach Einschätzung des Zentralverbands der Deutschen Geflügelwirtschaft e.V. werden einige deutsche Tierhalterinnen aus der Produktion aussteigen, andere auf Alternativsysteme umstellen. Nur wenige werden auf das vorgeschlagene Käfigsystem umsteigen, da es in Praxis noch nicht erprobt und die Stellung ebenso kostenaufwendig wie platzintensiv ist.

Nicht nur die Geflügel-Industrie, sondern auch Tierschützerinnen befürchten in Folge der neuen Hennenhaltungsverordnung häufigere Erkrankungen, der Legehennen durch den Kontakt mit ihren Ausscheidungen, Kannibalismus und größere Verschmutzungsgefahr. Während die Tierhalter aus Kostengründen allerdings am liebsten die sterilen Legebatterien beibehalten möchten, greifen dem Deutschen Tierschutzbund e.V. in dem vorliegenden Entwurf die Tierschutzmaßnahmen zu kurz.

Eine legereife Henne der Art Gallus gallus - die etwa 47,6 cm lang, 14,5 cm breit und 38 cm hoch ist - benötigt für ungestörtes Ruhen mindestens 690 für artgerechte Eigenkörperpflege mit Staubbaden 800 cm2 Nutzfläche. Sandschalen sollen Picken und Scharren ermöglichen, Raumgröße und Zusammensetzung der Einstreu sind jedoch unzureichend. Die in dem Referentenentwurf vorgesehenen Sitzstangen befinden sich bei einer Käfighöhe von 45 cm zu dicht über dem Boden, als dass artgemäßes Aufbäumen (erhöhtes Sitzen, um sich vor Angriffen zurückzuziehen) möglich wäre.

Vor allem Freiland- und Auslaufhaltung unterstützen die arteigenen Verhaltensweisen, da

Wirkungslose Auflagen

Die Auswirkungen des allseits verlustreichen Auflagen-Kompromisses zeigen sich an der deutsch-tschechischen Grenze: Mittelsmänner des in Deutschland unter Berufsverbot stehenden Hühnerzüchters Anton Pohlmann umgehen die EU-Bestimmungen, indem sie den geplanten Bau einer herkömmlichen Käfigbatterie für 1,8 Millionen Legehennen in den tschechischen Landkreis Domaziice legen. Bislang haben grenzüberschreitende Protestaktionen die Baugenehmigung verzögert.

Gesundheitliche Risiken der industriellen Geflügelhaltung haben die Verbraucherinnen zuletzt im Dioxin-Skandal gespürt. Damit ein Batteriehühnchen in sechs Wochen von 45 Gramm auf 2,5 Kilo gemästet wird, werden dem Körnerfutter in der Massentierhaltung neben antibiotisch wirkenden Zusatzstoffen aufbereitete Fette beigemischt. Wie im Falle der belgischen Tierfutter-Firma Verkest geht bei der Aufbereitung der Überblick über die Herkunft der Rohstoffe verloren. So kam es im Juni 1999 zu einer Dioxinkontamination belgischer Eier und Geflügelprodukte.

Über die Art der Tierhaltung entscheiden letztendlich die Konsumentinnen: Einer konsequenten Nachfrage nach Eiern aus Freiland- und intensiver Auslaufhaltung wird sich die Eierindustrie langfristig beugen müssen.



Kontaktadresse:
Deutsche Tierschutzbund e.V.
Baumschalallee 15
53115 Bonn
Tel.: 0228/604961-0
Fax:0228/6049640


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